Solange Othmar Wirth, 53, heimlich nach Zürich in den Ausgang fährt, ist es der katholischen Kirche egal, mit wem der Pfarrer aus dem Solothurnischen unter die Bettdecke kriecht. Doch dann sagt Wirth in der Sonntagspredigt: «Ich bin homosexuell. Gott wollte es so.» Seither ist der Teufel los.

Nicht dass die Schäfchen entsetzt wären. Pfarrer Wirth ist in Luterbach und Flumenthal ausserordentlich beliebt: Der Stapel mit den positiven Reaktionen auf sein Coming-out ist sechsmal grösser als jener mit den Schmähbriefen.

Kurt Koch, einst Studienkollege von Wirth und heute Bischof des Bistums Basel, weiss seit langem von Wirths Homosexualität. Doch dass sich erstmals in der Schweiz ein katholischer Pfarrer öffentlich dazu bekennt, geht dem Oberhirten zu weit.

Da hilft auch nichts, dass Wirth zuvor mit dem bischöflichen Personalchef vereinbart hat, sein Priesteramt per Ende Februar 2002 abzugeben. An Allerheiligen kanzelt der Bischof seinen Untergebenen im Fernsehen ab und stellt ihn nach 26 Jahren im Dienst der Kirche über Nacht kalt. Eine Beerdigung am nächsten Tag darf Wirth nicht mehr durchführen.

«Die ganze Einstellung der Kirche zur Sexualität ist lebens-, körper- und lustfeindlich», kritisiert Othmar Wirth. Darunter hat er jahrelang gelitten. Die Folgen: Depressionen und verschiedene Süchte. Letzten Herbst entscheidet er sich gegen das Doppelleben – nicht nur sich selbst zuliebe, sondern um den vielen Priestern in der gleichen Situation Mut zu machen.

«Jesus verurteilt niemanden. Seine Botschaft lautet: Lebe dein Leben», sagt Wirth an die Adresse der konservativen Geistlichen. Wirths Chef will das offenbar nicht hören – zu einem Gespräch mit Bischof Koch ist es bis heute nicht gekommen.

Jetzt sucht Wirth eine neue Stelle im Sozialbereich. «Oder ich realisiere meinen Traum und mache eine Bar auf.»