«Was tu ich meinen Kindern an?»
Frage: «Unsere Beziehung ist derart am Ende, da ist Scheidung der einzige Ausweg. Aber wenn ich an die Kinder denke, fehlt mir der Mut dazu. Kann ich ihnen das antun? Vor allem meine Tochter ist so sensibel.»
Veröffentlicht am 11. Mai 2009 - 09:14 Uhr
Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:
Die Entscheidung und die Verantwortung kann Ihnen natürlich niemand abnehmen. Aber die Auflösung einer Ehe braucht für die Kinder nicht zur Katastrophe zu werden. Kinder können Schmerzen verarbeiten, sich umstellen, Krisen überwinden. Und das gespannte oder leblose Verhältnis der Partner in einer ungeschiedenen, aber bankrotten Ehe ist für die Kinder ebenfalls eine Belastung.
Zwar ist die Scheidungsrate wieder etwas gesunken, aber immer noch wird jede zweite Ehe geschieden. Die Ehescheidung gehört zu den gesellschaftlichen Realitäten unserer Zeit und ist im Bewusstsein vieler bereits zu etwas Alltäglichem geworden. Man schätzt, dass zehn Prozent aller Schulkinder geschiedene Eltern haben.
Trotzdem bedeutet eine Scheidung mit Kindern eine grosse Belastung für alle. Auch wenn die Trennung fair und ohne Hass über die Bühne geht, zerbricht natürlich etwas unwiederbringlich. Die Kernfamilie, die vor allem für die Kinder eine Selbstverständlichkeit war, weil sie da hineingeboren wurden, wird es so nie mehr geben. Natürlich bilden auch eine alleinerziehende Mutter und ein alleinerziehender Vater zusammen mit ihren Kindern eine Familie, genauso wie ein zukünftiges Patchwork-Arrangement. Aber es sind eben andere Familienformen mit Vor- und Nachteilen und andern Regeln und Ritualen. Dass der Verlust der Kernfamilie also bei den Kindern Ängste, Trauer oder Wut auslöst, ist normal und angemessen. Falsch wäre es, dies zu verleugnen, so zu tun, als wäre alles bestens. Und vor allem, von den Kindern direkt oder indirekt zu erwarten, dass sie keine negativen Gefühle zeigen.
Das Umgekehrte ist richtig. Wenn man die Kinder ermuntert, sich zu öffnen, auszudrücken, was sie erleben, ihre Meinung zu sagen und ihre Ängste zu formulieren, hilft man ihnen, die Krise zu verarbeiten. Falsche Vorstellungen über die Konsequenzen der Scheidung können dabei geklärt werden. Man kann zwar Ehen scheiden, aber Elternschaft nicht. Das soll man den Kindern deutlich sagen: Sie verlieren weder Vater noch Mutter, die leben bloss nicht mehr zusammen.
Allerdings ist es wichtig, bereits Hinweise zu geben, wie sich der Kontakt zu dem Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, gestalten wird. Immer wieder glauben Kinder auch, sie wären in irgendeiner Weise an der Trennung schuld. Diese Sorge müssen Sie ihnen unbedingt nehmen.
Am besten wäre es natürlich für alle, die Eltern könnten im Frieden auseinandergehen. Meist bestehen jedoch Spannungen, alte Wunden schmerzen noch, es gibt Machtkämpfe um Details, Rachegefühle spielen eine Rolle, Vergangenes kann noch nicht beiseitegelegt werden. Unter diesen Umständen ist es ganz wichtig, dass die Erwachsenen die Kinder aus dem Spiel lassen und sie nicht zur Waffe im Partnerkrieg machen. Es ist ein Missbrauch, wenn man sie nötigt, Partei zu ergreifen. Sie lieben beide Eltern gleich stark und geraten in Loyalitätskonflikte, wenn sie sich auf die eine oder andere Seite schlagen müssen.
Im Internet (siehe unten) gibt es eine Liste von Kinderwünschen an bereits geschiedene Eltern. Zum Beispiel:
- Streitet nicht in meiner Gegenwart.
- Versucht nicht, mich um die Wette zu verwöhnen.
- Macht den andern nicht schlecht vor mir.
- Benutzt mich nicht als Boten.
Manchmal ist eine Scheidung die einzig richtige Lösung eines schweren Paarkonflikts. Wenn man dabei auch das Erleben der Kinder berücksichtigt und entsprechend sorgfältig handelt, braucht man sich nicht mit Schuldgefühlen zu quälen.