Die Prototypen sehen aus wie hellbraune Backsteine und riechen nach Grosis Estrich. Doch sie könnten das Industriematerial der Zukunft sein. «Es ist ein extrem vielversprechendes Material, dessen Potenzial wir noch gar nicht richtig abschätzen können», sagt ETH-Architekt Felix Heisel schwärmend.

Die Blöcke bestehen aus Mycelium, dem Wurzelwerk von Pilzen, und aus Landwirtschaftsabfällen. Sie sind etwas schwerer als Styropor, die Textur ähnelt der von Holzspanplatten. «Der Pilz kann unabhängig von Ort und Klima angebaut werden und ist fast überall auf dem Planeten ohne Transport herstellbar und verwendbar», sagt Heisel. Seine Produktion verbraucht kaum Energie, und nach dem Gebrauch verrottet er. Ein nachwachsender Rohstoff also, der in Zukunft sogar Plastik ersetzen könnte, für dessen Produktion die endliche Ressource Erdöl bisher unabdingbar ist.

Einer der Ersten, der mit dem Werkstoff Pilz forschte, ist der Künstler und Erfinder Phil Ross aus San Francisco. In den achtziger Jahren fiel ihm beim Sammeln von Pilzen auf, wie diese sich von Bäumen ernähren und dabei ein dichtes Netz von Fasern bilden. Er begann zu recherchieren. Bei seinen Versuchen fand er heraus, dass Pilze Holz in Zellen transformieren und sich diese wiederum zu einem dauerhaften Netz verweben. «Derart dicht und fest, dass die Zellverbindungen härter sind als Zement», sagt Ross.

Das demonstriert der 50-Jährige in einer Kurzdokumentation, finanziert von einem Autohersteller: Ross zerquetscht mit einem Ziegelstein aus Pilzen einen Becher aus Metall. Das Mycelium zerbricht weniger leicht als Zement und ist sogar schwimmfähig.

Katzenfutter und Energydrinks

Die Herstellung eines Pilz-Backziegels ist recht simpel. Man suche einen geeigneten Pilz, etwa den Glänzenden Lackporling, den Ross hauptsächlich verwendet – geeignet ist aber auch Austernpilz oder Zitronenseitling – Mycelium produzieren sie alle. Man fülle Pilzgewebe in ein Glas und reichere es mit Leckereien wie Agrarabfällen, Baumwolle, Katzenfutter, Stroh, Holz, Zucker oder Energydrinks an. «Der Pilz ist nicht so wählerisch», sagt Phil Ross. Entscheidend ist eine ausgewogene Ernährung mit genug Kalzium, Proteinen und Vitaminen.

Daraufhin lasse man das Mycelium drei bis sieben Tage wachsen und fülle es dann in die gewünschte Backziegelform. Für die einwöchige Trocknung wird das Material wieder aus der Form geklopft. Anschliessend bäckt man es im Ofen. Ganz ohne zusätzliche Energie kommt der Pilz-Backstein also nicht aus.

Der Backprozess tötet die noch lebenden Zellen ab – andernfalls wächst der Pilz einfach weiter. Das kann aber erwünscht sein: Zwei ungebackene Mycelium-Backsteine, die 24 Stunden aufeinanderliegen, wachsen zusammen – und machen synthetische Bindemittel überflüssig. Das zeigt sich an den Prototypen, die Phil Ross der Zürcher ETH zur Verfügung gestellt hat.

In New York hat sich mit Ecovative Design bereits eine Firma spezialisiert, die seit Ende der nuller Jahre kompostierbares Verpackungsmaterial produziert, etwa für den Versand von Computern. Auch Möbel, Lampen und Wanddekorationen werden mittlerweile aus Pilz hergestellt; an Schuhsohlen und Yogamatten arbeitet das Start-up noch. Phil Ross und seine Firma Mycoworks produzieren und verkaufen gar Pilzstühle. In der San Francisco Bay wurden zudem vorübergehend Schiffsbojen aus Mycelium eingesetzt.

Von der Wegwerf- hin zur Kreislaufgesellschaft: Dirk Hebel und Felix Heisel von der ETH Zürich erforschen nachwachsende Ressourcen.

Quelle: Kilian J. Kessler
«Viele finden Pilze gruselig»

«Konkurrenzfähig ist Mycelium allerdings noch nicht», sagt Ross. «Viele bringen Pilze mit etwas Gruseligem in Verbindung, das sie sich nicht als Möbel oder Hauswand vorstellen wollen.» Die Gesellschaft habe sich auf die Ressource Erdöl eingeschossen und sei entsprechend abhängig und verletzlich. Das Erdöl hält den globalisierten Laden auch im 21. Jahrhundert quasi blind am Laufen – mit Benzin, Plastik, Pestiziden, mit Asphalt, Parfüms und Kondomen. «Längst werden Kriege um Rohstoffe geführt», sagt Heisel.

Kupfer gebe es inzwischen mehr in den Städten als in den noch vorhandenen Kupferminen, und gemäss den Berechnungen des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sind diese Reserven in 24 Jahren aufgebraucht.

Wenn den Inseln der Sand ausgeht

Ähnlich beim Sand: In Südostasien sind in den letzten Jahren ganze Inseln verschwunden, weil vor allem die Bauindustrie nicht auf Sand verzichten kann. Es findet sich wie Erdöl in zig Alltagsprodukten, etwa in Elektronik, Gummi, Glas, Porzellan oder Zahnpasta. Weil die Reserven schrumpfen, sei es höchste Zeit für ein Umdenken: «von der Wegwerf- hin zur Kreislaufwirtschaft». Die heutige Bauindustrie produziere, verbrauche und werfe weg. «Dabei sollten wir uns bereits vor der Produktion fragen, was mit dem Material passiert, wenn es seinen Zweck einst erfüllt hat.»

Auf diese Frage sucht Felix Heisel an der ETH mit über einem Dutzend Forscherinnen und Forschern nach Antworten. Das Team um Professor Dirk Hebel besteht aus Architekten, Bau- und Bioingenieuren, Material- und Energiewissenschaftlern und Holztechnikern. «Unsere Forschung ist heute sehr schnell, weil wir interdisziplinär arbeiten», sagt Heisel, der zuvor in Äthiopien und Singapur gewirkt hatte. Mit beiden Ländern steht die Professur von Dirk Hebel in engem Kontakt. Die Zürcher Forscher sind daran, Methoden zu entwickeln, mit denen bestehende Materialien noch besser wiederverwendet werden können. Und sie untersuchen nachwachsende Ressourcen auf ihre Baufähigkeit, darunter Bakterien, Bambus und eben Pilze.

Bei den Pilzen steht man allerdings noch ganz am Anfang. Felix Heisel und seine Leute haben erst Versuche zur Zug-, Druck- und Biegefähigkeit von Mycelium durchgeführt. «Die Herausforderung wird sein, ein Produkt zu entwickeln, das sich auch im Alltag verwenden lässt», sagt Heisel. Dazu müsse man erst verstehen lernen, wie der Pilz überhaupt funktioniere.

Heisel führt noch einen besonderen Pilz-Backstein vor. Dieser kommt aus Long Island, New York. Dort wurden vor zwei Jahren drei 13 Meter hohe Türme aus Mycelium gebaut. Inzwischen liegen die meisten der rund 10000 Steine in den Urban-Gardening-Gärten – als Kompost.