«Pass doch auf», ruft die Mutter, «du weisst doch, dass das gefährlich ist für Max!» Dabei wollte die sechsjährige Emma nur mit ihrem jüngeren Bruder spielen. Sie hat seinen Rollstuhl gepackt und ist mit ihm durch den Gang gerannt. Es hat ihm offensichtlich Spass gemacht.

Jetzt ist Emma wütend. Warum darf sie nicht auch einmal wild herumtoben mit Max? Warum ist ihr Bruder anders? Manchmal denkt sie, dass sie gern einen gesunden Bruder hätte. Aber das darf sie niemandem sagen.

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Schattenkinder halten sich mehr zurück

Vielen Geschwistern von behinderten oder schwer kranken Kindern geht es ähnlich. Schattenkinder werden sie genannt, weil sie manchmal ein Leben im Schatten ihrer Geschwister führen, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Schon früh müssen die Schattenkinder lernen, Rücksicht zu nehmen und ihre Wünsche zurückzustellen. Hinzu kommt, dass belastende Themen wie Krankheit und Leid für sie alltäglich sind. Sie sehen, dass die Eltern manchmal traurig und müde sind. Das ist nicht leicht auszuhalten.

Auch für Emma nicht. Sie hat ihren Bruder gern. Allerdings schenken die Eltern Max oft mehr Aufmerksamkeit als ihr. «Nie hast du Zeit für mich», wirft sie dann der Mutter vor.

Wut auf das kranke Geschwisterchen

Aber darf man wütend sein auf die kranke Schwester oder den behinderten Bruder? Bei vielen Kindern lösen solche Gedanken Verunsicherung und Schuldgefühle aus.

Doch keine Sorge: Schattenkinder haben nicht automatisch eine schwierige Kindheit. Viele nehmen wertvolle Erfahrungen mit und sind so Gleichaltrigen sozial deutlich überlegen.

Die Eltern können einiges tun, damit diese positiven Aspekte in den Vordergrund treten. Wenn sie sich bewusst sind, mit welchen Herausforderungen das Kind konfrontiert ist, können sie es gezielt unterstützen.

So stärken Eltern das gesunde Kind

Offen mit dem Kind sprechen
Erläutern Sie in kindgerechter Sprache die Behinderung oder Krankheit des Geschwisters. Kinder füllen die Wissenslücken sonst mit Fantasie und wilden Erklärungen. Zeigen Sie konkret auf, wo das Geschwister Hilfe braucht und was es alleine kann.
 

Zeit mit dem Kind verbringen
Planen Sie bewusst regelmässige Phasen ein, die ganz allein für das «vernachlässigte» Kind reserviert sind. So zeigen Sie Ihr Interesse an seinen Freuden, Wünschen und Sorgen.
 

Das Kind eigene Wege gehen lassen
Unterstützen Sie das Kind dabei, Freundschaften aufzubauen, Hobbys zu pflegen. Es soll bewusst auch Zeit ausserhalb der Familie verbringen.
 

Rivalitäten zulassen
Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern sind wichtig für die Entwicklung. Lassen Sie sie auch in dieser speziellen Konstellation zu, soweit es möglich ist.
 

Lehrperson informieren
Sprechen Sie Lehrer oder Kindergärtnerinnen auf die Situation mit dem behinderten Geschwister an. Das kann helfen, ein bestimmtes Verhalten besser einzuordnen.
 

Das Kind einbeziehen
Beteiligen Sie das Kind an Entscheidungen, die die Familie und das behinderte oder kranke Geschwister betreffen. Bürden Sie ihm aber nicht zu viel Verantwortung auf. Es darf seine Meinung mitteilen, muss dann aber nicht (mit-)entscheiden.
 

Auch zu sich selbst schauen
Wenn Sie sich selbstlos für die Familie aufopfern und darüber sich selbst vergessen, macht das auf Dauer unglücklich. Das spüren auch die Kinder. Versuchen Sie deshalb, im Alltag Inseln für sich selbst zu schaffen.

Rechtsratgeber
Merkblatt «Ängste im Kindesalter»

Welche Arten von Ängsten haben Kleinkinder? Was können Eltern tun, um diese Ängste zu lindern? Beobachter-Mitglieder erhalten die Antworten dazu im Merkblatt «Ängste im Kindesalter».

Buchtipp

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Quelle: Beobachter Edition