Adrian Wiget blickt andächtig zum Bergkamm zwischen dem kleinen und dem grossen Matterhorn. «Neuerdings liegt die Bergstation Furggsattel da hinten nicht mehr in Italien, sondern in der Schweiz», sagt der Kulturingenieur.

Mit Folgen: Früher mussten die Betreiber des Lifts jährlich Gebühren nach Italien abliefern, jetzt haben die Italiener Einbussen – wegen des Klimawandels. «Normalerweise interessieren einige Meter Geröll mehr oder weniger ja niemanden», so Wiget. Aber hier ginge es um andere Dimensionen.

«Da meint man immer, wenigstens die Landesgrenze sei stabil. Aber das stimmt nicht», sagt er. Der 60-Jährige ist oberster Landesvermesser der Schweiz, offiziell ist er Leiter Geodäsie am Bundesamt für Landestopografie Swisstopo.

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Wasserscheiden sind die Grenzen

Im Gebirge wurde die Wasserscheide, also der jeweilige Bergkamm, als natürliche Landesgrenze festgelegt. Doch auf Gletschern und im Firnschnee bewegt sich diese wegen Verschiebungen ständig ein wenig. Je schneller die Gletscher abschmelzen, desto mehr, wie das Beispiel ob Zermatt zeigt.

Der mächtige Theodulgletscher unterhalb des Klein Matterhorns ist in den letzten Jahren aufgrund des Klimawandels stark geschrumpft. «Die Wasserscheide liegt jetzt nicht mehr auf dem Gletscher, sondern bis zu 150 Meter weiter südwestlich auf dem Fels», erklärt Wiget.

Die Grenzen der Schweiz

Die Aussengrenze der Schweiz ist 1935 Kilometer lang und grenzt an fünf Nachbarstaaten: 782 km mit Italien, 585 km mit Frankreich, 347 km mit Deutschland, 180 km mit Österreich und 41 km mit dem Fürstentum Liechtenstein.

717 km der Grenze sind durch 7130 Grenzzeichen markiert. Den grösseren Anteil aber bilden natürliche Grenzen ohne direkte Kennzeichnung in Gewässern und im Gebirge: 472 km liegen in Seen, Flüssen und Bächen, in der Regel in der Mitte der Gewässer.

746 km der Landesgrenze verlaufen entlang der Wasserscheide, also der jeweiligen Krete, im Gebirge. Von den insgesamt 578 km langen Wasserscheidelinien zwischen Italien und er Schweiz verlaufen nur etwa 40 km über Gletscher und Firnender.

Und was sagen die Italiener dazu?

Deshalb ist die Landesgrenze gewandert und die Schweiz um sieben Hektaren gewachsen (siehe Grafik). «Das ist schon etwas Besonderes hier oben», ergänzt der gebürtige Schwyzer. Und lassen sich die Italiener das einfach so gefallen, dass ihr Territorium zugunsten der Schweiz schrumpft? «Mit unseren Nachbarländern hatten wir noch nie Krach wegen der Grenze», sagt Wiget. «Im Gegenteil, der Austausch läuft bestens.»

Immer wenn Adrian Wiget privat reist, und das tut er gern und oft, sucht er als Erstes den höchsten Punkt seines Ferienziels auf, um sich einen Überblick zu verschaffen. «Das ist die ‹déformation professionnelle›. Ich muss immer alles von oben herab betrachten», sagt er. Als Landesvermesser arbeitet er schliesslich oft mit Luftbildern und ist es deshalb gewohnt, die Dinge von oben anzuschauen und exakt einzuordnen. Präzision ist sein Kerngeschäft.

In den letzten 200 Jahren hat sich die Genauigkeit der Landesvermessung gewaltig verbessert: je um den Faktor 100 pro Jahrhundert. Um 1800 war die Schweiz mit einer Genauigkeit von etwa 100 Metern vermessen, um 1900 bereits mit Metergenauigkeit. Inzwischen ist Vermessung zentimetergenau, «vor allem dank der neuen GPS-gestützten Landesvermessung», erklärt Wiget.

Mit GPS und anderen satellitengesteuerten Methoden kann man sogar die Bewegung der Erdkruste bestimmen. So weiss man, dass sich die Schweizer Alpen gegenüber dem Mittelland um mehr als einen Millimeter pro Jahr heben. Oder dass sich das Gebirge beim Bau des Gotthard-Basistunnels um mehrere Zentimeter gesetzt hat.

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Notfalls misst Adrian Wiget selbst nach. Etwa dann, als der Mönch in den neunziger Jahren dank neuer Luftfotogrammetrie plötzlich acht Meter höher sein sollte als zuvor. Das löste ein gewaltiges Medienecho aus. Auch beim Bundesamt für Landestopografie sorgte es für Gesprächsstoff. Wiget zog deshalb mit ein paar Kollegen los, um den Berg eigenhändig mittels GPS zu vermessen. Und siehe da: Sie konnten die neue Höhe von 4107 Meter über Meer bestätigen.

Wiget ist ein geübter Berggänger. Er wuchs am Fuss der Mythen auf, sowohl den Kleinen als auch den Grossen hat er oft bestiegen. «Und seit 40 Jahren bin ich Mitglied im Schweizer Alpen-Club», fügt er an. Ein Bergliebhaber im Dienste der Schweizer Landestopografie – passt.

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Adrian Wiget zu Gast in der SRF-Sendung «Aeschbacher» (08.09.2016)