So viel Aufmerksamkeit ist Kuh Stern nicht gewohnt. Als die Direktion des Basler Hotels Hilton auf die steile Alpweide Arnischwand zustiefelt, versteckt sich das Simmentaler Fleckvieh unsicher inmitten seiner Braunviehkolleginnen. Doch die stupsen die kleiner gewachsene Stern rüpelhaft zur Seite. «Die sind doch nur eifersüchtig», sagt Älpler Urs Müller schmunzelnd.

Denn es winken Streicheleinheiten. Die Hände der Städter strecken sich über den elektrischen Zaun. Genussvoll gibt sich die Vierbeinerin den Liebkosungen der Sponsoren hin – «Hilton»-Generaldirektor René Singeisen, Finanzchefin Roswitha Spirig und Verkaufsleiter Sebastian Maiss. So was darf man sich als Leasingkuh nicht entgehen lassen. Denn die zeitweiligen Besitzer kommen in der Regel nur einmal pro Sommer zu Besuch – so viel ist Pflicht. Zum Leasing gehört ein Arbeitstag auf der Alp.

Kuhleasing ist eine moderne Art der seit Jahrhunderten gepflegten Kuhpacht. Der Bauer verpachtet seine Kuh einem Nutzniesser im Tal. Heute kostet das 380 Franken für ein Voll-Leasing pro Alpsommer und Kuh. Auch Teil-Leasing ist möglich. Für den Vorschuss erhält man dann das Kilo Käse günstiger als im Laden: für 17 statt für 25 Franken.

Ein gutes Geschäft für beide Seiten: Der Senn auf der Alp bringt seinen Käse an den Mann und an die Frau im Tal – ohne Zwischenhandel. Von 36 Kühen hat Älpler Urs Müller elf verleast. Damit sind 300 Kilo Käse der Jahresproduktion von 4,5 Tonnen schon mal abgesetzt. Immerhin.

Die Kuhleaser erhalten zudem auf der Alp Einblick in eine Welt, die viele nur aus «Heidi»-Filmen kennen. Einigen nimmt es dann auch gleich den Ärmel rein. Wie dem einstigen Chefbeamten im Bundesamt für Landwirtschaft, der nach der Pensionierung endlich nicht mehr nur am Schreibtisch Hand anlegen kann, sondern auf der Alpwiese, im Stall oder im Käsekeller.

Gel im Haar und ein Indiana-Jones-Hut

Direkt vom Bürotisch auf die Obwaldner Alp hinauf verschlagen hat es auch das «Hilton»-Trio. Verkaufsleiter Sebastian Maiss würde auch in den Bridge-Abend im Herrenklub passen: edle Lederstiefel, Gel im Haar, goldgerahmte Piloten-Sonnenbrille, das iPhone immer griffbereit. Ganz landladylike dagegen Finanzchefin Roswitha Spirig im Wanderlook, während Generaldirektor René Singeisen einen Indiana-Jones-Hut trägt.

Kaum sind die Städter dem Auto entstiegen, gehts zur Sache. Älpler Urs Müller marschiert im Sennenkutteli voran, über Stock und Stein, Kuhfladen und Wasserlachen, immer höher in Richtung Wald oben an der steilen Kuhwiese. Hier wartet Arbeit. Emsige Hände sind schon am Werk: Mit Mordsbeisszangen rücken Müllers Tochter, Schwager und dessen Sohn den Stauden und Zwergtännchen zu Leib, die die Weide zu überwuchern und in Wald zurückzuverwandeln drohen. Doch hier sollen saftige Alpkräuter gedeihen, die in Kuhmägen wandern, in deftige Alpmilch verwandelt und dann zu chüschtigem Alpkäse veredelt werden.

Eine Idee, aus der Not geboren, wird zum Kult

Nach kurzer Instruktion greift der Direktor beherzt zur Staudenzange und knipst das wuchernde Gehölz gekonnt auf Bodenhöhe ab. Während die Finanzchefin, den künftigen mächtigen Nadelbaum schon vor Augen, sicherheitshalber nachfragt: «Dieses hübsche Tännlein auch?» Und der Verkaufsleiter outet sich als Flachländer, der zum ersten Mal «z Alp» ist. Das aber sehr gern. «Stauden schneiden ist ja gar nicht schwierig», stellt der elegante Alpbesucher nach wenigen Schnitten erstaunt fest. Und dann bricht es aus seinem Städterherzen heraus: «Es ist doch einfach schön hier oben!»

Allzu lange dauert der Arbeitseinsatz nicht. Und es geht ja mehr darum, Alpenluft zu schnuppern und seine Kuh kennenzulernen, als um hartes Malochen. Bald ist man denn auch bei der anderen geleasten Kuh, Cola, angelangt und stolz darauf, so ein schönes Viech im Hotelportfolio zu haben. «Du bist aber eine Hübsche!», raunt Verkaufsleiter Maiss entzückt.

Die Idee mit dem Kuhleasing entstand eines Abends beim Znacht in der Küche der Berner Oberländer Familie Wyler. Als die Käseunion 1998 aufgehoben wurde und die Zeiten des garantierten Absatzes vorbei waren, stapelten sich die Käselaibe im Keller. Man war unsanft vom Staatstropf abgehängt und in die harte Welt der Direktvermarktung katapultiert worden. Jetzt war Unternehmergeist gefragt.

Drei, vier Restaurants und ein paar Privatkunden zählten schon seit 30 Jahren zum treuen Alpkäse-Käuferkreis der Brienzer Bauernfamilie. Wobei man damals noch nach altväterlicher Sitte von Kuhpacht sprach. Doch wäre es bei diesem Namen geblieben, hätte vielleicht weiterhin kein Hahn danach gekräht. Der Erfolg kam erst 2003 mit dem neumodischen Begriff Kuhleasing und der entsprechenden Website.

Dann brach das Kuhleasing-Fieber aus. Eine Nichte der Familie Wyler, die bei Tele Züri arbeitete, erzählte ihrem Chef von dem neuen Älplerbrauch. Kurz danach stand das Filmteam auf der Alp. Zwei Tage nach dem TV-Beitrag waren sämtliche 25 Kühe verleast. Die halbe Fernsehwelt pilgerte auf die Alp Tschingelfeld, um sich die geleasten Kühe anzusehen: RTL, BBC, CNN. «Die Leute rannten uns die Türen ein», berichtet Iris Wittwer-Wyler, die Tochter der Kuhleasing-Initianten.

Heute sind zehn Alpen unterm Kuhleasing-Dach. Neben Privaten machen auch immer mehr Firmen mit – denn bei einer Vollpacht gilt es, immerhin 30 Kilo Käse abzunehmen. Für die «Hilton»-Equipe kein Problem: Die duftenden Leckerbissen von der Alp landen als «Swiss Cheese» auf dem hoteleigenen Frühstücksbuffet.

Weitere Infos

www.kuhleasing.ch