Wie sich die UBS am Vermögen einer alten Frau bediente
Die UBS bediente sich hemmungslos am Geld einer psychisch schwer kranken Kundin – über zehn Jahre lang.
Veröffentlicht am 21. November 2019 - 16:57 Uhr
Die Wirklichkeit ist manchmal viel schlimmer als jedes Klischee. Jutta Möller* stammt aus einem wohlhabenden Haus in Norddeutschland. Sie studierte Pharmazie in Basel, nach dem Tod der Eltern übernahm sie den Familienbetrieb. Es ging nicht lange gut, weil Jutta Möller psychisch erkrankte. Für die damals 50-Jährige wurde 1990 eine Pflegschaft – die deutsche Variante der Beistandschaft – eingerichtet, das Geschäft verpachtet und später verkauft.
Gemäss Krankenakten leidet Jutta Möller an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit Magersucht. Sie wurde depressiv, musste mehrfach künstlich ernährt werden und war nicht mehr in der Lage, ihre Vermögensangelegenheiten ohne fremde Hilfe zu regeln. 1997 wurde dem mittlerweile pensionierten Richter Detlev Timmermann eine Generalvollmacht erteilt, der diese auch engagiert wahrnimmt.
Heute lebt Jutta Möller in einem Pflegeheim in Deutschland, verlässt ihr Bett nur, wenn unbedingt nötig, und redet kaum. Finanziell hat die 79-Jährige ausgesorgt. Ein Grossteil ihres Vermögens wurde vor Jahren in eine gemeinnützige Stiftung gesteckt, die vor allem kulturelle Aktivitäten unterstützt. In Phasen, in denen es ihr etwas besser ging, pochte sie auf eine Vermögensanlage mit möglichst wenig Risiko. «Verluste konnte sie nur schwer ertragen. Schon bei mehr als 10 Prozent Aktienanteil war ihr unwohl», sagt Detlev Timmermann.
Umso überraschter war der Generalbevollmächtigte, als 2013 die Staatsanwaltschaft gegen Möller eine Strafanzeige wegen Steuerhinterziehung einreichte. «Erst da wurde ich auf eine dubiose Geldanlage in der Schweiz aufmerksam. Vorher gab es dazu keinerlei Hinweise oder Belege. Als ich Jutta darauf ansprach, zog sie nur die Bettdecke über den Kopf», erinnert sich Detlev Timmermann.
Dass das rund eine Million Franken schwere Depot in der Schweiz überhaupt auftauchte, ist einem Datenklau zu verdanken. 2012 hatten die Steuerfahnder des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen eine CD mit Bankdaten gekauft. Sie stiessen auf rund 1000 Kundendossiers einer Firma Corpboard Ltd. mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln, Tochter der Grossbank UBS. Laut Einschätzung der Steuerfahnder wurde sie mit Hilfe von Liechtensteiner Treuhändern vor allem für Schwarzgeldgeschäfte genutzt. Seit 2018 hat sie ihren Sitz in der Schweiz. Sie ist nach wie vor eine Tochterfirma der UBS.
Das Corpboard-Depot dürfte von den Eltern stammen und wurde über eine Briefkastenfirma in der Karibik betreut. Jutta Möller hatte im Mai 2001 in Vaduz mit der Domar Treuhand- und Verwaltungs-Anstalt einen Mandatsvertrag abgeschlossen mit dem Ziel, die Bolana-Stiftung zu gründen. Peter Marxer und Peter Goop, zwei bekannte Liechtensteiner Treuhänder, wurden Stiftungsräte. Im Reglement wurde festgelegt, dass das rund 1,2 Millionen Franken starke Depot von der UBS verwaltet wurde. Die Grossbank war mit ihrer 100-Prozent-Tochter Corpboard ebenfalls im Bolana-Stiftungsrat vertreten. Abgemacht wurde damals, dass sämtliche Korrespondenz banklagernd aufbewahrt werden muss.
7 Prozent Verlust hat die UBS auf dem Depot gemacht. Das ist ein Minus von 84'000 Franken.
Der Stiftungsrat hätte sich eigentlich an die Weisungen und Entscheide von Jutta Möller halten müssen. Doch dieser Grundsatz wurde schon nach kurzer Zeit ausgehebelt. Weil Jutta Möller in der Klinik und deshalb nicht erreichbar war, handelte Corpboard ohne Rücksprache «im mutmasslichen Interesse der Auftraggeberin». Eine Haftung galt nur «für vorsätzlich und grob fahrlässig verursachte Schäden». Diese Stiftungskonstruktion wurde von der Bank als Freibrief gesehen, jegliche Wertpapiere, Edelmetalle, Währungen und andere Anlageinstrumente nach freiem Ermessen zu kaufen und zu verkaufen.
Die UBS nutzte diesen Spielraum. Das zeigen die Kontoauszüge. Der Aktienanteil im Depot lag über 50 Prozent, die Anlagen wurden regelmässig umgewälzt, viel Geld floss in UBS-Produkte. Das bescherte der Bank satte Gebühreneinnahmen. Für die Verwaltung verrechnete sie 0,25 Prozent des Nettodepotwerts, plus vierteljährliche Dienstleistungsgebühren und eine Gebühr für die «Nummernbeziehung». Profitiert hat auch die Domar Treuhand mit der Stiftungsverwaltung. Sie kassierte jährlich 2000 Franken plus Gebühren.
Der nichtsahnenden Jutta Möller wurden auch Bankprodukte ins Depot gelegt, die enorme Verluste verursachten. Zum Beispiel Anteile am UBS-Immobilienfonds Global Property: Im Nachgang der Finanzkrise 2008 wurde der Fonds liquidiert. Kurz zuvor waren Möllers Anteile aufgestockt worden. Sie verlor drei Viertel dieser Einlage. Als Stiftung und Depot aufgelöst wurden, hatte es die professionelle Vermögensverwaltung der UBS geschafft, das Vermögen innert 14 Jahren um sieben Prozent zu verkleinern. Möllers Anlagen in Deutschland legten im selben Zeitraum um mehr als ein Drittel zu.
Möller musste über 50'000 Euro Steuern nachzahlen. Das Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung blieb ihr nur wegen der unklaren Vorgeschichte und ihrer Erkrankung erspart. Detlev Timmermann sieht es nüchtern: «Trotz viel Aufregung und Arbeit muss die Strafanzeige im Interesse von Frau Möller als Wohltat empfunden werden. Sonst wäre ihr Depot früher oder später von Gebühren und Provisionen aufgezehrt worden.»
Es ist auch unklar, wie die Unterschrift von Jutta Möller auf die Mandatsverträge gekommen ist. Sie selber kann und will dazu nichts sagen. Timmermann erfuhr erst zwölf Jahre später durch die Strafanzeige davon. Er kann sich nicht vorstellen, dass seine Mandantin wusste, worauf sie sich da einliess. 2001 hatte sie bereits mehrere Jahre in Kliniken und Pflegeheimen verbracht. Dass sie im fraglichen Zeitraum in Vaduz gewesen sein soll, hält Detlev Timmermann für «höchst unwahrscheinlich».
Wie aber rechtfertigt die UBS, dass sie einer psychisch und körperlich kranken Frau eine Stiftung eingerichtet hat, ohne ihren Generalbevollmächtigten zu informieren? Warum hat die Grossbank nie nachgefragt, nachdem sie keine Instruktionen für die Verwaltung des Depots erhielt und die banklagernde Post nie abgeholt wurde?
Die UBS will sich nicht äussern. Sie beruft sich auf das Bankkundengeheimnis. Treuhänder und Stiftungsrat Peter Marxer schreibt, dass er sich nichts vorzuwerfen habe. Er sei in «keiner Weise berechtigt, darüber hinausgehende Auskünfte zu erteilen». Eine eigenwillige Begründung, denn der Beobachter hätte ihm sämtliche nötigen Vollmachten vorgelegt.
«Erst durch die Anzeige der Steuerfahnder wurde ich auf die dubiose Anlage aufmerksam.»
Detlev Timmermann, Bevollmächtigter der Kundin
In das Bild passt auch, was nach Auflösung der Stiftung 2014 geschah. Banken müssen nach einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts die Provisionen
, die sie beim Verkauf von Finanzprodukten einkassieren, ihren Kunden weitergeben. Die Verjährungsfrist für diese Retrozessionen – oder Vertriebsentschädigungen – beträgt zehn Jahre. Kundinnen und Kunden können sie zurückfordern.
Nach der üblen Vorgeschichte wollte sich Detlev Timmermann nicht auf ein Hickhack mit der UBS einlassen und trat alle Ansprüche an die Zürcher De iureAG ab. Die Firma hat sich darauf spezialisiert, Retrozessionen gegen eine Beteiligung am Erlös einzufordern und notfalls auch einzuklagen.
Im Falle von Jutta Möller ist das besonders mühsam. Das Auskunftsrecht erlischt mit der Löschung einer Stiftung. Dies gilt auch für zurückliegende Transaktionen. Deshalb musste die gelöschte Bolana-Stiftung reaktiviert werden. Das geschah Anfang 2017 mit Beschluss des Fürstlichen Landgerichts, das einen heimischen Anwalt als Beistand einsetzte. Die Ansprüche übertrug er an die De iure AG. Die UBS bestreitet nun, dass dies rechtmässig erfolgte. Das juristische Gezerre dauert seither an.
Die UBS beziffert die Vertriebsentschädigungen auf gut 44'000 Franken. Die De iure AG zweifelt diese tiefe Summe an. Sie bereitet eine Klage vor. Offen ist zudem eine Schadenersatzklage rund um die Gründung der Stiftung und die fehlende Geschäftsfähigkeit von Jutta Möller. Doch es wird schwierig werden, diese Ansprüche durchzusetzen. Es droht die Verjährung.
* Name geändert
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1 Kommentar
Es ist einfach unfassbar, wie fies das Geschäftsgebahren der Schweizer Banken immer noch ist, man wird das Gefühl nicht los, dass sie sich um die vielen Skandale und um jede noch so berechtigte Kritik foutieren, ja, sie lachen über uns. Vielen Dank.