Werden Schwule, Lesben und Bisexuelle bald besser vor Hetze geschützt? Am 9. Februar ist die Schweizer Stimmbevölkerung aufgerufen an der Urne über die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf sexuelle Orientierung zu entscheiden. Konkret wird in den Abstimmungsunterlagen diese Frage gestellt: «Wollen Sie die Änderung vom 14. Dezember 2018 des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung) annehmen?»

Was ist die Anti-Rassismus-Strafnorm?

1971 hiess der Bundesrat den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung gut. 1989 schliesslich eröffnete die Regierung das Vernehmlassungsverfahren zum Beitritt und zur entsprechenden Anpassung des Schweizer Strafrechts. Das Parlament stimmte zu, es wurde jedoch das Referendum ergriffen. Das Argument der Gegner: Die Meinungsäusserungsfreiheit werde eingeschränkt und der Artikel fördere die «Gesinnungsschnüffelei». 1994 stimmte die Schweiz ab – das Gesetz wurde mit 54,6 Prozent angenommen. Um die Konvention umzusetzen wurde daraufhin die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus geschaffen. 

Die Strafnorm gegen Rassendiskriminierung schützt die Würde der Menschen. Seit ihrer Einführung ist es strafbar, öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufzurufen oder Völkermorde oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit grob zu verharmlosen oder zu leugnen. Auch darf man keine Leistungen, welche für die Allgemeinheit bestimmt sind, wegen Rasse, Ethnie oder Religion verweigern. 
 

Über was stimmen wir jetzt ab?

Das Parlament beschloss im Dezember 2018, den Schutz vor Diskriminierung im Schweizer Strafrecht zu erweitern. Bundesrat und Parlament wollen nun, dass auch die sexuelle Orientierung (Homo-, Hetero- und Bisexualität) neben Rasse, Ethnie und Religion in die Anti-Rassismus-Strafnorm aufgenommen wird, weil es immer wieder vorkommt, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung in der Öffentlichkeit verbal oder tätlich angegriffen werden. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, weshalb wir am 9. Februar 2020 darüber abstimmen. 

Was hat das Militärstrafgesetz damit zu tun?

Das Militärstrafgesetz regelt das Strafrecht im militärischen Bereich und ist getrennt vom zivilen Strafgesetz. Vieles im allgemeinen Teil des Militärstrafgesetzes ist aber deckungsgleich mit dem zivilen Strafrecht, es beinhaltet wortwörtlich dieselbe Passage zur Anti-Rassismus-Strafnorm wie das zivile. Bei einer Erweiterung des Schutzes vor Diskriminierung auf die sexuelle Orientierung muss also sowohl der Artikel 261 im zivilen Strafgesetzbuch wie auch der Artikel 171 des Militärstrafgesetzes angepasst werden. 

Wer ist gegen das Gesetz?

Gegner hat das Gesetz vor allem im rechts- und nationalkonservativen Lager. Die Eidgenössisch-Demokratische Union EDU ergriff schliesslich gemeinsam mit der Jungen SVP das Referendum. Ebenfalls die Nein-Parole beschlossen hat die SVP. Unterstützt wird das Referendums-Komitee von verschiedenen Organisationen, die sich etwa gegen Abtreibung, die «Ehe für Alle», Sterbehilfe oder Organspende engagieren, sowie vom Magazin «Schweizerzeit» der beiden SVP-Altnationalräte Ulrich Schlüer und Hans Fehr. Auch das Komitee «Sonderrechte Nein» rund um den homosexuellen SVP-Politiker Michael Frauchiger lehnt die Erweiterung ab.

Wer ist für das Gesetz?

Der Bundesrat sowie beide Kammern des Parlaments sind für die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm. Unterstützt wird das Pro-Komitee von FDP, CVP, GLP, BDP, Grünen und SP sowie diversen Menschenrechtsorganisationen und Schwulen- und Lesbenorganisationen, dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund, der Organisation Pro Familia, dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, dem Bund Schweizerische Frauenorganisationen Alliance F, der Aids-Hilfe Schweiz sowie vielen weiteren Organisationen. 

War Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bisher noch nicht verboten?

Jein. Schwule, Lesben, Bi- und Heterosexuelle sind heute zwar als Einzelpersonen im Straf- und Zivilgesetz gegen Persönlichkeits- und Ehrverletzungen geschützt. Für Gruppen gilt das aber nicht. Das heisst, dass eine öffentliche Aussage, die zu Hass und Diskriminierung animieren könnte, wie «Alle Schwulen sind abartig», heute nicht verboten sind. Wenn «die Homosexuellen» als Gruppe beschimpft oder diskriminiert werden, können sich Betroffene deshalb nur ungenügend wehren, wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement festhält.

Was soll konkret verboten werden?

Diskriminierendes Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung wäre künftig strafbar, wenn es folgende drei Bedingungen erfüllt:

1. Es passiert in der Öffentlichkeit
2. Es erfolgt vorsätzlich, sprich der Täter oder die Täterin weiss, dass damit jemand anderes herabgewürdigt wird. 
3. Es verletzt die Menschenwürde, respektive spricht Personen Rechte ab oder bezeichnet sie als minderwertig. 

Zudem würden Propaganda oder Aufrufe zu Hass gegen Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung strafbar. Und niemand darf jemandem wegen der sexuellen Orientierung öffentlich angebotene Leistungen verweigern, wie zum Beispiel den Eintritt ins Kino oder ins Schwimmbad oder eine Hotelübernachtung. 

Wann ist eine Äusserung öffentlich?

Darüber, was private und öffentliche Aussagen Antirassismusgesetz Was darf man noch sagen? Und was nicht? sind, gehen die Meinungen auseinander. Für rassistische Handlungen definiert die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus es so: «Als öffentlich sind Äusserungen und Handlungen anzusehen, die nicht in einem Umfeld erfolgen, das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen (wie z.B. im Familien- und Freundeskreis) auszeichnet. Ob das Kriterium der Öffentlichkeit gegeben ist, hängt von den situativen Umständen ab.»

Die Gegner sprechen von einer «bedrohten Stammtisch-Kultur», weil sie fürchten, dass auch was man am Stammtisch sagt als öffentlich eingestuft werden könne, wenn es jemand am Nebentisch mitbekommt. In der Rechtsprechung des Bundesgerichts werde der Öffentlichkeitscharakter so ausgelegt. Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bundesrat allerdings, Äusserungen am Stammtisch würden nicht verboten.

Wie hoch sind die Strafen?

Beim Verstoss gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm handelt es sich um ein Offizialdelikt, sprich die Behörden sind verpflichtet, den Sachverhalt zu prüfen und allenfalls strafrechtlich zu verfolgen. Ein Verstoss kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden.

Was sind die Argumente der Gegner?

Die Gegner nennen die Vorlage ein «Zensurgesetz» und spielen damit hauptsächlich auf die Meinungsfreiheit an. Sie sehen diese durch das Gesetz gefährdet und fürchten ein Ende der Stammtisch-Kultur sowie zensierten Humor. Zu Recht seien Hass und Diskriminierung in der Schweiz verpönt und Homosexuelle seien längst gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft, heisst es im Argumentarium: «Sie haben es nicht nötig, per Gesetz zu einer vermeintlich schwachen und schützenswerten Minderheit degradiert zu werden.» Zudem kritisieren die Gegner, dass es mit dem Gesetz künftig verboten wäre, Leistungen an Schwule, Lesben und Bisexuelle zu verweigern. Das greife in die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Privaten ein. Sie argumentieren, das Gesetz sei ein «gefährliches strafrechtliches Instrument in den Händen von Interessensgruppen, die politische oder weltanschauliche Ansichten aus dem demokratischen Diskurs verdrängen wollen», um die Bürger auf ihre ideologische Linie zu zwingen. 

Was sind die Argumente der Befürworter?

Die Befürworter finden, die Meinungsfreiheit werde durch die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm keineswegs eingeschränkt. Kontroverse Debatten und kritische Meinungen, zum Beispiel über die «Ehe für alle», seien immer noch möglich. Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagte: «Wir halten die Meinungsfreiheit hoch, aber sie ist kein Freipass für Hetze und Diskriminierung. Die erweiterte Strafnorm ändert daran nichts.» 

Es sei gerade heute besonders nötig, den Schutz für Schwule, Lesben und Bisexuelle zu verbessern, schreibt der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein. Denn die Anonymität des Internets lasse die Hemmschwelle für die Äusserung von Hass sinken und über die sozialen Medien können innert Kürze viele Menschen erreicht werden. Die Zustimmung habe eine wichtige Signalwirkung für die Grundrechte und die Menschenwürde in der Schweiz. 

Das Komitee «Ja zum Schutz vor Hass» weist zudem auf die erhöhte Suizidrate von schwulen, lesbischen oder bisexuellen Jugendlichen hin – sie sei rund fünf Mal so hoch wie bei heterosexuellen Jugendlichen.

Muss ein Hotelier jetzt gegen seinen Willen homo- oder bisexuelle Gäste aufnehmen?

Die Gegner des Gesetzes stören sich an der Bestimmung im Gesetz, dass es künftig strafbar wäre, eine Dienstleistung zu verweigern, die für die Allgemeinheit bestimmt ist. Sie nennen als Beispiele den Bäcker, der sich weigern will, einem gleichgeschlechtlichen Paar eine Hochzeitstorte zu backen oder den Betreiber eines christlichen Hotels, der nur an verheiratete heterosexuelle Paare Zimmer vergeben will. 

Tatsächlich gibt es für Unternehmen eine Änderung: Genauso wie es heute schon verboten ist, Juden wegen ihrer Religion in einem Restaurant nicht zu bedienen und Schwarze wegen ihrer Hautfarbe den Zutritt zum Schwimmbad zu verwehren, wäre es künftig strafbar, eine Dienstleistung aufgrund der sexuellen Orientierung und ohne weiteren sachlichen Grund zu verweigern. Aber niemand muss gegen seinen Willen Dienstleistungen ausführen, denn es gilt Vertragsfreiheit, wie das Bundesamt für Justiz festhält: «Es besteht kein Anspruch auf Abschluss eines Vertrags. Gestützt auf die Vertragsfreiheit darf grundsätzlich jede Person Verträge abschliessen, mit wem sie will, ohne dies begründen zu müssen.» 

Wieso sollen Homo- und Bisexuelle besser geschützt werden, aber nicht andere Personengruppen wie Alte oder Übergewichtige?

Die Gegner kritisieren eine gewisse Zufälligkeit bei der Erweiterung des Gesetzes. Auch jemand, der eine bestimmte Sprache spricht oder eine bestimmte Haarfarbe hat, könne besser geschützt sein wollen. 

Das Bundesamt für Justiz schreibt dazu: «Die Bundesverfassung verbietet Diskriminierungen generell – namentlich wegen körperlichen Merkmalen wie Rasse, Geschlecht, Alter oder auch Behinderungen, aber auch wegen Herkunft, Sprache oder Lebensform.» Es gebe aber spezifische Gründe für die aktuelle Erweiterung: «Das Parlament hat aufgrund der gesellschaftlichen Realitäten entschieden, neben Diskriminierung aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion auch solche aufgrund der sexuellen Orientierung explizit unter Strafe zu stellen.»

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Tina Berg, Redaktorin
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