Lea Brunner* ist 15 und macht ein Praktikum in einem Altersheim. Sie möchte später eine Lehre als Fachfrau Gesundheit (FaGe) beginnen. Im Altersheim arbeitet sie regelmässig auch sonntags. Erlaubt ist das laut Arbeitsgesetz nicht. Als sie sich beklagt, zuckt der Heimleiter nur mit den Schultern: Die Arbeit in der Pflege sei eben ein Geben und ein Nehmen.

Manuel König, 20, steckt mitten in der FaGe-Ausbildung in einem Altersheim und sagt: «Wir Jungen werden ausgenutzt.» Wann immer jemand ausfalle, würden zuerst die Lehrlinge als Ersatz angefragt. «Man kann fast nicht Nein sagen, denn sonst heisst es, man sei nicht leistungsbereit.» Der vorgesehene Lernbegleitungstag einmal pro Monat falle immer wieder aus: «Wenn es an Personal mangelt, wird bei den Lernenden zuerst gestrichen.»

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Der Beruf der FaGe ist beliebt…

Irene Feller ist 15 und Praktikantin in einem Spital. Sie dürfe viel machen mit den Patienten, sagt sie. Zum Beispiel Katheter wechseln. «Das kann heikel sein wegen der Hygiene.» Und nicht nur das: Eigentlich ist es gar nicht erlaubt. «Auf dem anderen Stockwerk dürfen Praktikanten diese Arbeit nicht verrichten.»

Sylvia Spiess, 17, ist im ersten Lehrjahr als FaGe im Spital. Sie arbeitet zwei- bis dreimal pro Monat am Wochenende. Ab und zu muss sie nach einem Spätdienst, der bis 22.30 Uhr dauert, gleich mit einem Frühdienst ab 7.15 Uhr weitermachen. Und das bei einer Stunde Arbeitsweg. «Als ich einmal darauf hinwies, wurde getuschelt, man müsse mich anders einplanen, weil ich länger schlafen wolle.» Nun traut sie sich nichts mehr zu sagen.

In der Pflegeausbildung, so lassen diese Stimmen vermuten, liegt einiges im Argen. Umso erstaunlicher ist, dass gegenwärtig kaum eine andere Lehre bei Jugendlichen so grossen Zuspruch findet wie die FaGe-Ausbildung: Auf der Beliebtheitsskala steht sie an dritter Stelle, die Nachfrage nach Lehrstellen übertrifft das Angebot jährlich um rund 3000 Stellen.

Bei vielen verpufft die erste Euphorie allerdings schnell. Bei den Gewerkschaften gelten insbesondere FaGe als Feuerwehr: «Sie werden überall dort eingesetzt, wo es gerade brennt. Und es brennt häufig», sagt Elvira Wiegers vom VPOD. Vielerorts sei das Personal wegen Sparmassnahmen unterdotiert. Die Vorstellung davon, wie gute Pflege aussehe, sei weit entfernt von der Realität. Man müsse häufig vom einen zum anderen Patienten hetzen. «Der Anspruch ans Soziale und Menschliche muss ziemlich schnell heruntergeschraubt werden», sagt auch Udo Michel von der Unia.

…trotzdem steigen sehr viele aus

Die Folgen: Viele kehren dem Beruf den Rücken. In einer Unia-Umfrage unter Auszubildenden sagten 45 Prozent, sie sähen sich in zehn Jahren nicht mehr im Pflegeberuf. Viele gaben an, dass sie oft Überstunden leisten, Aufgaben ausserhalb ihres Kompetenzbereichs übernehmen müssten und schlecht betreut würden.

Gemäss einer Studie des Gesundheitsobservatoriums Obsan steigen fast 46 Prozent der Pflegefachleute früher oder später aus dem Beruf aus, ein Drittel von ihnen ist jünger als 35 Jahre. Das hat nur zum Teil damit zu tun, dass in der Pflege viele Frauen arbeiten, die irgendwann Kinder bekommen. Zwei Drittel der Aussteiger bleiben nämlich weiter erwerbstätig. Sie wechseln nur den Beruf.

Der Personalmangel wird sich verschärfen. Auf der Stufe FaGe ist der Bedarf an Nachwuchs derzeit immerhin zu 84 Prozent gedeckt. Bei den diplomierten Pflegefachleuten nicht: Laut Bundesrat schliessen nur 2500 pro Jahr eine höhere Ausbildung ab, benötigt aber würden 4700. «Die Gesellschaft altert, die Leute kommen immer später in Pflege. Ihre Behandlung wird komplexer, da braucht es zusätzliches Wissen zu dem einer FaGe», sagt Helena Zaugg, Präsidentin des Schweizer Pflegeberufsverbands SBK. Der Verband der Non-Profit-Spitex-Organisationen und der Heimverband Curaviva teilen diese Ansicht.


«Pflegende identifizieren sich stark mit den Patienten, bis hin zur Selbstaufgabe.»

Udo Michel, Gewerkschaft Unia

Quelle: Gaetan Bally/Keystone

Man täte gut daran, speziell die höheren Ausbildungen so attraktiv wie möglich zu gestalten. Doch eher das Gegenteil ist der Fall, wie das Beispiel von Karoline Stauffer zeigt. Die 33-jährige gelernte FaGe arbeitete zehn Jahre in einem Altersheim, leitete eine Station und verdiente rund 4800 Franken monatlich. Weil sie ohne höheren Abschluss keinen vergleichbaren neuen Job fand, entschied sie sich für die verkürzte Diplomausbildung, die ungefähr je zur Hälfte aus Unterricht und Praktikum besteht.

Während zweier Jahre musste sie mit einem Lohn von rund 1000 Franken auskommen, obwohl sie voll als FaGe eingesetzt wurde. «Es gab und gibt Zeiten, da sehe ich meinen Mann die ganze Woche nicht. Wenn ich vom Spätdienst komme, schläft er schon, wenn er geht, schlafe ich», sagt sie. Mit dem neuen Diplom beträgt Stauffers Salär nun rund 5000 Franken, 200 mehr als vorher. «Man bot mir nur den Einstiegslohn, weil ich als Diplomierte noch keine Erfahrung hätte», sagt sie kopfschüttelnd. Die Ausbildung habe sie nur gemacht, weil sie sich beruflich weiterentwickeln wolle. «Finanziell geht es nicht auf.»

Politisch wurde in den letzten Jahren die FaGe-Ausbildung gefördert, die höhere Stufe hat man vernachlässigt. «Es wurde kaum in die Attraktivität der Diplomausbildung investiert», sagt Helena Zaugg vom SBK. «Die Rahmenbedingungen sind nicht optimal, das muss sich ändern», findet auch Ursula Ledermann Bulti vom Spitex-Verband Schweiz.

«Ein strenger Beruf»

Die Arbeitgeberseite betont das Erreichte. «Wir haben schon grosse Fortschritte gemacht», sagt Conrad Engler vom nationalen Spitalverband H+. Mangelndes Interesse an Weiterbildung und Berufsausstiege seien eher auf die starke Belastung zurückzuführen, die der Job mit sich bringe. «Es ist ein strenger Beruf.» Beim Heimverband Curaviva weiss man um die geringe Anziehungskraft der Diplomausbildung. «Wir arbeiten daran. Einzelne Institutionen zahlen während der Ausbildung höhere Löhne, wenn man sich für einige Jahre zum Bleiben verpflichtet», so Monika Weder, Leiterin des Geschäftsbereichs Bildung. Der Lohn sei aber nicht das einzige Kriterium für die Attraktivität.

Doch warum setzen sich die Betroffenen nicht selber für bessere Bedingungen ein? Auf dem Arbeitsmarkt sind sie begehrt, die Zeit für Forderungen wäre günstig. «Pflegende haben eine sehr hohe Arbeitsmoral und identifizieren sich stark mit den Patienten oder Bewohnern, bis zur Selbstaufgabe», sagt Udo Michel von der Unia. Viele hätten Angst, dass es am Ende die Patienten treffe, wenn sie sich wehrten. «Bei Leuten in der Ausbildung ist zudem die Abhängigkeit vom Arbeitgeber noch viel grösser.»

Betroffene bestätigen das: «Man gilt schnell als Weichei, wenn man über die Belastung klagt. Das verbaut einem unter Umständen Chancen», sagt FaGe-Lehrling Manuel König. In zehn Jahren sieht er sich nicht mehr im Altersheim. Er will sich im Gesundheitsbereich selbständig machen und sein eigener Chef werden.

*Namen aller Betroffener geändert
 

Die Krankenschwester gibt es längst nicht mehr. Dafür folgende Berufe:

Sekundarstufe II

  • Assistentin Gesundheit und Soziales: Zweijährige Attestlehre. Begleitet Patienten im Alltag; Haushalts- und einfache administrative Aufgaben.
  • Fachfrau Betreuung (FaBe): Dreijährige Lehre. Begleitet Patienten in Alltag und Freizeit.
  • Fachfrau Gesundheit (FaGe): Dreijährige Lehre. Pflegt und betreut Patienten ganzheitlich (Körperpflege, Essen, Medikamente, Blutdruck).


Tertiärstufe

  • Diplomierte Pflegefachfrau HF: Dreijährige Ausbildung an höherer Fachschule mit Praktika, ab Sek II/Matura. Organisatorische Verantwortung für gesamten Pflegeprozess, leitet FaGe an, leitet Krisengespräche.
  • Bachelor of Science in Nursing: Wie HF berufsbefähigendes dreijähriges Studium an der Fachhochschule.
  • Master of Science in Nursing: Wissenschaftlich orientiertes Studium an Fachhochschule oder Universität. Abschluss befähigt zur Pflege in hochkomplexen Situationen.