Das Gute wächst ja so nah
Oskar Marti alias «Chrüter-Oski» kocht, was sein Garten hergibt. Sein Wissen in Sachen Grünzeug ist legendär.
Veröffentlicht am 27. September 2005 - 15:43 Uhr
Das gibt es wirklich selten: eine spontane Einladung zu einer Beerdigung. Oskar Marti eröffnet mir, dass er ein Güggeli mit Mais servieren werde, denn dies sei dessen Henkersmahlzeit gewesen. Zudem liege es auf dem Totenbett aus Eierschwämmen und lande nachher in unseren Bäuchen, sprich: im Güggelifriedhof. Der Mann kichert vor sich hin, der morbide Spass macht ihm sichtlich Freude.
Willkommen in der Welt von Oskar Marti, besser bekannt als «Chrüter-Oski», Wirt der «Moospinte» in Münchenbuchsee und schräger Vogel der Gastroszene. Der Mann liebt es, Geschichten zu erzählen, am liebsten seinen Gästen, direkt am Tisch: «Oft fasse ich zusammen, was am gleichen Tag passiert ist – und lasse die Ereignisse auch ins Menü einfliessen», sagt er. Kleine, persönliche Denkanstösse anstelle eines Tischgebets.
Zum Beispiel über das Konsumverhalten der Menschen, das ihm auf den Nerv geht: «80 Prozent unter uns sind Konsumenten und nur 20 Prozent Geniesser.» Konsumenten, nach Martis Definition, sind Menschen, denen der Sinn für Zeit und Qualität abhanden gekommen ist. Sie wollen alles, und zwar überall und sofort. Geniesser hingegen hätten die Fähigkeit zu warten: «Die Natur hat Zeit gebraucht, um den Kürbis zu produzieren. Warum denn gleich nervös werden, wenn er nicht sofort auf den Tisch kommt?»
Der Muskatellerkürbis, den wir zu einer Suppe verarbeiten werden, ist mehr als zwei Kilo schwer und knallorange, gewachsen 50 Meter neben dem angrenzenden Golfplatz. «Chrüter-Oskis» Verhältnis zu den Golfern ist zwiespältig. Es sei nicht so, dass sie eine besonders gute Kundschaft seien: «Der Sport kostet, der geleaste Mercedes kostet – dann bleibt halt fürs Essen im Restaurant nicht mehr viel Geld übrig.» Spielt er selber denn nicht Golf? «Nein, dazu bin ich noch zu jung! Nicht zufällig fragt man schliesslich: ‹Kannst du noch – oder spielst du schon Golf?›»
Als der Rucola nach Zürich ging
Im Garten läuft Oskar Marti zur Höchstform auf: Er nennt Namen von Gewächsen, von denen mir einige noch nie begegnet sind: Parakresse, Estragon-Tagetes, Borretsch, Ysop. Und ich lerne allerlei Details über die Kräuter: Das erste desinfiziere den Mund, das zweite sei ein Universalgewürz für Fisch und Geflügel, das dritte helfe gegen Aufstossen, das vierte habe eine verdauungsfördernde Wirkung.
Oskar Marti hatte schon immer eine Schwäche für alles Grüne. Seit er als Bub seinen eigenen Pflanzblätz hatte, bildete er sich auf diesem Gebiet ständig weiter. Was er über die Rauke zu erzählen weiss, steht allerdings in keinem Kräuterbuch: «Sie war bis vor kurzem nicht sehr beliebt. Aber dann ging sie nach Zürich in ein Marketingseminar und kam als Rucola zurück. Seither sind alle verrückt danach.»
Die «Moospinte» ist Oskar Martis Zuhause. Er ist mit seinem Lokal so verwachsen, dass er nicht einmal eine private Küche hat. So kochen wir in der Chromstahlumgebung – und sind trotz modernster Infrastruktur etwas eingeschränkt: «Wenn ich privat koche, muss ich selber abwaschen, achte also darauf, dass ich nur wenige Pfannen brauche.» Martis Frau Ursula schmunzelt. Sie ist im Service tätig und für den Einkauf der Weine zuständig. Heute hat sie ein paar erlesene Burgenländer Tropfen aus dem Keller geholt.
Charmeoffensive aus Österreich
Martis Frau ist Österreicherin, genau wie seine Mutter. Das sei kein Zufall, behauptet er: «Mein Vater sagte, wir Schweizer hätten vor mehreren hundert Jahren mit den Österreichern auch den Charme aus unserem Land vertrieben; er habe durch seine Heirat einen Teil zurückgeholt. Da wollte ich nicht zurückstehen.»
Wir wenden uns den Mistkratzerli zu. Binden, würzen, in den Ofen schieben: Alles geht im Eiltempo bei Oskar Marti. Die Handgriffe sind kaum einzeln nachvollziehbar. Wie kommt es, dass einer, der selber dermassen voller Energie ist, allen Ernstes Langsamkeit predigt? «Man glaubt es vielleicht nicht, aber ich bin ein geduldiger Mensch», sagt er. «Die scheinbare Hektik kommt daher, dass ich viele Ideen habe und manchmal fast nicht nachkomme mit der Umsetzung.»
Eines der wichtigsten aktuellen Projekte des Starkochs heisst «Cocolino» und soll vor allem Kinder ansprechen. Marti hat bereits Dutzende von Filmbeiträgen mit SF DRS realisiert und vier Kinderkochbücher herausgegeben – weitere Aktionen und Auftritte sind geplant. Marti, selber kinderlos, will den Kleinen nicht nur das Kochen beibringen: «Sie sollen einen Bezug zum Essen erhalten und wissen, woher die Produkte stammen. So bekommen sie ein Verhältnis zu Qualität, Regionen und Jahreszeiten.»
Montag ist Ruhetag in der «Moospinte», und so sitzen wir ganz allein in der prächtigen Gartenwirtschaft. Alles, was Oskar Marti serviert, hat mal in der näheren Umgebung gelebt: Poulet, Kräuter, Pilze, Beeren. «Auch der Mais kommt von hier», beichtet er während des Nachtessens. «Aber bitte nicht schreiben, woher ich ihn habe – sonst hat mein Nachbar keine Freude!»