Kein Kind wird grundlos dick
Dicke Kinder leiden doppelt: Das Fett setzt der Gesundheit zu und macht sie oft zur Zielscheibe von Spott und Häme.
aktualisiert am 13. Juli 2017 - 11:10 Uhr
Viele Kinder in der Schweiz sind übergewichtig, einige davon gelten gar als krankhaft fettsüchtig. Seit den achtziger Jahren ist der Anteil der dicken Kinder um 50 Prozent gestiegen; die krankhafte Fettsucht, die sogenannte Adipositas, tritt sogar doppelt so häufig auf.
Die Gründe dafür sind vielschichtig: In erster Linie ist Adipositas ein gesellschaftliches Problem, da Bewegungsmangel und das Überangebot an kalorienreichen Nahrungsmitteln schon bei Kindern zu chronischem Übergewicht führen.
Statt draussen herumzutoben, Ball zu spielen oder mit dem Seil zu hüpfen, sitzen die Kinder zu Hause vor dem Fernseher oder Computer und naschen fettige und süsse Sachen. Die Gefahr, dass Kinder in einen Teufelskreis geraten, ist gross: Weil sie sich wenig bewegen, nehmen sie zu, und weil sie zugenommen haben, bewegen sie sich weniger.
Das Fernsehen ist der eigentliche Dickmacher. Studien zeigen: Je mehr Zeit die Heranwachsenden täglich vor der Glotze verbringen, desto stärker fällt das Übergewicht aus. Fernsehen bedeutet körperliche Inaktivität, und die TV-Werbung weckt zusätzlich den Appetit auf kalorienreiches, ungesundes Essen.
Doch sogar wer ruhig auf dem Sofa liegt, verbrennt mehr Kalorien als jemand, der das Gleiche vor laufendem Fernseher tut. Der Grund für den Dickmacher-Effekt: Fernsehen löst Stress aus, und Stress begünstigt die Gewichtszunahme, steigert den Appetit und stört den Schlaf.
Eltern erleben beim Heranwachsen ihrer Kinder ein Wechselbad der Gefühle. Beobachter-Mitglieder erhalten diverse Erziehungstipps für das Kleinkindalter bis hin zur Pubertät. Ausserdem erfahren sie, was sie bei Erziehungsproblemen tun können (beispielsweise Kinder vor den Gefahren des Internets zu warnen).
Eltern haben grossen Einfluss darauf, ob ihre Kinder dick werden oder nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Ernährungsverhalten der Eltern, vor allem der Mutter, die Gewichtsentwicklung des Kindes entscheidend beeinflusst – und zwar schon vor der Geburt.
Ist die Mutter übergewichtig oder nimmt sie während der Schwangerschaft massiv zu, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind später an Fettleibigkeit erkrankt. Eltern sollten sich deshalb möglichst früh mit Fragen zu gesunder Ernährung und aktivem Lebensstil befassen.
Doch nicht nur das Ernährungsverhalten der Eltern, auch die Gene haben einen direkten Einfluss darauf, ob ein Kind dick wird. Die Forscher schätzen, dass die genetische Veranlagung 20 bis 80 Prozent ausmacht.
Übergewicht schränkt Kinder zunehmend in ihrem Alltag ein. Gewisse Sportarten, die Geschicklichkeit voraussetzen, können betroffene Kids kaum mehr ausüben, und im Turnunterricht werden sie oft gehänselt und ausgeschlossen. Das wirkt sich aufs Selbstbewusstsein aus: Dicke Kinder leiden oft an mangelndem Selbstwertgefühl. Sie werden zu Opfern sozialer Isolation und sind häufig gemütskrank. Typisch sind seelische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Beschwerden, Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und auch die sogenannte Binge-Eating-Störung (Fressattacken ohne Erbrechen).
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen hat immer auch psychosoziale Gründe.
Deshalb umfasst eine seriöse Behandlung von Adipositas – neben medizinischen Abklärungen und einem Ernährungs- und Bewegungsprogramm – auch eine Psychotherapie. Es sollen die Zusammenhänge zwischen Essen und Emotionen erkannt, die Selbstwahrnehmung geschärft und trainiert und gelernt werden mit Stress anders umzugehen.
Bei chronischer Fettsucht machen sich längerfristig auch körperliche Beschwerden und Krankheiten bemerkbar. Dazu gehören Gelenkprobleme, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2.
Selbst wenn ein Kind wieder abnimmt, verschwinden diese Begleiterkrankungen nicht unbedingt: Im Erwachsenenalter besteht die Gefahr, an Arteriosklerose zu erkranken und als Folge davon einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.
Deshalb ist es wichtig, dass Übergewicht möglichst früh behandelt wird. Je eher die Therapie erfolgt, umso grösser ist der Erfolg, denn je adipöser ein Kind ist, desto komplexer ist die Essstörung und desto schwieriger wird die Behandlung.
Ob es sich nun um eine einfache oder komplexe Essstörung handelt: Ohne Mitwirkung der Eltern geht gar nichts, denn auch sie müssen bereit sein, ihren Lebensstil zu ändern – und zwar langfristig.
- Allgemein: Schweizerische Adipositas-Stiftung (SAPS), Baumackerstrasse 42, Zürich, Tel. 044 251 54 13: www.saps.ch
- Therapien: Beim Schweizerischen Fachverband Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AKJ) setzen sich Fachleute aus Medizin, Bewegung, Ernährung und Psychologie für die Entwicklung professioneller Hilfsangebote ein. Auf der Website findet sich eine Liste aller zertifizierten Programme in der Schweiz: www.akj-ch.ch
- Essstörungen: Experten-Netzwerk Essstörungen (Adipositas, Magersucht, Bulimie): www.netzwerk-essstoerungen.ch
- Behandlung/Verhaltenstraining: Viele Spitäler bieten spezielle Programme. Das Inselspital Bern etwa wendet ein modernes, umfassendes Adipositas-Therapiekonzept an. Infos: www.insel.ch. Ebenso das Spital Winterthur, in Zusammenarbeit mit dem Sozialpädriatischen Zentrum: «adwin» richtet sich an übergewichtige Jugendliche zwischen 8 und 16 Jahren. www.ksw.ch
- Bewegung: Sportcamps für übergewichtige Kinder und Jugendliche aus dem Kanton Zürich: www.sport.zh.ch
- Körpergewicht: Tipps rund um ein gesundes Körpergewicht; Bewegungs- und Ernährungsscheibe: www.gesundheitsfoerderung.ch
- Body-Mass-Index: Das interaktive Angebot von «minuweb». Hier findet man einen Online-Rechner für Kinder und Jugendliche: www.minuweb.ch
- Ernährung: Spielerisch vermittelte Informationen für Jugendliche (z. B. Lebensmittelpyramide, Fastfood-Quiz): www.feel-ok.ch
- «Kinder im Gleichgewicht» (KIG): Ist ein Aktionsprogramm des Kantons St.Gallen zur Übergewichtsprävention von Kindern in Zusammenarbeit mit dem Ostschweizer Kinderspital www.kinder-im-gleichgewicht.ch
- Magersucht: Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen (AES): Die Fachstelle liefert Informationen, bietet Beratungen an und vermittelt Therapiestellen. AES, Feldeggstrasse 69, 8008 Zürich, Tel. 043 488 63 73: www.aes.ch