Unter Musen und Mördern
Die «Blume» ist das einzige Hotel im Bäderquartier im aargauischen Baden, das seit seiner Entstehung ununterbrochen in Betrieb ist. Dieses Jahr feiert es seinen 600. Geburtstag – und kann auf eine Geschichte mit allerlei Mythen und Anekdoten zurückblicken.
Es blubbert und gluckst, gurgelt und sprudelt, rauscht und tropft. Plötzlich verbinden sich die Klänge zu einer sphärischen Musik. Auf der hölzernen Tür steht: «Lieber Badegast, die Zusammensetzung sowie die Temperatur des Thermalwassers kann auf Ihren Körper eine starke Wirkung ausüben. Benutzung der Wannenbäder nur nach ärztlicher Konsultation. Es wird keine Haftung übernommen.»
Die kleinen Badekammern im Keller stammen noch aus der Boomzeit der Badekuren Ende des 19. Jahrhunderts. Hier fliesst Thermalwasser aus der Quelle «Grosser Heisser Stein» am Kurplatz, der wichtigsten der insgesamt 21 Thermalquellen auf Badener und Ennetbadener Boden. Die Luft ist feucht, das Wasser weit über 30 Grad heiss. Schon nach zehn Minuten beginnt die Haut zu kribbeln, und das Atmen fällt schwer.
Unglaublich, dass sich vor ein paar Hundert Jahren die Kurgäste in riesigen Gemeinschaftsbädern fast den ganzen Tag über im heissen Thermalwasser tummelten. Damit wollte man einen Badeausschlag provozieren, der die schlechten Säfte herausziehen und von allerlei Zipperlein befreien sollte.
Nebenan wird mit Mario Bottas Wellness-Therme Fortyseven (mehr dazu siehe Box am Artikelende) ein neues Kapitel in der Badener Bädergeschichte aufgeschlagen. Doch zuerst feiert das Atrium-Hotel Blume sein 600-Jahr-Jubiläum.
Ritter, Götter und Musen
Der Tourismushistoriker Florian Müller hat allerlei Mythen und Anekdoten gefunden. Etwa die Geschichte vom Mord an Ritter Gotthard von Breitenlandenberg im Jahr 1526 oder von den Göttern und Musen des Damensalons. «Statt eine Festschrift zu verfassen, wollten wir die Geschichten an einem Dutzend Stationen vermitteln», so der Historiker.
Wie so oft in der Geschichte war es ein Streit, der zum ersten Dokument über das Hotel Blume führte. 1421 wurde der Besitzer Bernard Dörflinger überführt, weil er mehr von der Quelle am Kurplatz abzapfte, als ihm zustand. Man verbot ihm und seinen Nachfolgern, die Bäder der «Blume» baulich zu verändern.
Aber nach wie vor dürfen sich die aktuellen Besitzer und Hoteldirektoren Patrik und Silvio Erne auf das Wasserrecht am «Grossen Heissen Stein» berufen. Dass die Quellen einmal versiegen könnten, sei wenig wahrscheinlich, sagt Patrik Erne. Laut Geologe Albert Heim ist der durchlässige Muschelkalk tief unter dem Mittelland dafür verantwortlich, dass das Versickerungswasser aus den Alpen durch die Lägernfalte wieder an die Oberfläche gelangt.
Bereits die Römer hatten hier die heissen Thermalquellen genutzt. Kürzlich brachten Grabungen römische Mauern zum Vorschein, die teilweise deckungsgleich mit den Eingangsmauern der «Blume» sind. Also könne man davon ausgehen, dass schon in Römerzeiten hier ein Gebäude stand, sagt der Historiker Florian Müller. So oder so gilt die «Blume» als eines der ältesten Hotels der Schweiz.
Reise durch die Jahrhunderte
Der Besuch ist wie eine Zeitreise, denn das Haus ist nicht aus einem Guss entstanden. Im 19. Jahrhundert liess die Besitzerfamilie Borsinger das Haus in den Jahren 1872/73 von Architekt Robert Moser in zwei Etappen erweitern. Dabei liess sich der Architekt von der Formensprache der italienischen Stadtpaläste des 15. und 16. Jahrhunderts und Pariser Régenceformen des 19. Jahrhunderts inspirieren. So entstand das elegante Atrium, das Markenzeichen des Hotels.
Dank Hotelière Mathilde Borsinger-Müller sind viele Geschichten aus dieser Zeit erhalten geblieben. Sie schrieb jeweils am Silvesterabend ihre Erinnerungen über das abgelaufene Jahr auf. So erfährt man vom Zeppelin über Baden, von einer schrecklichen Influenza-Epidemie oder vom Einbau des neuen Lifts 1897/98.
Der Lift verbindet noch heute die vier Stockwerke im überdachten Lichthof. Im mediterranen Ambiente des Atriums fühlt man sich fast wie ein Kurgast aus dem 19. Jahrhundert. Vorbei am plätschernden Brunnen geht es über die Holztreppe in den ersten Stock, wo sich entlang den Balustraden die Tischchen aufreihen. Für Pflanzenliebhaber ein Paradies, für den Hoteldirektor viel Arbeit: Gegen 100 Zimmerpflanzen begrünen den Lichthof.
Leicht museal wirkt das Interieur mit all den Antiquitäten wie dem Stöpseltelefon oder der Eingangsglocke aus dem 19. Jahrhundert, den rustikalen Konsolen und alten Stichen oder der Sprinkleranlage an der Decke.
Bedürfnisse der Gäste haben sich verändert
Patrik Erne ist in diesem Kosmos aufgewachsen. Er war der Letzte der Familie, der noch im Hotel wohnte. «Das Atrium war unser Spielzimmer», erinnert er sich. «Ideal fürs Versteckenspielen.» Heute macht er es sich lieber auf der Chaiselongue im vierten Stock bequem, wo man nicht gesehen wird, aber selber viel sieht.
Wer von der Betriebsamkeit des Hotellebens genug hat, kann sich in eines der 35 Zimmer zurückziehen. Hinter den dicken Türen ist es schön ruhig. Keines der Zimmer ist zwar mehr im Originalzustand, aber die jüngst renovierten wurden in die Farbigkeit der Entstehungsjahre zurückversetzt. Teilweise konnten alte Parkettböden aus dem benachbarten, nun abgebrochenen Hotel Bären wiederverwendet werden. Gepaart mit Designmöbeln, zaubern sie ein elegantes, historisches Flair in die Zimmer.
Gäste verweilen nur noch durchschnittlich 1,6 Nächte in der «Blume». Darunter sind oft auch Prominente, wie im Jahr 2010 der Gesamtbundesrat. Den Kurgast, der sich hier für Wochen oder gar Monate einquartiere, gebe es nicht mehr, sagt Patrik Erne. Deshalb habe die Familie in den letzten Jahrzehnten vermehrt auf Businessgäste gesetzt. «Vor allem in der Corona-Zeit konnten neue Gästesegmente dazugewonnen werden, dies verringerte die Abhängigkeit vom Business-Tourismus.»
«Die aktuelle Zeit hat uns gezeigt, wie praktisch sie sind.»
Seit die Bauarbeiten für die neue Wellness-Therme im Gang sind, hat das Hotel Blume viele Gäste verloren. Nun will man vermehrt Privatgäste ansprechen. Dass das Fortyseven für mehr Gäste sorgen werde, glaubt Erne nicht. «Wir haben längst gelernt, ohne das öffentliche Thermalbad zu leben, und sind nur schon froh, dass endlich die Zufahrt zum Hotel wieder frei ist.»
Dennoch ist er vorsichtig optimistisch. Im seit 1967 unter Schutz stehenden Dreisternehotel herrscht Aufbruchstimmung. Im Lockdown konnten längst geplante Renovationsarbeiten durchgeführt werden. Nun strahlt der Belle-Epoque-Saal wieder im Originalzustand von 1872. Im nächsten Frühling wird die Fassade zum Kurplatz einen neuen Anstrich erhalten. Und irgendwann sollen auch die kleinen Wannenbäder im Keller renoviert werden. Diese würden aber auf keinen Fall vergrössert, betont Hoteldirektor Erne: «Die aktuelle Zeit hat uns gezeigt, wie praktisch sie sind.»
Das Bäderquartier in Baden AG blickt auf eine lange Tradition zurück. Doch in den letzten Jahrzehnten ist es ruhig geworden.
Mit der Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden als Bauherrin kommt wieder Leben ins Quartier. 2018 erfolgte der Spatenstich des 180 Millionen Franken teuren Projekts für das neue Thermalbad, ein Wohn- und Ärztehaus sowie eine Gesundheitsklinik.
Das Herzstück, die Wellness-Therme Fortyseven, wurde von Stararchitekt Mario Botta entworfen und öffnet am 21. November seine Tore. Im markanten, 160 Meter langen Bau ist eine 4500 Quadratmeter grosse Wellness-Landschaft mit acht verschiedenen Becken und diversen Saunen untergebracht.
- Zu den zwölf historischen Stationen des Hotels Blume: hoteltour.org
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