Des Pfarrers Erbsünde
Eine reiche Frau aus dem Baselbiet vermacht einem Seelsorger ihr Haus. Er nimmt das Erbe an, obwohl das höchst problematisch ist.
Veröffentlicht am 1. April 2019 - 14:40 Uhr,
aktualisiert am 28. März 2019 - 10:54 Uhr
Jahrelang sei er aufs Maul gehockt. «Aber jetzt kann ich auspacken», sagt Hans Bühler*. «Die Kirchgemeinde kann mich nicht mehr entlassen, weil ich pensioniert bin.»
Der ehemalige Sigrist erzählt: Der Pfarrer seiner Gemeinde habe von einer Gläubigen ein Haus geerbt. Die kinderlose Frau, die oft zu den Gottesdiensten gekommen sei, habe den Pfarrer in ihrem Testament grosszügig berücksichtigt. Heute ist das Haus laut Schätzportalen fast eine Million Franken wert.
Der Präsident der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Landschaft segnete die Schenkung ab, ohne sie Juristen vorzulegen. Die Annahme des Erbes ist rechtlich aber höchst problematisch. In den Kantonen Bern oder Zürich wäre sie illegal. Pfarrer dürfen dort «Aufmerksamkeiten von geringem Wert» annehmen – bis 200 Franken.
Die Gefahr: Wenn Pfarrpersonen erbberechtigt sind, könnten sie reiche Gemeindemitglieder besser behandeln als arme. Sich um Kinderlose intensiver kümmern als um Mütter. Damit das nicht passiert, haben einzelne Kantonalkirchen ein striktes Geschenkverbot erlassen.
«Jeder, der Kirchensteuern zahlt, langt sich doch an den Kopf, wenn er das hört.»
Hans Bühler*, pensionierter Sigrist
«Die Tätigkeit einer Pfarrperson, insbesondere in der Seelsorge, soll nicht davon abhängen, ob sie von einer betreuten Person einen finanziellen Vorteil erwarten kann», sagt Anwalt Martin Röhl. Er leitet den Rechtsdienst der reformierten Kirche des Kantons Zürich.
Wenn ein Pfarrer von einem Gemeindemitglied ein Haus erbe, könne der Eindruck entstehen, dass er die Person beeinflusst habe. «Ein solcher Anschein der Vorteilsnahme schädigt nicht nur das Ansehen von Pfarrpersonen als Personen des öffentlichen Lebens, sondern schadet auch dem Ansehen der Kirchgemeinde und der Landeskirche als Ganzes.»
Der Baselbieter Pfarrer liess das geerbte Haus sanieren, um es zu vermieten. Er wohnt mit seiner Partnerin im villenähnlichen Pfarrhaus mit Gartenanlage und Garage und zahlt dafür nur rund 1900 Franken pro Monat, Heizkosten inklusive.
Der Erbgang beschäftigt Sigrist Hans Bühler noch immer, obwohl er vor 13 Jahren geschah. «Ich bin kein Frömmler. Aber das ist nicht im Sinn der reformierten Kirche.» Es zeuge von einer «unglaublichen Arroganz» des Pfarrers. Als dieser sich im Kirchenblatt als Retter der Armen inszenierte, habe er nicht mehr länger schweigen können.
«Man kann nicht auf der Kanzel von Nächstenliebe und Barmherzigkeit predigen, zur Kollekte für die Armen aufrufen und gleichzeitig auf den eigenen finanziellen Vorteil schielen.» Zumal der Pfarrer einen guten Lohn habe. Er verdient gemäss Kirchgemeinde rund 150'000 Franken im Jahr.
Hans Bühler war fast sein ganzes Leben lang Sigrist bei der reformierten Kirche. Er findet, der Gemeindeseelsorger hätte das Erbe ausschlagen oder der Kirche vermachen müssen. «Ich habe mein Leben auf Christus ausgerichtet. Das bedeutet auch, dass man uneigennützig handelt.»
Deshalb hat Bühler sein Dienstaltersgeschenk von 4000 Franken nicht für sich behalten, sondern der Kirchgemeinde gespendet. «Für mich hat unser Pfarrer ein Glaubwürdigkeitsproblem. Jeder, der Kirchensteuern
zahlt, langt sich doch an den Kopf, wenn er das hört.»
«Die Seelsorge soll nicht davon abhängen, ob ein Vorteil erwartet werden kann.»
Martin Röhl, Rechtsdienst der reformierten Kirche Kanton Zürich
Da der Erbgang bereits so viele Jahre zurückliegt, gilt ein Recht auf Vergessen. Der Beobachter darf weder die Identität der Pfarrperson offenlegen noch die Kirchgemeinde nennen.
Das betont auch der Pfarrer selbst. Er sagt, er habe die Erblasserin sieben Jahre vor ihrem Tod «im privaten Rahmen» kennengelernt. Daraus habe sich eine Freundschaft entwickelt zwischen der Frau und seiner Familie. Er habe die Frau zusammen mit seiner Lebenspartnerin zum Arzt gefahren. Man habe sich oft getroffen und Kaffee getrunken. So sei man auf die Idee gekommen, zu zweit ein Projekt für die Kirchgemeinde zu starten.
Als die vermögende Gläubige an Krebs erkrankte, habe er sie selbstverständlich auf ihrem letzten Weg begleitet. Die kinderlose Frau habe in ihm vielleicht den Sohn gesehen, den sie nie hatte. Vom Erbe sei er total überrascht gewesen. Die Nichte und der Neffe der Frau hätten ihn aber gebeten, das Haus anzunehmen.
Er habe die Übertragung nie geheim gehalten. Zudem sei das Haus beim Erbgang nur rund 250'000 Franken wert gewesen. Weil die Freundschaft zum Mitglied seiner Kirchgemeinde «rein privater Natur» gewesen sei und nichts mit seinem Amt zu tun gehabt hätte, sehe er das Problem nicht. «Da besteht kein beruflicher Zusammenhang.»
Auch die betroffene Baselbieter Kirchgemeinde will kein Problem erkennen. Das Ganze sei lange her. Von der damaligen Kirchenpflege sei niemand mehr im Amt. Das damalige Präsidium sei zwar informiert gewesen, der Pfarrer habe das Haus von einer «nahestehenden Freundin» geerbt. Die Kirchgemeinde sieht deshalb keinen Anlass, dem Pfarrer kritische Fragen zu stellen.
Der damalige Präsident der Baselbieter Kantonalkirche, Markus Christ, hat den Erbgang laut mehreren Quellen abgesegnet. Er will das nicht bestätigen. Der pensionierte Pfarrer Christ sagt nur, er habe mit dem betreffenden Pfarrer ein «Seelsorge-Gespräch» über den Erbgang geführt. Und dieses unterliege der Schweigepflicht. Offiziell sei die Schenkung kein Thema gewesen innerhalb der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons, sagt Christ. Obwohl es Vorschriften dazu gab. Baselbieter Pfarrpersonen mussten bereits damals unterschreiben, dass sie «Abhängigkeitsverhältnisse» und seelsorgerische Beziehungen «in keiner Weise ausnutzen» – auch nicht «in finanzieller Form».
Anderswo beurteilt man das Ganze als problematisch. «Wenn im Kanton Zürich ein Pfarrer ein Haus eines Gemeindemitglieds, das er seelsorglich betreut hat, erben würde, dürfte er das nicht annehmen», sagt Rechtsdienst-Leiter Martin Röhl. Erlaubt wäre sie laut Röhl nur unter besonderen Umständen. «Etwa wenn sich der Pfarrer und der Erblasser seit ihrer Jugend kennen und keinen Kontakt seelsorglicher Art gehabt haben.» Falls eine Pfarrperson ein solches Erbe trotzdem antrete, wären laut Röhl personalrechtliche Schritte zu prüfen. «Diese können bis zum Entzug der Wählbarkeit in ein Pfarramt reichen.»
Die Baselbieter Reformierten scheinen von solchen Schritten weit entfernt.
1 Kommentar
Solches Verhalten von einem Seelsorger ist heuchlerisch und unaufrichtig. Der eigentliche Skandal, dass die Behörden nichts unternommen haben. Der Sigrist konnte sich niemals exponieren in dieser Sache. Er hätte niemals Rückhalt gehabt von Pfarrkollegen oder geschweige von der Kirchenpflege. Ein solches Verhalten schadet dem Ansehen der Kirchgemeinden. Besonders wo das nicht klar geregelt ist ,wie im Baselbiet. Aber dem betreffenden Pfarrer fehlt es an Einsicht und vor allem an Anstand . Auch die Rolle vom ehemaligen Kirchenratspräsidenten wirft ein ganz schlechtes Licht auf diese sehr unappetitliche Angelegenheit