Update vom 27. Juni 2019

Bundesrat stellt E-Voting zurück

Der Bundesrat zieht die Konsequenzen aus der massiven Kritik am E-Voting: Er will die elektronische Abstimmung vorerst nicht als ordentlichen Stimmkanal zulassen.

Seinen Entschluss begründet er mit den Rückmeldungen aus der Vernehmlassung. Zwar hatte sich die Mehrheit der Kantone für die Überführung des E-Voting in den ordentlichen Betrieb ausgesprochen, die Parteien hielten den Schritt jedoch für verfrüht oder lehnten in ganz ab, schreibt der Bundesrat in einer Mitteilung.

Aufgegeben habe man das E-Voting aber nicht. Der Bundesrat hat die Bundeskanzlei beauftragt, bis Ende 2020 mit den Kantonen einen neuen Versuchsbetrieb aufzugleisen.

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2019 sollte das Jahr werden, in dem die Schweiz erstmals per Mausklick ihr Parlament wählen kann. Zwei Drittel der Kantone sollen bei den National- und Ständeratswahlen die elektronische Stimmabgabe anbieten können, ist das Ziel des Bundesrates. Doch jetzt könnte 2019 das Jahr werden, in dem E-Voting beerdigt wird.

Seit 19 Jahren tüftelt die Schweiz an der elektronischen Stimmabgabe herum. Der Bundesrat betrachtet sie als wichtigen Schritt hin zum E-Government, der digitalisierten Behörde. Bis heute haben bereits 15 Kantone E-Voting in verschiedenen Varianten getestet. Nach und nach wurde die Technik in den letzten Jahren weiterentwickelt, um die Anforderungen des Bundes zu erfüllen: Dass das Stimmgeheimnis gewahrt wird, dass man seine Stimmabgabe nachprüfen kann, dass das System Fehler oder Manipulationsversuche erkennt und nachverfolgt. Ob und wann E-Voting definitiv eingeführt wird, sei allein eine technische Frage, dachten viele.

Fünfjähriges E-Voting-Moratorium gefordert

Jetzt aber ist E-Voting zum Politikum geworden. In den letzten Monaten hat sich eine breite Gegnerschaft formiert. Ihr Anführer ist der Chaos Computer Club, eine Vereinigung von Hackern, die sich weltweit für Datenschutz und Computersicherheit einsetzt. E-Voting sei unsicher, manipulierbar Hacker Der digitale Raubzug auf die Schweiz und eine Gefahr für die Demokratie, ist er überzeugt.

Der Chaos Computer Club will E-Voting verbieten – und immer mehr Politiker schliessen sich ihm an, von rechts bis links. Mit Initiativen und Vorstössen wollen sie erreichen, dass die elektronische Stimmabgabe zumindest die nächsten fünf Jahre nicht zum Einsatz kommt.

In Europa fast überall wieder verworfen

Die Befürworter sehen in E-Voting ein neues Angebot für die Stimmbürger. «Es ist unabhängig von Zeit und Ort und entspricht der Mobilität der Leute», sagt Barbara Schüpbach, Staatsschreiberin von Basel Stadt. In ihrem Kanton können Auslandschweizer und Menschen mit Behinderung bereits übers Internet abstimmen. Allerdings hat das Basler Parlament Mitte Februar die Pläne der Regierung gestoppt, E-Voting auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten.
 

«Man muss dazu gar nicht das E-Voting-System im Kern knacken, sondern umgeht einfach die Sicherheitsschranken.»

Hernani Marques, Chaos Computer Club


Denn für die Gegner bringt E-Voting hohe Kosten und kaum Nutzen: Die Stimmabgabe werde nicht einfacher, die Stimmbeteiligung habe sich bei den bisherigen Versuchen nicht erhöht. Nicht von ungefähr hätten alle anderen europäischen Länder ausser Estland ihre E-Voting-Projekte wieder verworfen.

Quellcode der Post geleakt

Streitpunkt der Debatte ist jedoch nicht der Nutzen, sondern die Sicherheit Digitale Sicherheit «E-Voting ist der beste Weg, um die Demokratie abzuschaffen» . So begründeten auch die Basler Parlamentarier ihren Stopp-Entscheid mit «Unsicherheiten».

Ganz vereinfacht gesagt, funktioniert die elektronische Stimmabgabe so:

  • Die Stimmberechtigten erhalten Codes per Post, mit denen sie sich ins Abstimmungssystem einloggen und digital abstimmen können.
  • Danach können sie wiederum mit Codes ihre Stimmabgabe verifizieren.
  • Das System trennt dann in mehreren, voneinander unabhängigen Schritten die Verbindung zwischen Stimme und Absender.
  • Zum Schluss wird die bisher verschlüsselte Stimme wiederum in mehreren, unabhängigen Schritten entschlüsselt und gezählt.


Zurzeit gibt es für E-Voting in der Schweiz zwei Systeme. Der Kanton Genf hat im Herbst jedoch entschieden, seine Software nicht weiterzuentwickeln, nach eigenen Aussagen wegen der Kosten. Somit wird künftig nur noch das System der Schweizer Post im Einsatz stehen. Auch dieses sorgt jedoch für negative Schlagzeilen: In den kommenden Wochen sollen Hacker aus aller Welt das System testen. Allerdings bekommt den Quellcode der Software nur, wer sich registriert und Nutzungsbedingungen akzeptiert. Unbekannte haben es nun aber bereits vor dem Start des Tests geschafft, den Quellcode zu veröffentlichen.

«Egal mit welchem System, es ist unmöglich, beim E-Voting die Sicherheit zu gewährleisten», sagt Hernani Marques vom Chaos Computer Club. Sein Verein hat im Schweizer Fernsehen gezeigt, wie man im Genfer System eine elektronische Stimmabgabe sabotieren kann. Dabei leitete er einen beispielhaften Wähler auf eine gefälschte Website um. In der Realität wäre dessen Stimme verloren gewesen. «Uns geht es darum zu zeigen, dass das Internet tausende Möglichkeiten bietet, um eine Wahl zu manipulieren. Man muss dazu gar nicht das E-Voting-System im Kern knacken, sondern umgeht einfach die Sicherheitsschranken.» Den Hackertest der Post empfindet er deshalb als sinnlos.

«Jede Manipulation würde bemerkt»

Eric Dubuis, Professor für Informatik an der Berner Fachhochschule, hält dagegen: «Wir können Angriffe nicht verhindern, aber wir können sie entdecken.» Sein Team hat am Genfer Programm mitgearbeitet und prüft zurzeit das System der Post. Durch die Verifizierungscodes könne jeder Stimmbürger kontrollieren, ob seine Stimme richtig ins System eingeht, sagt Dubuis. Auch jede einzelne Entkopplung und Entschlüsselung könne verifiziert werden, ebenso dass die Stimme gezählt wird. «Jede Manipulation würde bemerkt, weil dann die Prüfcodes nicht übereinstimmen.» Ein Angreifer müsste alle einzelnen Entkoppler und Entschlüssler gleichzeitig unterwandern, ebenso die verschiedenen unabhängigen Prüfsysteme. Für den Chaos Computer Club eine reale Gefahr. Dubuis sagt dagegen: «Das ist praktisch ausgeschlossen.»

Glaubt man den Ergebnissen noch?

Für Laien ist es somit eine Glaubensfrage, ob sie das Abstimmen übers Internet für sicher halten oder nicht. Beim Chaos Computer Club befürchtet man, dass viele E-Voting-Gegner Abstimmungsergebnisse anzweifeln werden, wenn elektronische Stimmen in sie einfliessen.

Uwe Serdült, Politologe am Zentrum für Demokratie in Aarau, sieht diese Gefahr jedoch nicht. «Das trifft höchstens auf eine kleine Minderheit zu.» Bei der grossen Mehrheit werde die Akzeptanz für E-Voting mit der Zeit steigen, solange es nicht zu Unregelmässigkeiten kommt.

Zwei Drittel der Bevölkerung sind für E-Voting

Serdült sieht die Gegner nur in den Medien im Aufwind. In der Bevölkerung sei die Stimmung anders: Zwei Drittel der Befragten sprechen sich für die Einführung von E-Voting aus. Das ergab eine Umfrage im Kanton Aargau im letzten Herbst. Besonders bei den unter 60-Jährigen ist die Zustimmung hoch. Ob Mann oder Frau, aus der Stadt oder vom Land, spielt kaum eine Rolle. Je stärker jemand einen digitalen Lebensstil Hackerangriffe Wie sicher ist E-Banking? pflegt, desto eher befürwortet er die Stimmabgabe per Handy oder Laptop. «Ich glaube darum nicht, dass die angekündigten Stopp-Initiativen eine Chance haben.» 

Sollte es hingegen tatsächlich zu einem fünfjährigen Moratorium kommen, sei die elektronische Stimmabgabe am Ende. Die Sicherheitstechnik des Systems sei auf einem solch hohen Stand, dass man nichts mehr grundlegend verbessern könne, sagt Serdült. «Dann müsste man anerkennen, dass die Schweizer E-Voting grundsätzlich nicht trauen und deshalb nicht wollen.»

E-Voting: So geht's weiter

Der Bundesrat will die elektronische Stimmabgabe als dritten Stimmkanal verankern, zusätzlich zur Brief- und Urnenwahl. Bis im April läuft die Vernehmlassung für die Teilrevision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte. Das heisst, Parteien und Verbände haben bis dann Zeit, sich dazu zu äussern und Änderungsvorschläge einzubringen. Das Gesetz schreibt vor, welche Bedingungen eine Abstimmung oder Wahl per E-Voting erfüllen muss. Ob E-Voting letztlich eingeführt wird, entscheidet jeder Kanton für sich.

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Raphael Brunner, Redaktor
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