«Private Bespitzelung erlaubt»
Nestlé infiltriert und überwachte die Organisation Attac. Nun wurde das Strafverfahren gegen den Konzern eingestellt, da das Strafrecht «private Bespitzelung» nicht als Straftatbestand erkennt.
Veröffentlicht am 17. Februar 2009 - 10:26 Uhr
Zwischen 2003 und 2005 hatte die Securitas die globalisierungskritische Organisation Attac im Auftrag von Nestlé infiltriert und überwacht. Als dies Mitte 2008 bekannt wurde, reichte Attac eine Strafanzeige gegen die Securitas-Mitarbeiter und Nestlé ein (siehe Artikel zum Thema).
Letzte Woche stellte der Waadtländer Untersuchungsrichter Jacques Antenen das Strafverfahren ein. Das Strafrecht kenne «Privatspionage» nicht als Tatbestand, und das Datenschutzgesetz sei nicht verletzt, argumentierte er. Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch beantwortet die brennendsten Fragen, die sich nach dem Entscheid stellen.
Beobachter: Daniel Jositsch, darf ein Unternehmen einfach so Spitzel bei einer Organisation einschleusen?
Daniel Jositsch: Aus strafrechtlicher Sicht ja. Private Bespitzelung ist in der Schweiz erlaubt, solange keine Telefone abgehört, wirtschaftlicher Nachrichtendienst betrieben oder andere spezifische Straftaten begangen werden.
Beobachter: Private dürfen also frisch-fröhlich tun, was der Polizei nur unter strengsten Auflagen erlaubt wird?
Jositsch: Unter den erwähnten Voraussetzungen ja. Eine Bespitzelung unter Privaten hat viel geringere Konsequenzen als eine verdeckte Ermittlung der Polizei. Denn die Polizei setzt dieses Mittel ein, um allenfalls an Beweise für ein Strafverfahren zu kommen.
Beobachter: WWF, Greenpeace, Swissaid und Co. können sich somit nicht gegen Bespitzelungen durch Firmen wehren. Müsste da der Gesetzgeber nicht handeln?
Jositsch: Eine Firma wird sich gut überlegen, eine solche Organisation zu bespitzeln. Wird dies nämlich öffentlich, ist der Imageschaden gross. Das ist oft «Strafe» genug. Man muss nicht immer einen neuen Straftatbestand schaffen, wenn in der Gesellschaft ein Missstand bekanntwird.
Beobachter: Hat die Öffentlichkeit nicht ein Interesse daran, dass kritische Non-Profit-Organisationen arbeiten können, ohne Angst vor Spitzeln haben zu müssen?
Jositsch: Doch, ich verstehe das Unbehagen. Aber im Moment ist das Problem meines Wissens noch marginal. Erst wenn solche Bespitzelungen vermehrt vorkommen, muss der Gesetzgeber handeln. Denn es ist nicht einfach, einen klaren Straftatbestand zu formulieren. Ist es bereits eine strafbare Bespitzelung, wenn zum Beispiel ein Mitglied der FDP an die Generalversammlung der CVP geht und dann seiner Partei Bericht erstattet? Hier dürfte es schwierig sein, eine klare Grenze zu ziehen.