Damals im Paradies waren wir Menschen Vegetarier. Es gab Tiere, aber sie wurden nicht gegessen; es gab auch keinen Tod. Seit Adam und Eva sein wollten wie Gott, leben wir in der «gefallenen Schöpfung». Deshalb essen wir Fleisch. Ob das gut ist, weiss ich nicht. Schlecht ist aber, wie wir das heute tun: gierig, masslos und ohne Verantwortung.

Die Vision einer Schweiz ohne Fleisch mag überraschen. Besonders, wenn sie von mir stammt, einem bekennenden Teilzeit-Vegetarier, der zwischendurch auch mal Fleisch isst. Deshalb lese ich gerade Jonathan Safran Foers Buch «Tiere essen».

In einer Schweiz ohne Fleisch wäre es wohl tatsächlich einfacher. Wir müssten über dieses Thema nicht mehr streiten. Eine Schweiz ohne Tiere wäre aber auch langweilig und unvollständig. Genauso, wie eine Welt ohne Tiere öde und unvorstellbar wäre. Ich liebe Tiere, sie sind für mich ein wichtiger Teil der Schöpfung. Aber Menschen liebe ich noch mehr, ich könnte unmöglich Menschen essen. Weshalb ich dann Tiere esse? Vermutlich aus Tradition und aus Lust.

Wenn ich mit Kollegen auswärts essen gehe, bestellen die meisten Rindsfilet. Damit hatte ich immer schon Mühe. Als gelernter Koch – ich war unter anderem ein halbes Jahr lang auf dem Metzgerposten im Dolder Grand – weiss ich genau, wie viel Rind es für ein Rindsfilet braucht: Unmengen, krass. Deshalb esse ich sehr selten Filet, zu Hause nie.

Vegetarier sind nicht per se bessere Menschen. Auch Hitler soll kaum Fleisch gegessen haben. Allerdings leben viele Vegetarier verantwortungsvoller als die Fleischesser. Wir sollten uns endlich Gedanken machen und nicht einfach essen, worauf wir Lust haben. Wir sollten unsere Verantwortung gegenüber unserer Umwelt ernst nehmen. Daraus lassen sich unterschiedliche Konsequenzen ziehen: Die einen ernähren sich deshalb vegan, die anderen biologisch, wieder andere fahren kein Auto oder fliegen nicht in die Ferien. Die extremste kulinarische Form der Enthaltsamkeit ist wohl die Lichtnahrung. Damit «schadet» man niemandem, auch keiner Pflanze – ausser vermutlich sich selbst.

Solche «edlen» Gedanken sind nicht neu. Immer wieder wollten die Menschen das Paradies auf Erden schaffen. Zum Beispiel auf dem Monte Verità im Tessin, von wo aus zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vegetarier-Bewegung in Europa stark geprägt wurde.

Bei uns im Haus Hiltl servieren wir seit 112 Jahren kein Fleisch: Das waren bisher rund 50 Millionen Mahlzeiten. Wären wir ein normales Restaurant, hätten dafür zirka 10'000 Tonnen Tiere geschlachtet werden müssen. Aktuell haben wir täglich rund 2000 Gäste. Das sind also 400 Kilo Tier, die wir einsparen – jeden Tag.

Eigentlich brauchen wir ja gar kein Fleisch. Zumindest bei uns in der Schweiz nicht. Ich persönlich esse viel weniger Fleisch und auch weniger Fisch als noch vor 15 Jahren. In Anbetracht von Massentierhaltung und überfischter Gewässer empfinde ich das als normale Reaktion. Gelage mit viel Fleisch und Fisch sind ohnehin primitiv. Seit vielen Jahren bin ich passionierter Taucher. Entweder sehe ich heute weniger gut, oder es hat weniger Fische. Vermutlich trifft beides zu – aber Letzteres ist viel gravierender.

Deshalb stelle ich folgenden Antrag: Jeder, der Fleisch essen will, soll das Tier selber schlachten, ausnehmen, enthäuten und zerteilen. Ich mit meiner damaligen Kochlehre könnte das wohl. Darum würde ich vermutlich weiterhin Fleisch essen, allerdings bestimmt nochmals weniger.

Zu Urgrossvaters Zeiten wurde auch viel weniger Fleisch gegessen, vielleicht mal ein Sonntagsbraten. Meine Grossmutter erzählte mir einmal, dass sie in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs in ihrer Waschküche einem Schwein mit der Rasierklinge die Borsten entfernt und es nachher zerteilt hat. Wie muss das ausgesehen haben? Wie hat sich das angefühlt? Wer hat die Schweinerei nachher geputzt? Aber so ist es: Das ist Fleisch essen. Es hat mit Töten zu tun, mit Schlachten und mit viel Blut.

Als Fan von Tests schlage ich vor, dass wir Anfang Februar einen gemeinsamen Versuch machen: Wir essen eine Woche lang weder Fleisch noch Fisch – und schauen dann, ob wir noch leben.