Beobachter: Seit der Annahme der SVP-Zuwanderungsinitiative diskutiert die Schweiz besonders intensiv darüber, wie man die Zuwanderung einschränken könnte. Sie plädieren für das Gegenteil: ein Recht auf Einwanderung. Weshalb?
Martino Mona: Migration hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Versuche, dieses Phänomen durch Bürokratie einzuschränken, scheitern immer. Es ist ein natürlicher Vorgang, den es zu akzeptieren gilt. Nur totalitäre Staaten können Migration verhindern.

Beobachter: Sie klingen resigniert.
Mona: Wenn wir Migration ermöglichen, die vom Drang nach Freiheit getrieben wird, ist das keine Niederlage. Wir sind eine liberale Gesellschaft und werten Freiheit und Eigeninitiative sehr hoch. Es ist doch extrem widersprüchlich, wenn wir eine so grundlegende Freiheit wie das Recht auf freie Bewegung immer mehr einschränken. Es geht hier um Menschen, die dem Schicksal der Unfreiheit entkommen wollen, die ihr Glück suchen, so wie wir alle. Diesen Drang, frei zu sein, kann man nicht einfach mittels Bürokratie abstellen.

Beobachter: Sie vergleichen die heutige Situation in der Schweiz mit früheren Feudalherrschaften.
Mona: Es läuft nach dem gleichen Schema. Die Feudalherren haben der Unterschicht Freiheiten und Rechte vorenthalten, um aus selbstsüchtigen Gründen ihre Privilegien zu schützen: Sie wollten selber am meisten von der Natur und dem Reichtum des Landes profitieren. Sie dachten, das sei ihr gottgegebenes Recht. Heute versuchen wir Migranten auszugrenzen, um unsere Privilegien zu schützen. Diese Privilegien verdanken wir aber einem Zufall – der Geburt als Schweizer oder Schweizerin.

Beobachter: Ein Recht auf Einwanderung ist doch idealistisch. Das lässt sich kaum in Realpolitik umsetzen.
Mona: Zunächst sollten wir von der Vorstellung wegkommen, Einwanderung sei etwas Unrechtes. Es ist ein grundlegendes Freiheitsrecht. Nach den gravierenden Rückschlägen für das Ideal der Freiheit muss sich aber erst das Denken ändern – hier tragen wir eine enorme Verantwortung. Viele Menschen sind egoistisch. Man wehrt sich instinktiv gegen Fremdes, fürchtet um das Eigene. Fremde Menschen nerven, sie nehmen einem Raum und Ruhe, um die eigenen Privilegien geniessen zu können. Diese selbstsüchtige Gefühlslage ist aber keine Basis für eine Gesellschaft. Erst indem sich immer wieder genügend Menschen gegen diese Tendenz stemmen und der Egoismus schrittweise überwunden wird, kann eine erfolgreiche, lebenswerte Gemeinschaft von Menschen entstehen.

Beobachter: Denken Sie, dass es zu einem Umdenken kommen wird?
Mona: Ja, eindeutig.

Beobachter: Wieso sind Sie so sicher? Die nationalistischen Bewegungen werden derzeit stärker.
Mona: Es wird schwierig sein. In keinem anderen Bereich lässt sich eine Gruppe so präzise ausgrenzen: Jeder Schweizer Bürger kann sicher sein, dass er hierzulande nie zur Gruppe der Ausländer gehören wird. In der Migrationspolitik kann man deshalb Rechte und Freiheiten hemmungslos einschränken, ohne befürchten zu müssen, selber davon betroffen zu werden.

Beobachter: Die Welt ist nun einmal nicht gerecht. Ist es nicht etwas Natürliches, dass man sein Eigenes schützen will?
Mona: Die Welt ist für uns sehr gerecht. Wir haben keinen Grund zu klagen. Andere Menschen schon. Kaum jemand gibt gern Privilegien auf – man muss es lernen. Noch vor etwas mehr als 100 Jahren ging es um den Schutz von Privilegien vor einer Invasion von Kantonsfremden. Ähnlich wie heute die Personenfreizügigkeit in Europa bekämpfte man damals die Niederlassungsfreiheit, die schweizweit eingeführt wurde. Kantonsfremde wurden marginalisiert, die Mentalitätsunterschiede beklagt. Man fürchtete die Überbevölkerung und die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.

Beobachter: Die Politik reagierte damals auf diese Sorgen aber anders als heute.
Mona: Ja, sie verteidigte kompromisslos das Recht auf freie Migration und betonte, dass in der Niederlassung von Kantonsfremden keine Gefahr bestehe – es gäbe keinen Grund, Massnahmen zu ergreifen. Hätten die Politiker von damals nach dem Mantra von heute die Ängste der Bevölkerung ernst genommen, wären wir immer noch damit beschäftigt, die Invasion von Kantonsfremden in den Griff zu bekommen.

Beobachter: Die Migration innerhalb der Schweiz ist von Natur aus begrenzt. Mit offenen Grenzen könnten jedoch Millionen Menschen in die Schweiz ziehen.
Mona: Jede Migration ist von Natur aus begrenzt. Wer nach Europa auswandern will, tut das schon heute. Ob die Schweiz offene oder geschlossene Grenzen hat, ändert wenig. Es ist nicht so, dass da noch Millionen von Menschen wären, die nur darauf warten, bis wir unsere Grenzen öffnen, um dann migrieren zu können.

Beobachter: Es ist schwierig zu glauben, dass nicht mehr migrieren würden.
Mona: Es lässt sich schlecht beweisen, weil es heute kein Land mit einer wirklich liberalen Migrationspolitik gibt. Aber wenn man zurückschaut in Zeiten, als die Migration weitgehend frei stattfinden konnte – da kamen keine Massen, obschon sehr viele Menschen migrierten. Menschen, die auswandern wollen, lassen sich nicht von unserer Bürokratie aufhalten. Das sind Menschen, die zum Teil das Risiko in Kauf nehmen, im Meer zu ertrinken, weil sie weit entfernt die Möglichkeit sehen, ein besseres Leben zu führen.

Beobachter: Und wenn Sie falschliegen und die Massen doch kommen?
Mona: Kein Recht gilt uneingeschränkt. Das Recht auf Einwanderung kann im Einzelfall eingeschränkt werden. Einschränkungen sind aber nur in Ausnahmefällen zulässig und müssen sehr gut begründet werden.

Beobachter: Viele Menschen fürchten sich nicht nur vor einer Überbevölkerung, sondern auch vor einer steigenden Kriminalität.
Mona: Wer sich nicht an Strafgesetze hält, muss hart und seiner Tat entsprechend bestraft werden. Die Herkunft des Täters darf hier grundsätzlich keine Rolle spielen. Aber Kriminalstrafen sind nicht in erster Linie da, um Verbrechen zu verhindern – sie sollen Unrecht ausgleichen. Und im Übrigen stimmt es nicht, dass Kriminalität stetig zunimmt und unsere Gesellschaft deswegen vor dem Abgrund steht.

Beobachter: Glauben Sie, dass bei einer Öffnung der Grenzen die Schweizer Identität verloren ginge?
Mona: Wir können nur die Freiheit verlieren – die Überzeugung, dass Freiheit das höchste Gut ist, das nicht nur ein paar Privilegierten zusteht. Das ist für mich Schweizer Identität. Das verwässern wir nicht durch Liberalisierung, sondern durch immer mehr Verbote und Anfeindungen. Wir sollten uns weniger fürchten und nicht immer nach einem allmächtigen Staat rufen, der uns vorbeugend vor allen nur denkbaren Gefahren schützen soll. Die eigentliche Gefahr für die Schweiz ist nicht Einwanderung, sondern ein Übermass an Gesetzen, die die Freiheit einschränken.