Ein erschreckend hohes Baugespann direkt neben seinem Einfamilienhaus; das erblickte Bernhard Bodenmann*, als er eines Abends von der Arbeit nach Hause kam. Das Bauprojekt auf der seit Jahren leeren Parzelle war also doch nicht bloss ein Gerücht, dachte er, während er sich vorstellte, wie ihn der drohende Betonblock auf dem Nachbargrundstück förmlich erdrücken würde. Weniger Privatsphäre, viel weniger Sonne und kaum mehr Sicht auf die Berge – das waren nun seine Aussichten.

In der Schweiz werden jedes Jahr um die 15'000 Wohngebäude neu erstellt. Vielen Anwohnern stellen sich da ähnliche Fragen: Kann ich mich gegen das Projekt wehren? Wird mir die Entwertung meines Grundstücks entschädigt? Kann ich etwas gegen übermässigen Baulärm und Erschütterungen unternehmen? Darf der Bauherr mein Grundstück für den Bau benutzen? Und was, wenn mein Haus durch die Bauarbeiten beschädigt wird?

Viele Fragen, die sich im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben stellen, sind äusserst komplex und vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Eine allgemeingültige Vorgehensweise gibt es auch deshalb nicht, weil die Bauvorschriften kantonal und sogar von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sind. Die folgende Aufstellung soll einen groben Überblick verschaffen, welche Fragestellungen rund um den Nachbarbau wie anzugehen sind – damit sich niemand von einem Bauprojekt erschlagen fühlen muss.

Was der Bauherr darf

Erstellen von Bauten gemäss Baubewilligung unter Einhaltung des Raumplanungs- und Baurechts
Gegen eine allfällige Wertverminderung des eigenen Grundstücks ist ein Nachbar wehrlos, wenn im Rahmen der Baubewilligung gebaut wird, sofern eine solche vorgeschrieben ist.

Gewisse Vorschriften – beispielsweise Grenzabstände – können auch umgangen werden, indem der betroffene Nachbar dafür seine Einwilligung gibt (zum Beispiel Gewährung eines Näherbaurechts).

Übliche Bauimmissionen wie Lärm sowie leichte Erschütterungen
Bei legaler Bautätigkeit sind die nachbarlichen Schutzrechte eingeschränkt – die Anlieger müssen weit mehr Störungen tolerieren als sonst üblich.

Betreten und Befahren von Nachbargrundstücken, wenn das nur mit unverhältnismässigem Aufwand zu umgehen ist
Das darf nicht eigenmächtig geschehen: Stimmt der Nachbar nicht zu, muss der Bauherr sein Recht über die zuständige Baubehörde oder das Gericht durchsetzen. Der Nachbar seinerseits hat das Recht, für die Nutzung entschädigt zu werden.

Mehr zu Lärmbelastung in der Nachbarschaft bei Guider

Lärm in der Nachbarschaft, verursacht durch Kindergeschrei, feiernde Partygäste oder Baumaschinen, führt sehr häufig zu Konflikten. Auf Guider erfahren Beobachter-Abonnenten, was ihre Rechte sind und wie sie sich wehren können.

Wo der Bauherr zu weit geht

Verletzung von Bauvorschriften oder Abweichen von der Baubewilligung
Auch Behörden können irren: Baubewilligungen können daher von betroffenen Nachbarn angefochten werden, wenn sie gültiges Baurecht verletzen.

Tipp: Wer an der Korrektheit der Baubewilligung zweifelt, sollte einen Baurechtsanwalt aus der Umgebung beiziehen, bevor er sich in ein Verfahren mit möglichen Kostenfolgen stürzt. Verletzt der Bauherr die Baubewilligung, muss die Gemeinde einschreiten und unter Umständen einen Baustopp verfügen. Der fehlbare Bauherr kann gebüsst werden.

Übermässige Lärmimmissionen
Erlaubtes Bauen darf Lärm machen – es braucht sehr viel, bis gemäss Nachbarrecht eine Übermässigkeit vorliegt. Die ungefähren Schranken dafür legt die Baulärm-Richtlinie des Bundesamts für Umwelt fest.

Tipp: Die Baulärm-Richtlinie ist eben nur Richtlinie und nicht Gesetz oder Verordnung. Wenn sie zwischen den Nachbarn als verbindlich vereinbart wird, lässt sie sich unter Umständen einfacher durchsetzen.

Schäden am nachbarlichen Eigentum
Kommt es durch die Bautätigkeit zu Schäden an angrenzenden Häusern, müssen diese vom Bauherrn behoben werden. Andernfalls muss er dafür bezahlen. Der betroffene Nachbar muss den Schaden aber beweisen können.

Es ist auch im Interesse des Bauherrn, eine Bauherren-Haftpflichtversicherung abzuschliessen, die solche Schäden deckt.

Tipp: Anlieger, deren Liegenschaft durch die Bautätigkeit beschädigt wird, müssen unbedingt Beweise sichern – zum Beispiel mit einem Rissprotokoll, durch Fotos oder Aussagen von Zeugen.

Das Rissprotokoll sichert Beweise

Wird beim Bauen auf der Nachbarparzelle gepfählt oder gesprengt, kann es zu Beschädigungen am eigenen Haus kommen. Damit diese Schäden später nachgewiesen werden können, empfiehlt es sich, vor Baubeginn ein Rissprotokoll aufzunehmen. Darin wird der aktuelle Zustand des Gebäudes festgehalten – mit Fotos und möglichst detaillierten Beschreibungen.

Das Protokoll ist vom Hausbesitzer und dem Bauherrn (oder einem Vertreter, etwa dem Bauleiter) gemeinsam aufzunehmen und von beiden zu unterschreiben. Will der Bauherr kein Protokoll aufnehmen, kann sich der besorgte Nachbar an die zuständige Amtsperson wenden. Wer das ist, hängt vom Kanton ab. Über die Zuständigkeit erteilt die Gemeindeverwaltung Auskunft. Ein solches amtliches Rissprotokoll dient auch ohne Unterschrift des Bauherrn als Beweis. Es kostet einige hundert Franken – eine Investition, die sich unter Umständen sehr lohnen kann.

Wenn kein Rissprotokoll zu Beginn der Bautätigkeit erstellt wurde, kann man eine vorsorgliche Beweissicherung – meist ein Gutachten – erstellen lassen. Dieses ordnet das Gericht auf Begehren des Hauseigentümers an, wenn (noch) kein Prozess hängig ist. Unter Umständen kann mit einem solchen Gutachten festgestellt werden, welche Schäden durch die nachbarliche Bauerei verursacht wurden.

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