Was sind denn Wolken schon? Ein Haufen Wassertröpfchen, vom Wind durch den Himmel getrieben. Und doch geht von ihnen eine eigenartige und unvergleichliche Magie aus. Eine Magie, die Kunstmaler, Schriftsteller, Philosophen, Theologen und Träumer aller Art seit Menschengedenken in ihren Bann zieht.

Im 2. Buch Mose erscheint Gott den Israeliten in einer Wolke, die ihn – welch neckisches Konzept – zugleich versteckt und enthüllt, um sie durch die Wüste zu führen. Kein Wunder, dass Jesus auf vielen Bildern gnädig über den Rand einer Kumuluswolke blinzelt.

Einer esoterischen muslimischen Theorie zufolge war Allah als Wolke unterwegs, ehe er sich den Menschen offenbarte. Der Affenkönig Sun Wu-Kung hüpfte von Wolke zu Wolke, als er die Schriften Buddhas nach China brachte. Ngai, im Weltbild der ostafrikanischen Masai der Schöpfer der Erde, erscheint als rote Wolke, wenn ihn der Zorn gepackt hat, und als schwarze, wenn er zufrieden ist.

Wolken können sogar deftig zugreifen, wenn es sein darf: In einem berühmten Bild des Renaissance-Malers Antonio da Correggio erscheint Jupiter als Wolke, um die schöne Io zu vernaschen.

Heute, in unseren prosaischen und gehetzten Zeiten wäre regelmässiges Wolkengucken für unsere Gesundheit genauso wertvoll wie der Besuch im Fitness-Zentrum. So jedenfalls glauben die Mitglieder der Cloud Appreciation Society. Der Blick in den Himmel erspare uns gigantische Psychiatrierechnungen, heisst es auf ihrer Homepage. «Wir sind der Überzeugung, dass Wolken ungerechterweise verschrien sind und dass das Leben ohne sie ungleich ärmer wäre.» Und: «Wir wollen die Menschen daran erinnern, dass die Wolken ein Ausdruck der Stimmung der Atmosphäre sind. Wir können sie lesen wie das Gesicht eines Menschen.»

Die Cloud Appreciation Society begann als Scherz. 2004 wurde Gavin Pretor-Pinney, Autor, Grafiker und Gründer des Magazins «The Idler», das sich dem Kampf gegen das moderne Hetzen verschrieben hat, eingeladen, an einem Literaturfestival in Cornwall einen Vortrag zu halten. Er berichtete über die Freuden seiner (noch) imaginären Gesellschaft der Wolkenbewunderer und verteilte «offizielle» Abzeichen. Zu seiner Verwunderung stürzten sich die Zuhörer darauf. So richtete er eine Website ein und schrieb mit dem Buch «The Cloudspotter’s Guide» die Bibel der Wolkengucker. Ende des Jahres zählte die Society bereits 1800 Mitglieder. Heute sind es gut 35'000 aus 168 Ländern – darunter mehr als 200 aus der Schweiz.

Die Mitglieder sind fleissig: Aus aller Welt schicken sie Fotos von Wolken ein, aus denen jeweils die «Wolke des Monats» gekürt wird. Ein Bilderlexikon hilft beim Identifizieren einzelner Wolkentypen. Im Forum wird eifrig über Wettererscheinungen diskutiert.

Die Mitglieder stellen auch eigene Wolkenlieder, -malereien und -gedichte auf die Homepage. Das grosse Vorbild der Wolkenmaler ist der Engländer John Constable, der während zweier Jahre seine berühmten Landschaftsbilder ganz ohne Erdboden malte und nur noch Wolken zeigte.

«Schauen Sie in den Himmel hinauf», schliesst das Manifest der Cloud Appreciation Society, «staunen Sie ob dieser flüchtigen Schönheit und tragen Sie stolz den Kopf in den Wolken.»

The Cloud Appreciation Society

Isa Goercke (Sekundarschülerin, Cuenca, Ecuador)

Auf die Cloud Appreciation Society bin ich vor etwa vier Jahren durch einen Dokumentarfilm der BBC gestossen. Mein Grossvater schenkte mir die Mitgliedschaft. Ich beobachte Wolken, so oft ich kann, jeden Tag mindestens eine Stunde lang. Es ist sehr entspannend, den Wolken zuzuschauen.

Ich führe ein kleines Wolkenbuch, in dem ich die Namen der Wolken aufschreibe, die mir besonders gut gefallen. Eines Tages zeigte ich meiner Mutter in meinem Wolkenbuch eine Wolke, die nur in den Anden auftritt. Und gleich darauf konnte ich ihr die Wolke am Himmel zeigen! Ich war schwer beeindruckt von mir selber, dass es mir tatsächlich gelungen war, sie zu identifizieren.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org

Anil Gulati (Kommunikationsspezialist für UNICEF, Bhopal, Indien)

Ich bin ein leidenschaftlicher Freizeitfotograf. Eines Tages wollte ich mehr erfahren über Wolken und landete auf der Homepage der Cloud Appreciation Society. Jetzt teile ich dort meine Bilder.

Wolken haben immer eine Geschichte zu erzählen. Sie vermitteln eine Botschaft der Freundschaft. Am liebsten habe ich Wolken, in denen man Bilder zu erkennen glaubt. Manchmal kommen meine Frau und mein Sohn mit zum Wolkenbeobachten. Zusammen identifizieren wir dann Mama-, Papa- und Babywolken.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org

Lisa Manyon (Marketing-Beraterin, Lewiston, Idaho, USA)

Als Kinder lagen wir im Gras, schauten den Wolken zu und erzählten uns, welche Dinge und Figuren wir darin erblickten. Ich bin überzeugt, dass das Beobachten von Wolken unsere Kreativität und Fantasie fördert.

Meine Leidenschaft für Wolken ist ein Ausdruck meiner Lebensfreude und meiner Liebe zur Natur. Ich führe kein Wolkentagebuch, aber ich fotografiere oft Wolken, denn ich finde sie atemberaubend schön und friedlich. Sie strahlen eine stille Kraft aus, die uns beruhigt und zutiefst berührt.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org

Adrian Lambert (Fotograf, England)

Vom feuchten Nordwesten Englands hat es mich nach Perth in Westaustralien verschlagen. Mit der Zeit hat das ewige Blau des Himmels mächtig auf mein Gemüt gedrückt. Wenn dann doch einmal eine Wolke auftrat, wirkte sie umso dramatischer. Die Mitgliedschaft bei der Society war darum so etwas wie Balsam für meinen Geist.

Inzwischen bin ich zurück im wolkigen England. Als Berufsfotograf schätze ich das neutrale Licht, das bei einer Wolkendecke gewöhnlich auftritt. Meine spektakulärste Wolke habe ich aber in Australien erlebt. Ein Buschfeuer trieb kleinste Partikel in die Höhe, wodurch das Sonnenlicht gebrochen und darum sehr rot wurde. Die Partikelwolke trieb über die Stadt und aufs Meer hinaus. Bei Sonnenuntergang wurden die Farben so intensiv, dass man das Gefühl hatte, sich auf einem anderen Planeten oder aber mitten in einem Science Fiction-Film zu befinden.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org

Char March (Schriftstellerin, Hebden Bridge, England)

Ich versäume es nie, mehrmals täglich den Himmel anzuschauen. Es gibt mir Gelegenheit abzuschalten und einfach nur ich zu sein. Der Society bin ich beigetreten, weil mir die schräge Lebensphilosophie gefällt, und weil wir uns alle mehr Zeit gönnen sollten zum Driften mit den Wolken. Am liebsten tue ich dies auf den Pennines in Yorkshire.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org

Hanspeter Künzler (Journalist, London)

Mit den Wolken ist es wie mit Cricket oder einem Musikstück von Philip Glass: Nichts scheint zu passieren, und doch ist plötzlich alles anders geworden.

Das Betrachten der Wolken ist für mich nicht nur ein ästhetisches Vergnügen. Die magische Wirkung greift viel tiefer. Das Betrachten von Wolken ist ein geradezu physisches Erlebnis. Man wird dabei förmlich gezwungen, seine innere Uhr viel, viel langsamer einzustellen. Das Atmen wird ruhiger, das Denken besonnener – der Tag friedlicher.

Meine schönste Wolke: bei klirrender Kälte am letzten Boxing Day, eine subtile Palette von Grau über dem Fussballstadion – die Sonne als Hauch von Licht dahinter.

Quelle: Brocken Inaglory/wikimedia.org
Wetterdeuten in den Wolkenbilder

Fachleute können an der Form der Wolken erkennen, wie sich das Wetter entwickelt. Für Laien sind sie einfach nur schön anzusehen. Eine Anleitung zum Wolkenlesen. Eine Anleitung zum Wolkenlesen.