«Sie hat mich einfach verlassen»
Frage: «Vor drei Monaten ist meine Freundin nach Hause gekommen und hat einfach gesagt, sie habe keine Gefühle mehr für mich. Jetzt ist sie ausgezogen. Ich kann das nicht verstehen und nicht verkraften.»
aktualisiert am 2. Februar 2018 - 17:37 Uhr
Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:
Verstehen und Verkraften ist beides in der Tat schwierig. Aber es handelt sich auch um zwei verschiedene Dinge: Verstehen lässt sich durchaus, dass sich die Gefühle eines Menschen ändern und ihn dazu veranlassen, eine Partnerschaft aufzulösen. Doch das hilft Ihnen natürlich nicht viel weiter. Sie müssen auch akzeptieren können, was Ihnen passiert ist. Und das ist keine Sache des Verstandes. Das muss in Ihrem Innern geschehen. Wenn Sie den Verlust wirklich akzeptiert haben, haben Sie ihn auch verkraftet. Das geht jedoch nicht von heute auf morgen, sondern braucht Trauerarbeit. Sie müssen über Ihre Verletzung reden, mit Freunden oder einer Fachperson, um den Schock zu verarbeiten und Mitgefühl zu erleben.
Liebeskummer greift tief und ist eine der schmerzlichsten Erfahrungen, die man machen kann. Eine Studie am Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut hat gezeigt, dass fast die Hälfte aller Sitzengelassenen in der Anfangsphase sterben möchte. Wenn die Liebe, die dem Partner, der Partnerin galt, plötzlich ins Leere fällt, erzeugt das einen sehr heftigen Anfangsschmerz. Nicht selten kommt Angst auf, Verlassenheitsangst, ein Erbe der frühkindlichen Angst, von der Mutter im Stich gelassen zu werden.
Natürlich führt die Frustration auch zu Wut und Hass: auf den Flüchtigen, der einen sitzen lässt, aber oft auch auf einen selbst, in Form von Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen. Auch der Körper wird in Mitleidenschaft gezogen. Man verliert den Appetit oder isst sich umgekehrt Kummerspeck an. Manche flüchten sich in Alkohol oder Drogen. Chronische Lebensunlust und Depressionen können sich einstellen. Nicht selten leidet das Selbstbewusstsein, weil man das Verlassenwerden als Entwertung empfindet, als Niederlage.
Die US-Anthropologin Helen Fischer hat mit bildgebenden Verfahren gezeigt, dass die Gefühle beim Verlassenwerden genauso intensiv sind wie in der Verliebtheit, einfach mit negativem Vorzeichen. Das erklärt, weshalb man den Verlust im ersten Moment nicht wahrhaben will und eine riesige Energie investiert, um das Unheil noch abzuwenden, den Flüchtigen zurückzugewinnen. Erst dann folgt die Phase der Verzweiflung. Wer den Schicksalsschlag schliesslich akzeptieren kann, wer hinnehmen kann, dass auf dieser Welt alles vergänglich ist und niemand daran schuld, wird wieder offen für eine Neuorientierung und für neue Liebesbegegnungen.
Goethe, dessen «Leiden des jungen Werthers» der Klassiker zum Thema ist, hat sich damit übrigens den Schmerz über eine bereits verlobte Angebetete vom Leib geschrieben.
- Den Verlust akzeptieren. Statt mit dem Schicksal zu hadern, muss man die Fakten annehmen können. Der klassische Ablauf sieht allerdings so aus, dass man zuerst alles verleugnet, dann die Phase der aufbrechenden Gefühle kommt, bis man den Verlust schliesslich akzeptiert und sich neu orientiert.
- Alle Gefühle zulassen. Die Zeit allein heilt keine Wunden. Verdrängen nützt nichts. Man muss durch alle Gefühle hindurch, durch Schmerz, Wut, Verzweiflung, Hass auf sich selbst und den andern. Nur so klingen diese allmählich ab.
- Nett zu sich selber sein. Das Leben hat einen brutal angepackt. Jetzt darf man sich mal ein gutes Essen gönnen, einen Ausflug, ein paar Tage am Meer.
- Gute Freunde treffen. Es tut gut zu spüren, dass einen nicht die ganze Welt verlassen hat, sondern dass es noch Menschen gibt, die einen gern haben und Mitgefühl zeigen.
- Sich die Gefühle von der Seele reden oder schreiben. Mitgeteiltes Leid ist halbes Leid. Wer seine Gefühle ausdrücken kann, wird nicht mehr von ihnen beherrscht.
- Tapfer zu sein und so zu tun, als ob nichts geschehen wäre.
- Sich mit hektischen Aktivitäten abzulenken.
- Sich Vorwürfe zu machen und Schuldgefühle zu entwickeln.
- Sich ins Bett zurückzuziehen.
- Den Kummer mit Alkohol oder Drogen zu betäuben.
Herzen können brechen. Was als romantisches Klischee gilt, gibt es tatsächlich. Als «Syndrom des gebrochenen Herzens» bezeichnet die moderne Medizin das Phänomen. Die Symptome sind ähnlich wie bei einem Infarkt: Brustschmerzen, Herzrhythmusstörungen, Beklemmung. Der Herzmuskel erstarrt, ist teils gelähmt. Anders als bei einem Infarkt erholt sich das Herz aber meist innert weniger Wochen. Als Ursache für die noch kaum erforschte Erkrankung gilt akuter Stress.
Die Hormone, die den Körper bei einem Schock durchfluten, bringen das Herz aus dem Takt. Auslöser können negative oder positive Emotionen sein: sowohl der Verlust eines geliebten Menschen wie die Freude über einen Lottogewinn. Betroffen sind vor allem ältere Frauen, warum, ist unklar. Der englische Kardiologe Alexander Lyon vermutet, dass Frauen vor der Menopause eine Art Schutz besitzen. Männer hingegen würden bei einer Überdosis Stress oft einfach sterben. Womöglich an gebrochenem Herzen: Das Risiko ist am Tag nach dem Tod des Partners 16-mal höher als sonst.
Tatjana Stocker