Bei Tieren von «Mutterliebe» zu sprechen war in der Wissenschaft bis vor kurzem verpönt. Doch neuerdings gestehen auch Verhaltensforscher Tieren Gefühle zu. Berühmte Anthropologen wie der Primatenforscher Frans de Waal gehen gar so weit, zu sagen, dass Empathie, die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, im Tierreich eine wichtige Rolle spiele. «Brutpflege», wie die elterliche Fürsorge in der Fachsprache heisst, ist vor allem unter Säugern weit verbreitet. Affen- und Walweibchen etwa sind «Supermütter» und stillen ihre Jungen während Monaten, schützen sie vor Feinden und bringen ihnen alles Überlebensnotwendige bei. Wer solchen Aufwand betreibt, hat dafür meist weniger Kinder.

Eher selten ist die Mithilfe der Männchen. Für die meisten ist es mit der Zeugung schon getan. Nicht so beim Hamstermännchen, das sich bei der Geburt seines Nachwuchses als Hebamme nützlich macht. Bei den Seepferdchen ist Brutpflege gar reine Männersache. Ein Vorbild an Fürsorglichkeit sind Vogeleltern: Sie teilen sich die Kinderbetreuung – und ziehen sogar «Kuckuckskinder» auf. Gleich die ganze Sippe ist bei sozialen Brütern wie den Erdmännchen an der Erziehung der Jungtiere beteiligt.

Doch nicht alle Tiere investieren in gleichem Mass in den Nachwuchs: Die meisten Insekten, Fische, Amphibien und Reptilien begnügen sich damit, ihre Eier abzulegen, um sich dann aus dem Staub zu machen. Die fehlende Fürsorge machen diese «Rabeneltern» mit der Anzahl Eier wett. Denn das Ziel ist immer dasselbe: Jedes Individuum setzt alles daran, seine Gene möglichst erfolgreich weiterzuvererben. Schliesslich geht es darum, den Fortbestand der Art zu sichern.

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Viele Mütter im Tierreich kümmern sich aufopfernd um ihren Nachwuchs, und manche riskieren dabei sogar ihr Leben. Solche «Supermütter» haben meistens nur wenige Kinder; bei grossen Säugern wie Elefanten, Nashörnern und Walen findet man in der Regel nur ein einziges Junges. Denn je aufwendiger die Pflege der Brut ist, desto weniger Nachwuchs kann sich ein Tier leisten.

Britische Evolutionsbiologen konnten jüngst zeigen, dass bei Säugetieren die Grösse des Gehirns eng mit der Länge der Trag- und Stillzeit verknüpft ist. Das heisst: Je grösser das Gehirn, umso mehr müssen die Muttertiere in ihre Nachkommen investieren. Gorillas beispielsweise, die über 98 Prozent des Erbguts mit dem Menschen gemeinsam haben, stillen ihre Kinder vier Jahre lang.

Doch mit dem Säugen allein ist es nicht getan: Tiermütter bilden meist das soziale Gerüst einer Gruppe. Die weiblichen Jungtiere bleiben in der Regel bei ihren Müttern, die Männchen verlassen die Gruppe, sobald sie geschlechtsreif sind. Auch bei den Primaten ziehen die Weibchen die Jungen alleine auf. Ähnlich verhält es sich bei den Hyänen, hochentwickelten und sozialen Säugetieren: Die Weibchen übernehmen die Aufzucht, lassen die Männchen nicht einmal an den Bau. Diese sind, wie bei 90 Prozent der Säugetiere, nur bei der Zeugung von Bedeutung.

Bedingungslosen Einsatz leisten nicht nur die Säugetiermütter. Das Haushuhn zeigt das sprichwörtliche «Gluckenverhalten»: Es umsorgt seine Küken nach dem Schlüpfen, lässt sie nicht aus den Augen. Hennen fühlen mit ihrem Nachwuchs mit, wie Forscher nachweisen konnten: Sie reagieren körperlich, wenn ihre Küken mit einem Luftstrom geplagt werden. Selbst wenn die Hühnervögel von ihrem Nachwuchs durch eine Plexiglasscheibe getrennt sind, leiden sie mit ihren «Bibeli» mit und zeigen Stressreaktionen wie einen höheren Puls.

Die «Mutterliebe» auf die Spitze treibt das Weibchen der Australischen Krabbenspinne. Es opfert sich für seinen Nachwuchs und wird für die kleinen Spinnen, zusammen mit den nährstoffreichen Eiern des nächsten Geleges, zur ersten Nahrung.

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Auch im Tierreich gibt es Männchen, die sich vorbildlich um den Nachwuchs kümmern. Der Sibirische Zwerghamster beispielsweise macht sich schon bei der Geburt nützlich. Das Männchen hilft, die Jungen auf die Welt zu bringen, zieht sie aus dem Geburtskanal und befreit sie von der Fruchtblase. Forscher erklären dieses Verhalten durch hormonelle Veränderungen: Zum Zeitpunkt der Geburt weisen Hämsterväter einen erhöhten Östrogenspiegel auf. Danach schütten sie verstärkt das Sexualhormon Testosteron aus, was ihren Schutzinstinkt ankurbelt. Väterliches Verhalten in der Tierwelt hat sich stammesgeschichtlich entwickelt und trägt dazu bei, den Fortpflanzungserfolg des Männchens zu erhöhen.

Manche Tiere tauschen nach der Geburt sogar die Rollen: Die Weibchen gehen in Mutterschaftsurlaub, die Väter übernehmen das Füttern und «Wickeln». Beim Laufhühnchen, beim Afrikanischen Strauss, bei den Emus und Kiwis sind es die Männchen, die die Küken füttern und herumführen oft monatelang.

Auch das Männchen der Geburtshelferkröte plagt sich einige Zeit mit seinem Nachwuchs ab. Es schleppt die abgelegten Eier des Weibchens wochenlang mit sich herum, bis die Larven zum Schlüpfen bereit sind.

Reine Männersache ist die Brutpflege bei den Seepferdchen: Die Väter verstauen die Eier in ihrer Bruttasche, um die Jungtiere vier Wochen später durch «Pressen» in die Unterwasserwelt zu entlassen.

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Die Hingabe für die Nachkommen kann bei Tiereltern so weit gehen, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihre Kleinen zu schützen. Regenpfeifer etwa lenken Feinde mit einem raffinierten Trick vom Nest ab: Die Watvögel torkeln scheinbar schwerverletzt über den Boden und geben klagende Laute von sich.

Eine besonders wirksame Strategie, um den Nachwuchs vor Nesträubern zu schützen, haben Nashornvögel in Asien und Afrika entwickelt: Das Weibchen lässt sich vom Partner in eine Baumhöhle einmauern und durch einen Spalt in der Wand mit Futter versorgen. Eierdiebe wie Schlangen oder Affen haben somit keine Chance, ans Gelege heranzukommen.

Zu den fürsorglichsten Eltern zählen die Kaiserpinguine in der Antarktis. In der kältesten Kinderstube der Welt balancieren die Väter das Ei rund 64 Tage lang auf ihren Füssen, um es vor dem Frost zu schützen; die Weibchen gehen derweil auf Futtersuche. Ist der Nachwuchs geschlüpft, füttern die Väter ihn mit einem milchigen Sekret, das sie aus dem Magen hochwürgen. Bis die Weibchen die Pflege wieder übernehmen, magern Männchen auf die Hälfte ihres Gewichts ab im Gegensatz zu den Kleinen, die täglich zulegen.

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Der Volksmund tut den Rabeneltern unrecht. Weder werfen Rabenvögel ihre Küken aus dem Nest, noch lassen sie sie verhungern. Dass uns die Küken hilflos erscheinen, hat mit ihrer Unbeholfenheit am Boden zu tun: Sie verlassen das Nest, bevor sie richtig fliegen können. Die Jungvögel werden aber weiterhin von den Eltern gefüttert und beschützt.

Echte «Rabeneltern» finden sich bei vielen Insekten, Fischen, Amphibien und Reptilien. Elterliche Fürsorge ist bei diesen Tiergruppen die Ausnahme. Meist überlassen sie die Eier ihrem Schicksal, und die Jungtiere sind vom Schlupf an auf sich allein gestellt. Einfach machen es sich auch einige Libellenarten: Sie werfen ihre Eier im Flug ab und schwirren davon. Bei den Meeresschildkröten müht sich das Weibchen zwar damit ab, die Eier im Sand zu vergraben. Den Weg ins Meer müssen die Jungtiere aber selber finden − dabei fallen sie reihenweise Jägern zum Opfer. Unzimperlich ist auch das Verhalten mancher lebendgebärender Chamäleonarten: Das Muttertier lässt die Jungen, die voll entwickelt auf die Welt kommen, einfach durchs Geäst auf den Boden fallen.

Eine besonders raffinierte Strategie wenden Kuckuckseltern an: Als sogenannte Brutparasiten schieben sie ihre Eier kurzerhand anderen Vögeln unter und brauchen sich einen Sommer lang um nichts zu kümmern. Derweil rackern sich die Adoptiveltern aufopfernd für den fremden Sprössling ab.

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Warum sich allein abrackern, wenn es auch anders geht? Auch Tiere kennen die Vorteile der Grossfamilie und nehmen bei der Brutpflege die Hilfe von Verwandten in Anspruch. Bei den Hausmäusen ziehen jeweils zwei verwandte Weibchen ihre Jungen gemeinsam auf, und Fledermäuse richten «Kinderstuben» ein. Allgemein engagieren sich bei Säugetieren vornehmlich weibliche Verwandte Schwestern, Tanten, Grossmütter als Babysitter. Die gemeinsame Aufzucht bringt viele Vorteile: Die gegenseitige Hilfe ermöglicht den Müttern, schneller neue Kinder zu bekommen, ohne die älteren vernachlässigen zu müssen.

Ein erstaunliches Verhalten legen die südamerikanischen Weissbüscheläffchen an den Tag: Die Väter und andere Tiere der Gruppe tragen die Jungen mit sich herum, beschäftigen sich mit den Kleinen und übergeben sie der Mutter nur zum Säugen. Sie zeigen damit ein für Affen untypisches Verhalten; bei Menschenaffen zieht das Weibchen die Jungen in der Regel alleine auf.

Auf Arbeitsteilung setzen auch Afrikanische Wildhunde und Erdmännchen. «Kooperative Brüter» nennt man solche Tierarten. Erdmännchen zählen zu den sozialsten Säugetieren überhaupt: Ähnlich wie Ameisen oder Bienen teilen sich die Halbwüstenbewohner die Arbeit in der Gruppe, fungieren als Wächter, Nahrungsbeschaffer und Babysitter. Die weiblichen Tiere einer Erdmännchenkolonie betätigen sich als Helferinnen und verzichten zugunsten des Nachwuchses eines dominanten Weibchens sogar auf eigene Kinder (siehe Artikel zum Thema «Verhaltensforschung»).

Bei staatenbildenden Insekten wie den Ameisen sind die Vorteile des Helferinnendaseins offensichtlich: Mit dem Füttern und Grossziehen der Larven sorgen die Jungfern dafür, dass ihre eigenen Gene weitergetragen werden. Denn die Arbeiterinnen teilen mit den Königinnen drei Viertel ihres Erbguts.

Auf weibliche Erfahrung und Erziehungstipps setzen Elefanten. Die alte, mittlerweile unfruchtbare Leitkuh vermittelt den jungen Elefantenmüttern und ihrem Nachwuchs Wissen und soziale Werte.

Delphinmütter hingegen setzen auf Freundschaft. Sie lernen von ihren Freundinnen, wie sie ihre Jungen am besten versorgen und beschützen. Forscher konnten zeigen, dass der Fortpflanzungserfolg bei Flaschennasendelphinen umso grösser ist, je mehr soziale Kontakte zu anderen Weibchen die Muttertiere pflegen. Mit anderen Worten: Wer mehr Freundinnen hat, bekommt mehr Nachwuchs.

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Adoption stellt im Tierreich die Ausnahme dar. Der Aufwand ist gross und der Ausgang unsicher. Die grösste Chance, adoptiert zu werden, haben verwaiste Jungtiere bei sozialen Arten, die in grossen Rudelverbänden zusammenleben (Löwen, Schimpansen). Von Schimpansen weiss man, dass sie auch Gruppenmitglieder adoptieren, die nicht direkt mit ihnen verwandt sind. Belegt sind sogar Fälle mutterloser Jungtiere, die von Schimpansenmännchen aufgenommen wurden. In besonderen Fällen kann es auch bei einzelgängerischen Tieren wie Eichhörnchen zur Adoption kommen, wie eine Studie aus Kanada belegt. Allerdings nahmen die Rothörnchen die mutterlosen Jungen nur an, wenn sie einen hohen Prozentsatz der Gene der Adoptiveltern in sich trugen.

Zuweilen macht Adoption auch vor der Artengrenze nicht Halt: Es kommt vor, dass Schweine Kätzchen oder Lämmer stillen und Hündinnen sich verwaister Rehkitze annehmen. Für weltweites Aufsehen sorgte vor einiger Zeit eine Löwin in Kenia: Sie hatte eine Vorliebe für Antilopenbabys; statt sie zum Mittagessen zu verspeisen, adoptierte sie die Jungtiere. Verhaltensbiologen führen die exotischen Muttergefühle auf eine falsche Prägung in der Jugend zurück.