Arbeitswelt: Steigender Leistungsdruck
Die globale Standardisierung - polemisch "McDonaldisierung" - greift in der Arbeitswelt immer mehr um sich. Wie kann man damit umgehen?
Veröffentlicht am 24. Januar 2001 - 00:00 Uhr
Das Problem:
Ich habe in einem Malergeschäft mit vier Mitarbeitern gearbeitet. Jetzt ist mir aus Rentabilitätsgründen gekündigt worden. Ich fürchte, es hat gerade mich getroffen, weil ich sorgfältiger und langsamer arbeite als meine Kollegen. Zum Glück bin ich erst 24 und werde sicher etwas anderes finden. Aber mein Problem ist, dass ich auch in Zukunft nicht pfuschen will, nur damit das Geschäft besser rentiert.
Ruedi F.
Koni Rohner, Psychologe FSP:
Obwohl ich Psychologe bin und nichts von Ihrem Handwerk verstehe, gefällt mir Ihre Einstellung. Aus meiner Laienperspektive empfehle ich Ihnen am ehesten, ein eigenes kleines Geschäft ohne Mitarbeiter aufzubauen. Da bestimmen dann Sie die Regeln. Ich habe für Arbeiten in meinem Haus sehr gute Erfahrungen mit solchen Handwerkern gemacht. Sie waren etwas teurer, haben aber mit viel Liebe gearbeitet, und zwischendrin konnten wir bei einem Bier oder einem Kaffee auch noch ein paar Worte über Gott und die Welt reden.
Leider kommen in der globalisierten Konkurrenzgesellschaft Rentabilität und Produktivität vor Qualität, und von der Lebensqualität der Arbeitenden spricht schon gar niemand mehr. Aus der Presse war zum Beispiel kürzlich zu erfahren, dass die Münchner sehr viel produktiver sind als die Zürcher. Während die Zürcher jährlich nur 26 Dollar pro Kopf erwirtschaften, schaffen die Münchner 45 Dollar pro Kopf und sind damit weltweit die Rentabelsten. Vor allem das Gastgewerbe würde bei uns noch zu viel Zeit vergeuden, hiess es. Vielleicht sind die Menschen des Gastgewerbes in Zürich einfach noch ein bisschen menschlich, ein bisschen freundlich mit den Gästen. Ein Lächeln, ein paar Worte übers Wetter, die Weltlage oder sogar über die eigene Befindlichkeit oder diejenige des Gastes benötigen eben ein wenig Zeit.
Menschen sind keine Standardprodukte
Menschen sind keine Maschinen. Erstens brauchen sie im Unterschied zu Autos und Küchengeräten Sozialkontakte, und zweitens haben sie das Bedürfnis, sich individuell zu entwickeln. Es ist sinnvoll, dass etwa alle Golf-Volkswagen denselben Standard erfüllen. Das lässt sich auch in hohem Masse realisieren. Mit Menschen aber ist so etwas nicht möglich und auch nur bis zu einem gewissen Grad wünschenswert.
Zwar möchte ich einen Hausarzt, der über professionelle Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Er soll eine Menge von Krankheiten und ihrer Behandlung verstehen. Darüber hinaus wünsche ich mir aber auch, dass er ein begabter, einfühlsamer Heiler ist, der sich so von vielen anderen Ärzten unterscheidet – ein Mensch, der als Individuum fassbar ist und der auch mich als individuelle Persönlichkeit wahrnehmen kann.
Leider geht die Tendenz heute immer stärker in Richtung Standardisierung. In Amerika ist bereits der Begriff «McDonaldisierung» geprägt worden. Immer mehr Lebensbereiche werden nach dem Muster der bekannten Restaurantkette strukturiert. Möglichst effizient sollen Standardprodukte hergestellt werden. Für Fleischplätzchen mag das sinnvoll sein, für Menschen ist es weniger gemütlich. In der klassischen Volkswirtschaftslehre gibt es drei Produktionsfaktoren: Boden, Kapital und Arbeit. Wenn ich eine Fabrik aufbauen will, brauche ich Land, Geld und Arbeiter. Das leuchtet ein – nur darf dabei nicht vergessen gehen, dass es sich beim dritten Faktor um Menschen handelt, die glücklich sein und sich entfalten wollen.
Es besteht enormer Leistungsdruck
Ich bin 1968 erwachsen geworden. Damals war viel von «Entfremdung» im Arbeitsprozess die Rede. Als Beispiel wurde oft die Arbeit am Fliessband genannt. Heute werden wir nicht nur zu Maschinenbedienern degradiert, sondern sollen selbst wie Maschinen funktionieren. Wir sollen so wenig wie möglich kosten und so viel Leistung wie möglich erbringen. Wenn wir nicht aufpassen, fangen Schulen und andere Ausbildungsorganisationen an, Lernende als Produkte zu betrachten, die sie in gleich bleibender Qualität auszuspucken haben wie eine Grossbäckerei die Brötchen.
Diese moderne Tendenz der globalen Standardisierung – oder polemisch eben «McDonaldisierung» – wird bestimmt auch ihre Vorteile haben. Ich als Psychologe mache mir Sorgen um die Seele des Produktionsfaktors Mensch. Die Psychologie hat gezeigt, dass Frustrationen zu Gewalttätigkeiten oder Depressionen führen können. Unter beidem leidet die moderne Gesellschaft bereits. Allerdings können Frustrationen auch zu neuen schöpferischen Ideen führen. Darin liegt meine Hoffnung: Wir alle müssen Wege suchen und finden, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben so umzugestalten, dass es der menschlichen Natur und unseren Bedürfnissen wieder einigermassen gerecht wird.