Das Schauspiel wiederholt sich jedes Frühjahr: Kaum haben sie sich entfaltet, werden die Blätter mancher Pflanzen schon dicht an dicht von Blattläusen besiedelt. Wie können sich die kleinen Tiere bloss so atemberaubend schnell ausbreiten?, fragen sich Bauern und Gärtner. Das Verhängnis beginnt mit einem winzigen Ei, denn als solches überwintern Blattläuse.

Es ist ein verbreiteter Irrtum, anzunehmen, dass die Ursache für ihre explosionsartige Vermehrung darin liege, dass die Läuse bei den ersten Sonnenstrahlen gleich zur Paarung schreiten. Die im Frühjahr geschlüpfte Generation sucht keineswegs subito Partner, um unzählige Nachkommen zu zeugen. Das wäre auch sinnlos, da es zu dieser Jahreszeit bloss Weibchen gibt. Männchen sind gar nicht nötig. Denn Blattläuse beherrschen, was die Wissenschaftler Parthenogenese nennen: Jede Blattlaus gebiert in einer stetigen Folge jungfräulicher Geburten einen perfekten Klon ihrer selbst nach dem anderen. «Jede Laus, die aus einem Ei schlüpft, hat am Ende des Jahres 20 Millionen Nachkommen», sagt Torsten Will, Biologe an der Justus-Liebig-Universität Giessen (D).

Rund 4000 Blattlausarten gibt es in Mitteleuropa, gut 500 davon kommen in der Schweiz vor. Es existieren vielerlei Arten: Blasenläuse wie die Blutlaus, Wurzelläuse wie die Reblaus, die, vor 150 Jahren aus Amerika eingeschleppt, die europäischen Winzer bis heute zu speziellen Anbaumethoden zwingt, und gallbildende Läuse wie die Grüne Fichtengallenlaus, deren Galle aussieht wie eine kleine grüne Ananas. Den Gärtner beschäftigen vor allem die sogenannten Röhrenblattläuse. Davon gibt es weltweit gut 2000 Arten.

Pro Sommer 40 Generationen

Je nach Art hat eine Blattlaus eine Lebenserwartung von 20 bis 40 Tagen. In dieser Zeit gebiert sie zwischen 20 und 100 Weibchen, die sich nach wenigen Tagen ebenfalls zu klonen beginnen. Thomas Steinger beschäftigt sich als Forschungsgruppenleiter bei Agroscope in Nyon mit Blattläusen. Der Biologe rechnet das Ausmass der Vermehrung vor: «In einem einzigen Sommer sind bis zu 40 Generationen möglich. Jede einzelne Blattlaus, die im Frühjahr geschlüpft ist, hat Tausende von identischen Nachkommen.» Eier legen die Blattläuse erst im Herbst wieder. Rechtzeitig werden die für die Paarung nötigen Männchen geboren.

Von Zeit zu Zeit wird bei Bedarf eine geflügelte Generation eingeschaltet, um schnell und effizient die Pflanze wechseln zu können. Das ist nötig, wenn die Population zu gross wird, Fressfeinde ihr auf den Fersen sind oder die Wirtspflanze serbelt. Dabei sind Blattläuse gar nicht schlecht zu Fuss und durchaus zielstrebig. Als Forscher der Universität Haifa (Israel) wissen wollten, wie vom Blatt gefallene Läuse ihre Wirtspflanzen wiederfinden, stellten sie fest, dass die Tiere weder auf Pflanzenattrappen aus Karton noch auf Pflanzenduft reagieren. Sie laufen tatsächlich auf Sicht und erkennen geeignete Pflanzen an ihrer Gestalt.

Im Rahmen dieser Versuche fiel den Wissenschaftlern noch etwas anderes auf: Egal, aus welcher Position eine Blattlaus von einer Pflanze fiel, sie landete stets auf den Füssen. Es zeigte sich: Blattläuse stechen jede Katze locker aus. Muss die sich blitzschnell in der Luft herumwinden, um richtig am Boden anzukommen, lässt die Blattlaus einfach Schwerkraft und Aerodynamik für sich arbeiten.

Effizient durch Minimalismus

Als Versuchskaninchen fürs Experiment dienten Erbsenläuse. Sie lassen sich – eine naheliegende, aber keineswegs risikoarme Technik – einfach fallen, wenn sie Fressfeinden entkommen müssen. Das kann danebengehen: Wenn die Laus in einem ungünstigen Winkel auf den Boden aufschlägt, überlebt sie den Sturz nicht. Das kam aber fast nie vor.

Um der Technik auf die Schliche zu kommen, installierten die Forscher eine Hochgeschwindigkeitskamera. Als «Sprungkissen» stellten sie eine Schüssel Gelee unter die Pflanze. Darin würden die Läuse in exakter Landeposition stecken bleiben. Dann setzten sie einen räuberischen Marienkäfer auf die Pflanze, an der die Läuse saugten. Praktisch alle Blattläuse, die ihr Heil im Sprung suchten, landeten auf den Füssen. Von den Läusen, denen man Gliedmassen entfernt hatte, tat das nur knapp ein Drittel.

Somit war klar, dass die Läuse einen Trick anwenden. Die Kamera enthüllte: Sie strecken lediglich Fühler und Hinterbeine so weit wie möglich nach oben. Diese Haltung bringt sie dank Luftwiderstand ganz von selbst in die perfekte Landeposition. Nach spätestens 13,7 Zentimetern Fall zeigten ihre Füsse nach unten, selbst wenn die Blattläuse vorher kopfüber vom Blatt getaumelt waren.

Aber nicht nur im freien Fall beweisen die Läuse Effizienz durch Minimalismus. Um an den Saft ihrer Wirtspflanze zu kommen, überlisten sie diese auf raffinierte Weise. Zuerst stechen sie ihr rüsselartiges Mundwerkzeug in die Leitbündel der Pflanze und damit direkt an die Quelle. Das ist nicht einfach: «Es dauert zwischen einer halben und zwei Stunden, bis die Blattläuse nach einer Reihe von Sondierungsbohrungen die Leitbündel gefunden haben», sagt Torsten Will. Durch die Leitbündel verteilen die Pflanzen die mittels Photosynthese gewonnenen Nährstoffe. Werden die Kanäle verletzt, verschliesst die Pflanze sie umgehend. So verhindert sie Nährstoffverlust und das Eindringen von Krankheitserregern.

Lausspeichel lässt Pflanzensaft fliessen

Doch die Blattlaus weiss sich zu helfen: Mit zweierlei Speichel sabotiert sie diesen Mechanismus. Torsten Will hat ihr genau auf das Mundwerkzeug geschaut und Folgendes beobachtet: «Sticht sie ein Leitbündel an, gibt sie erst einmal wässrigen Speichel hinein. Dieser enthält Komponenten, die Kalzium binden können. Denn Kalzium wird bei äusseren Verletzungen in die Leitbündel eingetragen und veranlasst den Verschluss der verletzten Siebröhre.»

Neben dem wässrigen Speichel produzieren die Läuse aber auch einen Gelspeichel, mit dem sie den Anstich abdichten und für den steten Fluss des Pflanzensafts sorgen.

Um sich zu ernähren, muss die Blattlaus nicht einmal aktiv saugen. Wegen des hohen Drucks in den Pflanzengefässen schiesst der Saft förmlich in sie hinein. Umso wichtiger ist es, dass sie mit dem Gel den Zufluss regulieren kann. Die Blattlaus agiert so als eine Art lebendes Ventil.

Rabiate Strategien der Ameisen

Der Saft der Pflanzen enthält viel Zucker, aber nur wenig Aminosäuren. Doch genau auf diese Eiweissbausteine ist die Blattlaus angewiesen. Um genug von diesen lebenswichtigen Stoffen zu bekommen, muss sie grosse Mengen Pflanzensaft durch sich hindurchleiten. Bakterien, die in der Laus leben, wandeln die Aminosäuren um, sodass sie sie verwerten kann.

Den gewaltigen Überschuss an Zuckerverbindungen scheidet das Insekt als Honigtau wieder aus. Das hat unangenehme Folgen für das Tier. Einerseits nutzen Schwärze- und Russtaupilze den Honigtau oft als Nährmedium. Anderseits freuen sich manche Ameisenarten so sehr darüber, dass sie sich ganze Blattlausherden halten, die sie regelmässig melken und im Gegenzug gegen Feinde verteidigen. Dieses Verhalten ist uralt. Es gibt Bernsteinfunde, in denen Blattläuse zusammen mit Ameisen eingeschlossen sind.

Zu den eifrigsten Melkerinnen gehören die Schwarzen Wegameisen. Sie halten sich besonders gerne Bohnenblattläuse, deren Hinterleib sie regelmässig auf der Suche nach Honigtau betrommeln. Was oft als Beispiel für das symbiotische Prinzip «eine Hand wäscht die andere» angesehen wird – Honigtau gegen Schutz vor Fressfeinden –, gleicht gnadenloser Sklavenhaltung: Die Ameisen zum Beispiel siedeln die Läuse auf Pflanzen um, die in bequemer Nähe zu ihrem Nest liegen.

Üblicherweise würden die Läuse fliegend abwandern, wenn ihre Population zu dicht wird. Nicht so unter der «Obhut» der Wegameisen. Die scheuen sich nicht, ihren Blattläusen die Flügel abzunagen, um jede Flucht zu vereiteln. Und eine Substanz, die die Ameisen an den Füssen absondern, hat den Effekt, dass Läuse, die beim Melken mit ihr in Berührung kommen, sich nur noch in Zeitlupe fortbewegen können.

Aber nicht nur Ameisen machen den Läusen das Leben schwer. Auch die Wirtspflanzen wehren sich. Manche produzieren Stoffe, die den Blattläusen so wenig bekommen, dass sie schleunigst geflügelte Nachkommen produzieren, um sich vom Acker zu machen.

Doch auch von allen Seiten bedrängt, hält die Blattlausfamilie zusammen. So hat man bei Erbsenblattläusen die grösstmögliche mütterliche Selbstlosigkeit beobachtet: Wird die Nahrung knapp, lassen sich adulte Läuse von den Nachkommen aussaugen. Verwandte Läuse lassen die Jungen dabei deutlich länger an sich saugen als nicht verwandte. Das hat die Forscher besonders erstaunt. Denn bisher hat niemand auch nur vermutet, dass Blattläuse überhaupt über ihren Verwandtschaftsgrad im Bilde sein können.

Aus der Laus: So entsteht Waldhonig

Waldhonig stammt nicht von blühenden Bäumen. Die Bienen sammeln das Rohmaterial dafür vom Hinterteil von Rinden- und Schildläusen, die sich an Nadelbäumen gütlich tun. Der Förster betrachtet die Laus als Forstschädling, der Imker eher als Lieferant. Die Läuse sondern die überschüssigen kohlenhydrathaltigen Anteile des Pflanzensafts, die sie nicht verwerten können, als sogenannten Honigtau ab. Die Menge des Waldhonigs ist vom Wetter abhängig. Ist es zu regnerisch, werden die Läuse dezimiert, ist es zu trocken, trocknet der Honigtau schneller, als ihn die Bienen sammeln können.

Je nach Lausart und Wirtsbaum entstehen unterschiedliche Geschmacksnoten. Und im Honigmagen der Biene wandelt sich das Gesammelte nochmals um. Erst wenn der Pflanzensaft die Mägen zweier verschiedener Insektenarten durchwandert hat, bekommt er seinen charakteristischen Waldhoniggeschmack.

Ohne Insektizid: Wie man Blattläuse bekämpft

Die beste Methode, die Blattläuse auf dem Balkon oder im Garten in Schach zu halten, besteht darin, möglichst viele Blattlausfeinde anzulocken, indem man ihnen genügend Unterschlupf bietet. Bewährt haben sich Florfliegenkästen, Insektenhotels und Totholzecken.

Manchmal zeitigt die biologische Schädlingsbekämpfung aber auch ungewollte Folgen. So haben die Asiatischen Marienkäfer, die wegen ihres Heisshungers auf Blattläuse in hiesigen Gewächshäusern eingesetzt wurden, vielerorts die einheimischen Marienkäfer praktisch verdrängt.

Tipps gegen die Blattlausplage:

  • Mischkultur statt Monokultur. Grosse Ansammlungen gleicher Pflanzen sollte man vermeiden.
  • Stickstoffdüngung sparsam einsetzen. Sie nützt nicht nur den Pflanzen, sondern auch den Läusen. 
  • Chemie schadet auch Nützlingen. Das Abwaschen der Pflanze mit seifiger Lösung oder Brennnesselsud ist ein bewährtes Mittel. Oft reicht es, die Läuse mit dem Schlauch von der Pflanze zu spritzen.