«Viele Eltern sind besorgt»
Laien als Klassenlehrerinnen und beschönigende Briefe: Die Bildungsdirektion nehme die Sorgen der Eltern zu wenig ernst, sagt Gabriela Kohler, oberste Zürcher Elternvertreterin.
Beobachter: Vor den Sommerferien haben viele Eltern einen Brief erhalten mit der Mitteilung, dass ihre Kinder nach den Ferien von «gut qualifizierten Personen ohne anerkanntes Diplom» unterrichtet werden. Von Personen, die keine pädagogische Ausbildung haben. Verstehen Sie die Angst der Eltern davor?
Gabriela Kohler: Natürlich. Aber ich bin wirklich dankbar, dass Leute gefunden werden konnten, die einspringen und helfen, den Lehrpersonenmangel zu beheben, damit Schule stattfinden kann. Wir haben eine Notsituation. So darf es nicht weitergehen.
Warum wird nicht Klartext gesprochen, sondern mit solchen Begriffen die Realität beschönigt?
Es wird geschickt versucht, Gelassenheit zu verströmen, damit keine Panik ausbricht. Das ist auch richtig, man muss zuerst schauen, wie es herauskommt. Der neue Fachbegriff heisst Laienlehrpersonen, LLPs. Dabei sind es ja eben gerade keine Lehrpersonen. Die Situation ist absurd: Für jeden Job in der Schweiz braucht man ein Diplom. Nur plötzlich als Lehrer oder Lehrerin nicht? In einer so wichtigen Funktion? Wir haben unsere Besorgnis auch dem Volksschulamt kundgetan.
Wie war der Austausch mit dem Amt?
Es hiess, es werde sorgfältig rekrutiert; man sei überzeugt, dass es gut komme. So im Stil von: «Wir haben alles im Griff, die Schulgemeinden machen es schon richtig.» Wir fühlten uns nicht ernst genommen und sind enttäuscht, dass die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, die ja zudem Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ist, das Wort nicht an die besorgten Eltern richtet. Sie ist leider in dieser Krise zu wenig präsent. Die Erziehungsdirektoren verweisen auf die Kantone, die Kantone auf die Gemeinden. Als Eltern ist man hilflos, wenn sich niemand zuständig fühlt.
Was hatten Sie sich von diesen Gesprächen erhofft?
Ich habe erwartet, dass man uns einen mittel- und längerfristigen Plan vorlegt, wie die Situation zu beheben ist. Schon vor zehn Jahren, als ich das Präsidium des Verbands der Elternmitwirkung übernahm, war vom Lehrermangel die Rede. Im Bildungsbericht von 2018 wurde er explizit erwähnt. Aber was wurde in der Zwischenzeit gemacht? Wie wird zukünftig gehandelt? Auch wenn sich alle Mühe geben, wird es nicht immer gelingen, fachlich und menschlich geeignete Personen für den Schulbetrieb zu finden.
«Viele Eltern befürchten, dass ihre Kinder nicht mehr individuell gefördert werden.»
Gabriela Kohler, Präsidentin der Zürcher Elternmitwirkungs-Organisation
Was genau sind die grössten Sorgen von Eltern?
Dass nicht jeder und jede einfach so Schule geben kann. Die Situation hat sich nach zwei Jahren Corona-Krise noch verschärft, dann kam noch die Integration der ukrainischen Schulkinder
dazu und jetzt der Lehrpersonenmangel. Die Lehrerinnen und Lehrer sind ausgelaugt, und nun müssen sie auch noch die nicht ausgebildeten LLPs unterstützen. Das ist eine höchst herausfordernde Situation. Viele Eltern befürchten, dass ihre Kinder nicht mehr gut ausgebildet und nicht mehr individuell gefördert werden.
Ihre Einschätzung?
Ich befürchte, dass – wie in der Corona-Krise – besonders jene Kinder unter der Situation leiden werden, die keine grosse Unterstützung zu Hause haben. Kinder mit besonderen Bedürfnissen
werden kaum noch angemessen betreut werden können.
Werden nun noch mehr Eltern auf Privatschulen oder Homeschooling setzen?
Die Gefahr besteht, wir haben solche Rückmeldungen. Dabei ist eine starke Volksschule zentral für eine chancengerechte Bildung aller.
Gabriela Kohler, 56, ist Präsidentin der Zürcher Elternmitwirkungs-Organisation (KEO). Ihr gehören 104 Schulgemeinden mit 113’000 Schülerinnen und Schülern an. Seit 2005 ist die Elternmitwirkung im Kanton Zürich gesetzlich verankert. Kohler ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und hat zwei Enkel im Schulalter.
helpline@keo-zh.ch oder 078 927 58 05 (telefonisch, ohne Schulferien, Montag und Mittwoch: 17.00 bis 19.00 Uhr; Freitag: 10.00 bis 11.00 Uhr und 13.30 bis 16.00 Uhr)
9 Kommentare
„Wir fühlten uns nicht ernst genommen und sind enttäuscht, dass die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, die ja zudem Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ist, das Wort nicht an die besorgten Eltern richtet.“
Umso beredter äussert sich die Abteilung Bildungsplanung auf der Website des Kantons Zürich: “Die Bildungsplanung zieht frühzeitig Verantwortliche aus Bildungsverwaltung und Bildungspraxis in die Bewertung von Befunden und Erkenntnissen ein. Damit wird ein gemeinsamer Prozess der Bildungsplanung möglich.”
Dort versichert die Abteilung Bildung zusätzlich “Die hohe Qualität der Bildung im Kanton Zürich beruht auf starken öffentlichen Schulen,…”
Und “Wir müssen alles daran setzen, dass wir für die Kinder und Jugendlichen im Kanton Zürich die bestmögliche Bildung und Ausbildung ermöglichen. Eine starke Volksschule, die allen Kindern zugänglich ist,…”, so die ebenfalls beredten Worte der Bildungsdirektorin Silvia Steiner - aber eben: beredt, nicht überzeugend.
... dass die Kinder mit dem heutigen Schulsystem nicht gut ausgebildet werden, hat nichts mit dem LP-Mangel sondern mit dem System zu tun. Mit den unfähigen Politikern und Sach"verständigen" (vielleicht ausgebildet, aber von verständig weit entfernt), die dauernd am System rumbasteln und sich selbst ein Denkmal setzen wollen. Etwas, das gut ist und gut funktioniert muss nicht dauernd verändert werden. Das zu erkennen, dafür braucht es so was Seltenes wie Intelligenz und v.all. den noch viel selteneren sog. gesunden Menschenverstand, was bei Verantwortlichen leider höchst selten zu finden ist.
Liebe Frau G. die Gesellschaft hat sich verändert. Mit ihr muss sich auch die Schule verändern. Heute sind auf dem Arbeitsmarkt andere Fähigkeiten gefragt. Die Bildungsverantwortlichen müssen eine Antwort darauf finden, das hat nichts mit Selbstverwirklichung oder sich ein Denkmal zu setzen zu tun.
In der Zwischenzeit wurde gemacht, was immer gemacht wird: NICHTS. Jetzt gross schreien, es gebe zu wenig Lehrer, als ob sich das "Problem" erst seit vorigem Jahr gezeigt hätte. Man weiss seit JAHRZEHNTEN, dass zwischen 2015 und 2025 massiv viele LPs pensioniert werden. Dafür muss man nur primarschulmässig rechnen können, da braucht es weder Studium noch Studien. Dasselbe Geschrei, wie bei der AHV. Da weiss man auch seit JAHRZEHNTEN, dass die geburtenstarken Jahrgänge jetzt und in den nächsten Jahren ins AHV-Alter kommen. Aber verkauft wird es wie die neueste Erkenntnis. Einfach nur lächerlich, was da abgeht.
Es gibt übrigens auch massig viele LPs mit Ausbildung, die nicht unterrichten können. Entweder man hat das Flair dafür oder eben nicht. Das ist wie bei vielen andern Berufen auch. Man kann vieles lernen und abschliessen. Ob man es auch ausüben kann ist damit noch lange nicht gesagt.
Ich gebe Ihnen recht, es ist unverständlich wie man dieser Entwicklung nicht mehr Beachtung geschenkt hat und jetzt in der Not an den Schule sogar auf Laien setzen muss. Jetzt haben wir den Salat und haben im Moment gar keine ander Wahl. Zweckoptimismus und Pragmatismus ist gefragt.
In jedem Beruf gibt es ausgebildete Menschen, die nicht geeignet sind. Warum soll das bei den Lehrpersonen anders sein? Aber ich denke, die Wahrscheinlichkeit, das jemand, der eine solide Ausbildung genossen hat besser unterrichtet ist doch grösser, als bei jemandem ohne Ausbildung mit einem Flair für Kinder. Finden Sie nicht? Heute braucht es für jeden Job in der Schweiz ein Diplom, ausgerechnet bei der Ausbildung der Kinder nicht? Das ist eine absurde Situation, die so nie hätte eintreten dürfen.
Lehrpersonen-Mangel ist seit langem bekannt, sichtbar!
Allerdings wurde bis dato von den Zuständigen/Verantwortlichen ("Bildungs-DirektorenInnen" = jedem sein eigenes Bildungs-Un-Wesen), NICHT aktiv gehandelt, um diesen jahrelangen Mangel zu beheben und zwar schweizweit!!
Es herrscht wie im revisionsbedürftigen "Gesundheits-Wesen", ein unsinniger, da intransparenter und kostenaufwändiger "Kantönligeist-Wirrwarr"!
Anstatt dass endlich "gesamtschweizerisch": gedacht - geplant - umgesetzt wird, was die gesamte Bevölkerung des - verbauten, zubetonierten, überbevölkerten - Kleinstaates betrifft!!??
1 gesamtschweizerisches: Bildungs-Grundsystem
1 gesamtschweizerische: Grund-Kranken-Versicherung, Zusatzversicherung nach Bedarf, "Gesundheits-Wesen"!!