Die weisse Wand ist ein Klassiker. Unter Tausenden von Farbtönen entscheiden sich die meisten Wohnungsbesitzer für das Weiss, das streng physikalisch gar keine Farbe ist. Dabei ist Weiss nur selten die optimale Lösung für einen Raum: Grössere Zimmer etwa verlieren an Halt, während kleine weiss gestrichene Räume langweilig und eng wirken. Farben schaffen dagegen eine angenehme Wohnstimmung, untermalen architektonische Elemente und setzen das Mobiliar optimal in Szene. Ausserdem schaffen unterschiedliche Farbtöne - durchaus auch dunkle – Weite oder Nähe und lassen einen Raum offener oder intimer, wärmer oder kühler wirken.

Warum ist Weiss in Wohnräumen dennoch so verbreitet? Stefanie Wettstein, Gründerin und Schulleiterin des «Hauses der Farbe» der Höheren Fachschule für Farbgestaltung in Zürich, nennt mehrere Gründe: «Meistens möchten sich die Bewohner ein neutrales Umfeld schaffen, sind sich dabei aber nicht bewusst, dass Weiss eine Farbe wie jede andere ist und eine räumliche Wirkung hat.» Einen weiteren Grund sieht sie in einer falschen Interpretation der Moderne: Le Corbusier, Breuer und andere Architekturpioniere der Bauhaus-Ära hätten die Farben intensiv und differenziert genutzt – in der Umsetzung ihres Gedankenguts sei aber oft nur noch das Schnörkellose und Helle geblieben. Einen dritten Grund für den «Rückgang der Farbe» macht die Schulleiterin im Verlust der gestalterischen Tradition im Malerhandwerk aus: «Die synthetische Herstellung von Farbe hat nicht nur die Farbsorten reduziert, sondern auch die Maltechniken.»

In den letzten Jahren lässt sich erfreulicherweise aber wieder ein sorgfältigerer Umgang mit dem Thema Farbe in Architektur und Innenarchitektur feststellen. Auch professionelle Farbgestalter wie Nicole Fry und Thomas Hohl von Hohl und Fry in Zürich spüren ein wachsendes Interesse für ihr Fachgebiet. Selbst in der Verwendung von Weiss beobachten sie eine Differenzierung. Statt des lange Zeit populären, kalten Reinweiss seien heute abgetönte Schattierungen wie Blütenweiss oder Kreideweiss auf dem Vormarsch.

Immer mehr Leute gehen heute allerdings weiter, wollen sich die riesige Farbklaviatur zunutze machen und ziehen Profis zu Rate. «Wir haben eine bunte Mischung an Kunden», sagt Fry. «Generalunternehmer, Baukommissionen für Schulhäuser, Architekten von Ein- und Mehrfamilienhäusern, aber auch Privatpersonen.»

«Halbwissen über Farbpsychologie»

Das Einholen von professionellem Rat ist sinnvoll. Denn rasch greift man als Laie in den falschen Farbtopf. «Farben werden von Laien oft sehr plakativ eingesetzt», sagt Thomas Hohl. «Viele Leute haben ein Halbwissen über Farbpsychologie oder Feng-Shui und streichen eine Wand rot, weil sie glauben, dass dies belebend wirke. Dabei wirkt nicht jedes Rot in jedem Raum auf jede Person belebend.»

Ob mit oder ohne Beratung: Im Vorfeld müssen unbedingt einige Dinge abgeklärt werden. So sollte man sich klar darüber werden, welche Stimmung man in einem Raum erzielen will. Dazu muss man sich mit diesem auseinandersetzen, die wechselnden Lichtstimmungen und -qualitäten erkennen, um diese mit der Farbe später zu unterstützen. «Es empfiehlt sich», so Hohl, «sein Farbrepertoire zu erweitern und die reinen Grundfarben zu verlassen. Töne wie Flieder, Umbra oder Leinenfarben wirken weniger aufdringlich und spielen mit verschiedenen Lichtstimmungen.» Schöne Farbkollektionen, die sich nicht an das starre Raster eines Farbsystems halten, sondern die Farben rein nach ihrer Ästhetik und deren Wirkung definieren, gibt es beispielsweise von kt.Color, Farrow & Ball oder Flamant.

Manche Wohnungsbesitzer benutzen als Inspirationsquellen auch Zeitschriften und Fachbücher. Doch auch hier heisst es: aufgepasst. «Man kann sich zwar inspirieren lassen, sollte aber nicht eins zu eins kopieren», warnt Fry. «Das Resultat lässt sich sonst mit dem Wein vergleichen, der einem in den Ferien so geschmeckt hat, daheim aber seine Wirkung verliert.»

Wer trotz Beratung durch den Profi bei der Farbwahl unsicher ist, sollte einfach einmal experimentieren und ausprobieren: Man bestellt sich im Malergeschäft kleine Mengen der ins Auge gefassten Farbe, trägt diese auf grosse Papierbögen auf und hängt sie in den Raum. Nun kann man die Wirkung zu verschiedenen Tageszeiten beobachten und den Farbton entsprechend anpassen.

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Tapetenwechsel gefällig?

Und warum nicht einmal etwas Neues wagen und zum Beispiel Tapezieren in Betracht ziehen? Die Tapete ist ein schönes und einfach umsetzbares Gestaltungsmittel, das sich hierzulande langsam wieder durchsetzt. Ihre Blütezeit erlebte sie zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert, als man jedes Zimmer vollständig und sehr aufwendig tapezierte. Dabei gilt es aber, auf ein paar Dinge zu achten.

Um eine Tapete aufzutragen, braucht es einen glatten Weissputz. Alte Tapeten entfernt man am besten von der Wand. Am leichtesten geht das mit einem professionellen Dampfgerät, das man beim Fachhändler ausleihen kann. Bei unebenen Abrieben kann die neue Tapete auch auf eine grundierte MDF-Platte aufgezogen werden. MDF ist die Abkürzung für «mitteldichte Faserplatte» («medium-density fibreboard»): einen mittelharten Faserplattentyp mit hoher Oberflächendichte, der allerdings sparsam eingesetzt werden sollte, da er in der Herstellung sehr energieintensiv ist.

Experimentieren im Wohnraum kann man auch beim Tapezieren – am besten mit einzelnen beklebten Paneelen. Neben traditionellen Mustern, die unter Anwendung neuer Drucktechniken wieder Verwendung finden, halten auch grafische Wandbilder, Fotocollagen, Illustrationen und von der Streetart inspirierte Ornamente Einzug in unsere Wohnräume. Zunehmend beliebt sind auch Wandtattoos: Muster, Bilder und Schriftzüge auf farbigen Folien, die auf allen fettfreien Oberflächen haften und leicht wieder ablösbar sind. «Solche Tattoos können allerdings sehr schnell aufgesetzt wirken», warnt Thomas Hohl und rät im Umgang damit zur Zurückhaltung.

Einen weiteren Aspekt bringt der Zürcher Architekt und Farbberater Reto Brawand ein: «Leider wird Farbe nur allzu oft auf die Farblichkeit reduziert. Die Stofflichkeit eines Anstrichs tritt viel zu stark in den Hintergrund oder wird gar nicht thematisiert.» Gerade die unterschiedlichen Bindemittel und Pigmente seien jedoch das Spannende an einer Farbe.

In der Schweiz sieht Reto Brawand ein reiches kulturelles Erbe in der Wandgestaltung, das von der zeitgenössischen Architektur derzeit wiederentdeckt werde. Diese Sensibilität für Farbe und Material versucht er auch seinen Kundinnen und Kunden zu vermitteln. «Die Zeichen für mehr Farbe im Alltag scheinen gut zu stehen», glaubt der Architekt, «denn viele Leute wünschen sich wieder mehr Geborgenheit und Wärme in den eigenen vier Wänden.»

Streichen wie die Profis

Die grösste Mühe ist vergebens, wenn man den Umgang mit Pinsel, Farben, Lacken und Lösungsmitteln nicht beherrscht. Denn mit der Wahl einer schönen Farbe ist es nicht getan – auf die Praxis kommt es an:

  • Farben sollten nicht zu dick aufgetragen werden. Sonst wird die Oberfläche zu wenig durchlässig, sie atmet nicht und hält die Feuchte im Wohnraum.

  • Das verwendete Material sollte immer auf den Raum abgestimmt werden. In Nassbereichen beispielsweise muss das Mauerwerk besonders gut atmen können, damit Schimmelbildung verhindert wird. Am besten eignen sich hier als Untergrund Kalkputz und als Anstrich eine Kalkfarbe. Diese ist zwar nicht scheuerfest, kann aber immerhin abgewischt werden.

  • Ob Öl- oder Acrylfarben, ob Alkyd- oder andere Kunstharzfarben – wählen Sie für Holzwerk Produkte, die keine Lösungsmittel enthalten.

  • Muss der Untergrund entfernt werden, sollte man beim Abschleifen immer eine Staubmaske tragen. Für das Ablaugen wählen Sie am besten Produkte ohne Lösungsmittel. Alte Farbbeläge gehören nicht in den Hausabfall, sondern müssen beim Fachhändler abgegeben oder in die speziellen Entsorgungsstellen der Gemeinde gebracht werden.

  • Halten Sie eine genügend lange Trocknungszeit zwischen den einzelnen Anstrichen ein. Achten Sie konsequent auf die Angaben auf der Packung. Ansonsten steigt das Risiko einer länger anhaltenden Belastung der Raumluftqualität.

  • Lüften Sie die Räume nach Beendigung der Malerarbeiten mehrere Tage lang gründlich, bevor Sie diese wieder nutzen. Wurden wasserlösliche Farben verwendet, sind nach rund ein bis drei Tagen gut 90 Prozent der flüchtigen organischen Stoffe verschwunden. Bei lösungsmittelhaltigen Farben dauert dieser Prozess allerdings meist länger.


Praktiker wissen zudem, dass am Anfang immer die Analyse des Untergrunds vorgenommen werden muss. Der Winterthurer Maler und Baubiologe Jürg Wülser empfiehlt Heimwerkern, für den Farbaufbau einen Experten beizuziehen. Dieser weiss, wie man den Untergrund vorbereitet oder entfernt (abkratzen, abschleifen oder ablaugen), liefert die richtige Farbe und vermietet bei Bedarf das nötige Werkzeug.

Übrigens: Das Lüften nach dem Streichen ist gerade in modernen Häusern besonders wichtig. Sorgten in älteren Bauten undichte Fenster und Türen für einen guten Luftaustausch, sind neue Gebäude aus Energiespargründen sehr gut abgedichtet. Fehlt eine Lüftungsanlage oder lüften die Bewohner zu wenig, können sich Wohngifte in den Räumen konzentrieren. In bewohnten Gebäuden ist es ausserdem ratsam, einen Raum nach dem anderen zu streichen, um vorübergehend in ein anderes Zimmer ausweichen zu können.

Vorsicht, Wohngifte!

Farbanstriche vermitteln nicht immer eine gute Stimmung. Sie können auch Ausschläge, Kopfschmerzen und Müdigkeit hervorrufen – etwa wenn sie Schadstoffe enthalten. Am höchsten sind die Schadstoffkonzentrationen in den ersten zwei Wochen nach dem Anstrich. Denn beim Trocknen können Farben und Lacke Stoffe an die Raumluft abgeben. Im ungünstigsten Fall hält die Belastung durch Wohngifte über Monate oder Jahre an, und es bleibt dann oft nur eine aufwendige und teure Entfernung der bedenklichen Materialien.

Besonderes Augenmerk ist auf die in den Farben enthaltenen Lösungsmittel und Hilfsstoffe zu richten. Synthetische Lösungsmittel wie Terpentinersatz, Toluol oder Xylol sind problematisch für Gesundheit und Umwelt. Aber auch natürliche Lösungsmittel wie Alkohole oder Öle, die in Naturfarben zu finden sind, können Allergien auslösen.

Bei den Hilfsstoffen sind Konservierungsmittel problematisch, die Formaldehyd abgeben. Auch sogenannte Biozide sind nicht harmlos. Darum sollte man bei der Wahl der Farben folgende Grundregeln beachten:

  • Verwenden Sie im Innen- und Aussenbereich möglichst lösungsmittelfreie Produkte, also Farben auf Wasserbasis.

  • Sorgen Sie dafür, dass das Haus oder die Wohnung «atmen» kann. Benutzen Sie statt Dispersionsfarben, die stark abdichten, mineralische Farben. Diese sind atmungsaktiv und beugen dem Schimmelbefall vor.

  • Achten Sie auf den Untergrund: Wenn sich dort schon eine Dispersionsfarbe befindet, bringt es nichts, diese mit mineralischer Farbe zu überstreichen, denn die Wand kann aufgrund des dichten Untergrunds nicht atmen. Dann entfernt man vor dem Malen am besten den alten Anstrich.


Eine gute Orientierungshilfe beim Kauf von Farben, die die Raumluft möglichst wenig belasten, sind die Labels Natureplus, Coop Oecoplan und Blauer Engel. Auch in Fachmalergeschäften werden umweltverträgliche Farben angeboten. Diese sind zwar etwas teurer, aber auch qualitativ besser. Sie enthalten zum Beispiel mehr Farbpigmente, was die Deckkraft erhöht: Es braucht weniger Anstriche als bei einer üblichen Farbe.

Schadstoffe im WohnbereichVorkommenWirkung
FormaldehydFarben, Lacke, Spanplatten, Klebstoffe, Möbel    Reizung von Augen und Schleimhäuten, Kopfschmerzen, Allergien, möglicherweise krebserregend
LösungsmittelFarben, Lacke, Tapeten,
Kleber, Klebstoffe
Kopfschmerzen, Übelkeit, Mattigkeit, Reizung von Schleimhäuten
Konservierungsmittel (Isothiazolinone)wässrige Dispersionen, Dispersions-klebervereinzelt allergieauslösend, Hautausschläge, Husten
PestizideFarben, Holzschutzmittel, Textilienchronische Kopfschmerzen, Übelkeit, Hautleiden, Haarausfall

Weitere Infos

  • Bundesamt für Gesundheit, Bern, Fachstelle Wohngifte:
    www.wohngifte.admin.ch
  • Broschüre «Angestrichen? Benutzen Sie umweltfreundliche Farben!»; kostenloser Download:
    www.umweltfarben.ch/... (geziptes PDF, 655 kb)
  • «Ökologisch bauen und wohnen. Natürlich leben und geniessen»; GIBB-Verlag, 2008, 19 CHF (mit Branchenverzeichnis)
  • «Innenraumklima. Wege zu gesunden Bauten»; Werd-Verlag, 2009, 51 CHF