Müesli sind immer noch zu süss
Hersteller versprechen, bei Frühstücksflocken den Zucker zu reduzieren. Das zuständige Bundesamt meldet erste Erfolge. Es ist ein blosser Rechentrick.
Veröffentlicht am 24. April 2018 - 11:57 Uhr,
aktualisiert am 26. April 2018 - 11:40 Uhr
Sie tragen coole Namen wie Smacks, Crisps, Shells. Und versprechen mit Vitaminen und Vollkorngetreide einen gesunden Einstieg in den Tag. In der Realität handelt es sich bei diesen Produkten um Zuckerbomben. «Frühstückscerealien sind von der Zusammensetzung her oft nichts anderes als zerbrochene Guetsli, die in Milch aufgelöst werden», sagt die Ernährungsberaterin Franziska Widmer von der Gesundheitsförderung Schweiz.
Vor drei Jahren gelobte die Industrie Besserung. Grosse Händler wie Migros, Coop, Emmi und Nestlé «verpflichteten» sich, den Anteil an Zucker in Cerealien und Joghurts bis 2018 zu senken. Später kamen Danone, Kellogg’s, Aldi und Lidl dazu.
Jetzt soll alles besser sein . Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen untersuchte und kommt zum Schluss: «Weniger Zucker in Müesli und Joghurt.» Das sei «das Resultat eines freiwilligen Engagements von Firmen».
In einem Vergleich von 155 Produkten zeigt das Bundesamt, dass 2017 der Anteil Zucker bei den Cerealien im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozent gesunken sei. Das klingt nach ansehnlich viel, ist aber fast nichts: 1,4 Gramm weniger Zucker. Statt durchschnittlich 15,7 Gramm Zucker pro 100 Gramm enthalten Frühstücksflocken gemäss der neuen Analyse noch 14,4 Gramm.
Ausgewertet wurden nicht nur die bei Kindern beliebten Cornflakes, Rice Pops und ähnliche Produkte, sondern auch Müeslimischungen und Porridge. Müesli enthalten aber oft nur um 10 Gramm Zucker, Porridges noch weniger. Das heisst: Dank diesen beiden Kategorien liegt der Zuckeranteil bei 14,4 Gramm. Lässt man Müesli und Porridge weg, steigt er um 4,3 Gramm. Noch schlimmer steht es bei den Produkten, die sich explizit an Kinder richten: Sie enthalten 24,6 Gramm zugesetzten Zucker pro 100 Gramm, räumt das Bundesamt ein.
Wie sich der Zuckeranteil bei einzelnen Produkten und Marken entwickelt, lässt sich nicht überprüfen. Das Bundesamt hält die Produkteliste unter Verschluss. Unklar ist auch, wer entschieden hat, welche Produkte analysiert werden. Das Bundesamt beteuert, nicht die Industrie habe das Studiendesign festgelegt, sondern die Behörde.
Keine Rolle spielte in der Auswertung der Umsatz. Wenn ein Hersteller bei weniger stark verkauften Produkten den Zucker verringert, resultiert auf dem Papier zwar eine Verbesserung. Auf dem Teller landen aber nach wie vor die überzuckerten Produkte. Vor diesem Hintergrund ist die öffentlich dokumentierte Reduktion ein Klacks.
Das Bundesamt reagiert zurückhaltend auf diese Überlegungen: «Nach der neuen Analyse sagen wir nicht ‹Hurra›. Aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.»
Eine Stichprobe des Beobachters mit 47 beliebten Produkten von Coop, Migros, Denner, Aldi und Lidl zeigt: Am Angebot hat sich wenig geändert, der Zuckeranteil ist bei den allermeisten Cerealien nach wie vor viel zu hoch. Zudem richten sich noch immer zahlreiche Zuckerbomben mit ihrer Aufmachung offensichtlich an Kinder.
Nur gerade 6 Prozent der ausgewerteten Produkte weisen weniger als 10 Gramm Zucker auf. 60 Prozent enthalten mehr als 20 Gramm Zucker, fast jedes dritte über 25 Gramm. Den Höchstwert erzielt gemäss der Beobachter-Stichprobe Smacks von Kellogg’s – mit 43 Gramm Zucker.
Zum Vergleich: Gemäss Produkteliste des Bundesamts enthalten nur 40 Prozent der Produkte mehr als 20 Gramm Zucker, und 10 Prozent liegen bei unter 10 Gramm.
Ernährungsexpertin Franziska Widmer sagt, punkto Zuckeranteil beim Frühstück sei man heute tatsächlich einen Schritt weiter. «Die Frage bleibt aber offen, ob das auf die freiwillige Aktion zurückzuführen ist oder auf die allgemeine Sensibilisierung der Konsumenten.» Denn seit Jahren weisen Gesundheitsgremien weltweit immer wieder darauf hin, dass übermässiger Zuckerkonsum Übergewicht und Typ-2-Diabetes fördert.
«Freiwillige Massnahmen der Lebensmittelhersteller reichen nicht.»
Andreas Winkler, Foodwatch
Die deutsche Konsumentenorganisation Foodwatch hat schon 2012 den hohen Zuckeranteil in Frühstücksprodukten angeprangert. «Rein freiwillige Massnahmen der Lebensmittelhersteller und Händler reichen nicht, um die Epidemie ernährungsbedingter Krankheiten zu stoppen», sagt Sprecher Andreas Winkler heute. «Wir brauchen wirksame Regulierung, etwa eine verständliche Kennzeichnung von Zucker, Fett und Salz. Dazu Werbebeschränkungen für ungesunde Kinderlebensmittel und eine Mehrwertsteuerbefreiung von Obst und Gemüse.»
Am Frühstückstisch hat sich wenig geändert – trotz amtlicher Erfolgsmeldungen: Wer eine mittelgrosse Schale Frühstücksflocken isst, deckt damit die Hälfte seines Zucker-Tagesbedarfs. Wenn man später noch ein einziges Süssgetränk trinkt, ist das Tagessoll bereits erfüllt.
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