Sex und Sehnsüchte
Jugendliche finden im Internet leicht Zugang zu harter Pornographie. Gleichzeitig wird es für sie immer schwieriger, die eigene Sexualität zu entdecken und zu thematisieren.
Veröffentlicht am 31. August 2009 - 21:11 Uhr
Muss man vor dem Oralverkehr duschen oder bloss die Zähne putzen? Genügt es, wenn man sich gut riechen kann? Und wenn wir schon dabei sind: Was glauben Sie? Ist Blasen und Lecken Männersache, Ehrensache, Frauensache oder Geschmackssache? Die Jugendzeitschrift «Bravo» stellt diese Fragen im interaktiven Quiz «Lecken & Blasen» und verteilt für das Wissen über Oralverkehr Noten von 1 bis 6.
Ein Leser hat mir am Beratungstelefon des Beobachters erzählt, dass er das Quiz auf Wunsch seines 14-jährigen Sohnes machte und bloss 80 Prozent der Fragen richtig beantworten konnte – wie peinlich! Noch peinlicher sei ihm aber die Frage seines Sohnes gewesen, ob er Cunnilingus oder Fellatio geiler fände. Was hätte er sagen sollen? Wie spricht ein Vater mit dem Sohne? Früher hätte er ihm erklären können, dass das eine die orale Liebkosung und Stimulation der weiblichen, das andere der männlichen Geschlechtsorgane meint. Doch weil sein Sohn die moderate Bildersuche im Netz längst durch eine filterlose ersetzt hat, erübrigen sich Erklärungen. Mit ein paar Klicks hat der Sohnemann die Begriffe längst als knallharten Porno gesehen und ist somit im Bilde. Was ihn interessiert, ist, was «geiler» ist.
Wie verdorben ist die Jugend? Heutige Jugendliche wissen zwar viel über sexuelle Praktiken, doch das biologische Wissen ist oft nur bruchstückhaft, wie eine Studie der Universität Basel letztes Jahr zeigte. Und laut einer repräsentativen Studie von «Bravo» und des Meinungsforschungsinstituts Iconkids & Youth standen Treue, Partnerschaft und Vertrauen noch nie so hoch im Kurs. Doch um auf andere einzugehen, sind die Jugendlichen zu sehr mit sich selbst beschäftigt: Eine Umfrage des Kompetenzzentrums Sexualpädagogik und Schule der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz ergab, dass sie beim Flirten, Kontakteknüpfen und Ziehen von Grenzen unsicher sind. Das wird deutlich, wenn man eine Jugendzeitschrift durchblättert: Die Kids wollen beispielsweise wissen, woran sie erkennen können, wenn ein Boy oder ein Girl auf sie steht oder wie man auf gute Art mit anderen in Kontakt tritt. Die vielzitierte «Generation Porno» will mehr als Sex und hopp. Sie sehnt sich nach zwischenmenschlichen Gefühlen.
Wo waren wir? Richtig, beim Vater, der die Frage seines Sohnes peinlich fand. Er sagte ihm, dies sei eine sehr intime Frage, deshalb werde er sie nicht beantworten. Trotz sexueller Offenheit gebe es Dinge, die man nur mit dem Sexualpartner bespreche. Ist das falsch? Nein, das ist Aufklärung! Heutige Aufklärung ist mehr als Begriffsdefinition und Information. Sie umfasst das Vermitteln von Werten und Normen, das Definieren von Nähe und Distanz, das Akzeptieren von Grenzen – der eigenen und jener der anderen. So lernt man, auf andere zuzugehen.