Stars in der Menage
Familie Muntwyler vom Circus Monti führt ein spannendes Leben auf engstem Raum. Da liegt die Küche oft notgedrungen etwas am Rand.
Veröffentlicht am 12. April 2004 - 18:51 Uhr
Ein ungemütlicher Tag: Der graue Himmel hängt tief, die Regentropfen gefrieren zu nassem Schnee, die Temperaturen liegen nahe bei null. Egal: Es ist Frühling, die Zirkussaison hat begonnen.
Wir sitzen im Wohnwagen der Familie Muntwyler, deren Circus Monti dieses Jahr seinen 20. Geburtstag feiert. Das Heim auf Rollen gibt nach Auszug der Seitenteile überraschend viel Platz her: Wohnzimmer, Badezimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer und Küche. Die Artistenfamilie lebt mehr als acht Monate pro Jahr auf diesen wenigen Quadratmetern, die zur Zeit unseres Besuchs im luzernischen Hochdorf auf der Scherrermatte parkiert sind: vis-à-vis vom Chapiteau, hinter dem Kassenwagen.
Sylvia Muntwyler kocht in ihrer Wohnwagenküche nicht immer aus Freude an der Sache. Im Alltag sei die Zeit knapp, weshalb sie oft den Kühlschrank öffne, um zu schauen, was er hergebe. Wir sitzen am Tisch und beginnen mit der Arbeit. Der Kohlrabi, den Johannes Muntwyler mit einem Rüstmesser in die Hand gedrückt bekommt, kommt ihm spanisch vor. «Was ist denn das?», will er wissen. Kein Wunder, kennt er das Gemüse in der ursprünglichen Form nicht, denn seine Frau sagt, sie zerkleinere es meist bis zur Unkenntlichkeit. «Ich verstecke es in den Teigwaren, sonst würden es die Buben nicht essen.»
Der Lehrer als Artist und Aussteiger
Die Buben, das sind – neben Ehemann Johannes – der zehnjährige Tobias, der siebenjährige Mario und der 19 Monate alte Nicola. Als Johannes selber noch ein Junge war, arbeitete sein Vater Guido Muntwyler (Spitzname «Monti») als Lehrer in Wohlen. Dass die Familie den Circus Olympia für eine Saison auf Tournee begleitete, war vorerst ein einmaliges Projekt. Niemand hätte gedacht, dass daraus ein neues Leben für Muntwylers werden würde. Ab 1985 reisten sie mit eigenem Zirkus durch die Schweiz, was einen Teil der Bevölkerung in Wohlen zu bösen Kommentaren verleitete. In einem TV-Bericht gab es Stimmen wie: «Das gehört sich für einen Lehrer nicht, im Zirkus den Clown zu spielen.» Oder: «Ich kann nicht verstehen, dass seine Frau das mitmacht.» Sogar die eigene Grossmutter genierte sich vor den Nachbarn und besuchte die Vorstellungen auswärts.
Guido Muntwyler starb 1999. Seither führen seine Frau und seine Söhne Niklaus und Johannes den Betrieb. Der Circus Monti, auf den man in Wohlen mittlerweile stolz ist, zählt heute 35 Angestellte und kämpft mit den grossen Zirkussen des Landes jedes Jahr neu um die Gunst des Publikums.
Gewisse Prestigestandplätze wie beispielsweise die Zürcher Sechseläutenwiese werden ihm zwar immer noch nicht einmal jährlich fest zugeteilt. Aber Johannes Muntwyler schätzt auch die Vorteile von Gastspielen abseits der grossen Zentren: «Wenn wir mit unseren Wagen in ein kleines Dorf kommen, ist das noch ein Ereignis. Da stehen die Kinder am Strassenrand und winken.»
Auch die Kinder machen Zirkus
Unterdessen sind die beiden grösseren Buben von der Schule nach Hause gekommen, in der sie nicht etwa jonglieren oder reiten lernen, sondern rechnen und schreiben, so wie andere Kinder auch. «Sie sind eigentlich ganz normale Kinder», sagt der Vater. Aber was ist schon normal? Seit einem Jahr haben sie ein separates Kinderzimmer im eigenen Wohnwagen. Und sie treten in der Manege Abend für Abend vor das Publikum.
Im diesjährigen Programm, bei dem der legendäre Clown Dimitri Regie führte, reitet Mario auf einem Pony und bestreitet, zusammen mit Tobias und dem Vater, eine Diabolo-Nummer.
Das gemeinsame Training sei nicht immer einfach, sagt Johannes Muntwyler, vor allem dann, wenn man einsehen müsse, dass man als Vater nicht automatisch besser sei. Sylvia hat ihre Karriere als Trapezkünstlerin nach der dritten Schwangerschaft vorläufig vertagt.
Das Gemüse und die Teigwaren sind in der Gratinform im Ofen «versorgt». Man muss es im Wohnwagen so nennen, denn hier ist alles an seinem Platz. Sonst würde schnell einmal ein Chaos entstehen. Wir reden über die Tierhaltung in Zirkussen, die neulich vom Tierschutz kritisiert wurde. Der Circus Monti, der weder Raubtiere noch Elefanten oder Nashörner hat, kam gut weg.
Trotzdem nimmt Johannes Muntwyler das Thema ernst: «Als wir eine Meersäuli-Nummer im Programm hatten, in der die Tier piepsten, wenn der Clown sie scheinbar zwickte, mussten wir darauf achten, dass auch dem hintersten Zuschauer klar wurde, dass es sich dabei um einen Trick handelte. Nicht das Tier schrie, sondern der Clown pfiff mit einem Plättli durch den Mund.»
Pannen gehören zum Programm
Kurz vor dem Essen gibt es einen Stromausfall. Für die Zirkusleute sind solche Probleme alltäglich. Johannes Muntwyler zieht Jacke und Stiefel an und geht der Sache draussen nach. «Vermutlich haben sie das Aggregat umgeschaltet – oder es ist Wasser in einen Stecker eingedrungen. Kann passieren!»
Wirklich heikel wäre es, wenn viel Schnee fallen würde. «Weil er Sägemehlmarkierungen verdeckt, die am neuen Standort einen Tag vor dem Umzug angebracht werden. Ausserdem kann er, wenn er dick fällt, das Zelt eindrücken. Dann müssen wir in der Nacht Schneewachen aufstellen und notfalls die Heizung einschalten.» Im Moment gibts aber keinen Grund zur Sorge. Denn es ist ja Frühling und darum bloss kalt und nass.