Wann sollen sich Eltern bei Zoff einmischen?
Wenn Kinder streiten, ist das für die Eltern oft schwer auszuhalten. Wie soll man darauf reagieren?
aktualisiert am 25. Oktober 2018 - 10:34 Uhr
Die Tränen fliessen: «Ich will ihn jetzt!», schreit Benny und zieht am Plastikbagger. Doch Lenny reisst ihn an sich und flieht ins Nebenzimmer. Benny rennt schreiend hinterher. Schon eilt Mami herbei: «Müsst ihr denn immer streiten? Ihr könntet euch doch abwechseln.» Sie nimmt den Bagger mit. Und schon ist der Streit vorbei. Die Buben spielen friedlich. Bis zum nächsten Streit. Vielleicht möchte Benny dann Lennys roten Helikopter.
Streiten und sich wieder vertragen zieht sich durch die ganze Kindheit. Es kann sich positiv auswirken, indem es die Bindungsfähigkeit stärkt. Die Kinder lernen, mit Frust umzugehen und die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen (siehe unten «Tipps: So können Kinder streiten lernen»). Dabei sollten sie nach Möglichkeit den Streit auch selber beilegen können – Konfliktfähigkeit lernen sie nur in Konfliktsituationen.
«Ein Kind, das sich nicht ab und zu zoffen darf, wird um ein typisches Kindheitserlebnis gebracht. Und um eine wichtige Nähe- und Konflikterfahrung», sagt die deutsche Kinderbuchautorin Christiane Grefe. Wenn beim Konflikt um den Bagger die Mutter nicht dazwischengekommen wäre, hätten die Buben wohl allein einen Weg gefunden, sich wieder zu vertragen.
Erwachsene sollten bei einem Streit nur eingreifen , wenn er ausartet, unfair oder gar gewalttätig wird. Oder falls die Kinder von sich aus um Hilfe bitten (siehe unten «Tipps: So können Eltern Streit schlichten»).
Ansonsten überraschen Kinder mit erstaunlichen Strategien zur Konfliktbewältigung. Zum Beispiel bieten sie einfach so an, sich wieder zu vertragen, oder sie laufen einfach weg und spielen am nächsten Tag wieder zusammen. Diese pragmatischen Muster finden sich meist bei jüngeren Kindern. Ältere können eher auch einmal nachgeben.
Zwischen dem 6. und 12. Altersjahr verinnerlicht ein Kind soziale Normen. Beobachter-Mitglieder erfahren im Merkblatt «Entwicklung von Moral und Gewissen bei Kindern», warum sich Kinder immer wieder streiten müssen und wie Eltern mit aufkeimenden Gefühlen wie Eifersucht oder Wut umgehen.
Mit ungefähr acht Jahren legen die Kinder Wert auf sprachliche und gestische Rituale wie den Handschlag. Er signalisiert Gesprächsbereitschaft und die Abkehr von der Aggression. Ab etwa zwölf Jahren wollen sie dann auch oft klären, wer recht hatte. Wer im Recht war, hat «gesiegt». Der Verlierer muss das einsehen und akzeptieren. So wird die Freundschaft wieder besiegelt.
Auch Benny und Lenny haben schliesslich eine Lösung für ihr Baggerproblem gefunden. Jeder spielte eine Weile für sich allein, dann holte Lenny den Bagger bei der Mutter und meinte, sie könnten doch erst zusammen und dann abwechselnd damit spielen. Eine Konfliktbewältigung, wie man sie sich bei vielen Erwachsenen auch wünschte.
- Austragen statt unterbinden
Am besten lernen Kinder in der Familie streiten, da hier kein Platz für nachtragendes Verhalten ist. Das Motto sollte sein: «Streitet – und vertragt euch dann wieder.» - Fair bleiben
Gewalt ist tabu. Gefühle sind erlaubt, Gemeinheiten gehören untersagt. Die Schwächeren werden nicht ausgenützt. - Optik wechseln
In einem Rollenspiel kann das Kind eine andere Perspektive einnehmen und erlebt, wie es sich in solchen Situationen verhalten kann. - Einen Abschluss finden
Nicht nachtragend sein, gelegentlich nachgeben. Grundsätzlich sollte der Streit abgeschlossen sein – dabei muss es nicht immer Gewinner und Verlierer geben.
- Das Problem benennen
Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist es, die Streitpunkte in Worte zu packen, damit das Kind das Anliegen des anderen verstehen kann. - Den Streit ernst nehmen
Die Gefühle der Kinder annehmen und sie unterstützen oder trösten. - Nicht Partei ergreifen
Teilen Sie mit, dass Sie zu verstehen suchen, worum es geht. Dazu immer beide Seiten anhören. - Sorgfältig abklären
Wenn die Kinder Sie um Hilfe bitten, erkundigen Sie sich, was sie von Ihnen erwarten. - Alternativen erarbeiten
Fragen Sie die Kinder, was sie zur Schlichtung schon ausprobiert haben und was ihnen vorschwebt. Sonst können die Eltern mehrere Lösungen vorschlagen. - Gemeinsam entscheiden
Wenn die beste Lösung ausgewählt ist, steht die Umsetzung zur Diskussion. Auch hier dürfen die Kinder mitreden. - Freude zeigen
Die Kinder dafür loben, dass sie das Problem lösen konnten. - Nicht so schnell aufgeben
Falls sich die Lösung nicht bewährt, setzt man sich nochmals zusammen und sucht weiter. Oft entschärfen schon diese Denkpausen den Konflikt. - Vorbild sein
Die Streitkultur der Eltern prägt. Werden Konflikte angesprochen oder totgeschwiegen? Wie gewichten sie selbst ihre Bedürfnisse und Wünsche?
- Stephanie Schneider: «Der kleine Streitberater. Familienkonflikte lösen mit Herz und Verstand»; Verlag Kösel, 2013, 39 Seiten, CHF 14.90.–
- Norbert Landa: «Meins! Nein, meins!»; Verlag Loewe, 2009, 32 Seiten, CHF 19.90.–
- Isabel Abedi: «Blöde Ziege. Dumme Gans. Alle Bilderbuchgeschichten»; Verlag Arsedition, 2009, 115 Seiten, CHF 21.90.–
Eltern erleben beim Heranwachsen ihrer Kinder ein Wechselbad der Gefühle. Beobachter-Mitglieder erhalten diverse Erziehungstipps für das Kleinkindalter bis hin zur Pubertät. Ausserdem erfahren sie, was sie bei Erziehungsproblemen tun können (beispielsweise Kinder vor den Gefahren des Internets zu warnen).