Armutszeugnis für die Behörden
Die Aargauer Gemeinde Kölliken verweigerte einer allein erziehenden Sozialhilfeempfängerin einen Vorschuss für die Mietkaution. Diese Entscheidung kommt das Dorf teuer zu stehen.
Veröffentlicht am 17. März 2003 - 00:00 Uhr
Anna-Maria Beuggert, 44, ist eine aufgestellte Mutter, auch wenn sie sich mit dem Existenzminimum keine Extravaganzen leisten kann. Doch sobald die Alleinerziehende an das Seilziehen mit den Behörden denkt, vergeht ihr das Lachen.
Dass sie mit ihren drei Töchtern im Alter zwischen 8 und 14 Jahren im letzten November in die 4,5-Zimmer-Wohnung am Rand von Kölliken umziehen musste, bezeichnet sie als «Schikane». Das Nachsehen hat auch die Gemeinde: Sie muss sich mit Forderungen von rund 10'000 Franken herumschlagen, die durch den unfreiwilligen Umzug angefallen sind.
Der Kleinkrieg begann im Herbst 2001. Die geschiedene Mutter lebte mit ihren Kindern seit vier Jahren in einer Überbauung mitten in Kölliken. Nach mehreren Wechseln in der Verwaltung wurde für die Wohnung eine Mietkaution von 3030 Franken geltend gemacht.
Marathon durch die Instanzen
Für die Sozialhilfeempfängerin stand fest, dass dieser Betrag ihr Budget bei weitem sprengte. Also bat sie den Regionalen Sozialdienst Kölliken, das Depot für sie zu hinterlegen. Sie schlug vor, monatlich 50 bis maximal 100 Franken zurückzuzahlen: «Mehr lag im Rahmen des Existenzminimums beim besten Willen nicht drin.»
Gleichzeitig stellte sie den Antrag auf Alimentenbevorschussung, weil ihr geschiedener Mann die Unterhaltsbeiträge immer später überwies und sie mit der
Miete in Rückstand geriet. Beide Gesuche wurden abgelehnt, worauf sich Beuggert an den Gemeinderat wandte. Auch hier blitzte sie ab. Man verwies auf die SKOS-Richtlinien. Diese Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe führen die Kaution zwar als Unterstützungsleistung im Rahmen der Wohnungskosten auf, jedoch mit dem Vermerk, die Rückerstattung müsse sichergestellt sein.
«Der von Frau Beuggert vorgeschlagene Rückzahlungsmodus war nicht praktikabel», nimmt Gemeinderat Rudolf Lüscher Stellung. Ihm scheint allerdings die Bestimmung entgangen zu sein, dass eine Rückerstattung gar nicht verlangt werden kann, solange jemand auf Sozialhilfe angewiesen ist. Beuggert kämpfte weiter und reichte beim Bezirksamt und beim Regierungsrat Beschwerde ein – ohne Erfolg.
Die Antragstellerin wurde verpflichtet, sich mit der Verwaltung der Pro Logis Immobilien AG abzusprechen und das Mietzinsdepot in Raten abzuzahlen. Eine Einigung kam nicht zustande. Stattdessen erhielt die Mutter im Frühling vergangenen Jahres die Kündigung. «Neben der nicht bezahlten Kaution und den sehr unpünktlichen Mietzinszahlungen spielten verschiedene schwerwiegende Probleme mit», sagt die Sachbearbeiterin der Verwaltung, Mathilde Kolb. Detailliert wollte sie sich nicht äussern. Mit einer einmaligen Fristerstreckung bis zum 30. September konnte Beuggert das Schlimmste abwenden.
«Ich habe der Gemeinde immer wieder klar gemacht, dass ich einen Umzug nicht finanzieren kann», sagt die Alleinerziehende. Auch für die Nebenkosten und die allfällige Kaution einer neuen Wohnung konnte sie nicht aufkommen.
Ein ärztliches Attest bescheinigte zudem, dass die Auseinandersetzungen mit den Behörden der Mutter psychisch und physisch so zugesetzt hatten, dass sie nicht in der Lage war, einen Wohnungswechsel zu organisieren und durchzuführen. Nichtsdestotrotz: Die Gemeinde blieb stur.
Unter Androhung der polizeilichen Ausweisung fand Beuggert in letzter Minute in Kölliken eine Wohnung – kleiner als die alte, dunkler und 65 Franken teurer. «Freiwillig wäre ich hier nie eingezogen», sagt sie. Ohne Auto ist das Einkaufen beschwerlich, und die Kinder müssen einen längeren Schulweg auf sich nehmen. Sie sieht sich bereits nach einer neuen Bleibe um. Die Mietkaution von 1600 Franken hat diesmal die Gemeinde in Abtretung übernommen. «Das wäre doch schon bei der alten Wohnung möglich gewesen», meint Beuggert.
10'000 Franken für den Umzug
Sturheit hin, Milchmädchenrechnung her: Die Gemeinde Kölliken sieht sich durch den Umzug von Anna-Maria Beuggert mit Forderungen in der Höhe von Fr. 10'020.70 konfrontiert: Neben der Kaution fallen 1500 Franken für die doppelte Miete an, Fr. 872.15 für eine Spitex-Hilfe, die beim Einräumen half, Fr. 1339.60 für den Umzug und Fr. 4708.95 für die Reinigung und die Instandstellung der alten Wohnung. Über die Übernahme der Kosten hat der Gemeinderat noch nicht in allen Punkten entschieden.
Den Vorwurf der Sturheit indes weist Gemeinderat Lüscher zurück: «Der Regionale Sozialdienst Kölliken ist gehalten, allen Menschen, die der Hilfe bedürfen, zu helfen und alle gleich zu behandeln. Stur ist so gesehen ein falscher Ausdruck, wir handeln vielmehr hilfsbereit und konsequent.»
Rechtslage: Wohnungsmiete mit Sozialhilfe
Wer in Not gerät und nicht selbst für sich sorgen kann, hat Anspruch auf Sozialhilfe.
- Eine Wohnungsmiete im ortsüblichen Rahmen gehört zum sozialen Existenzminimum. Auch überhöhte Wohnkosten müssen von der Sozialhilfe so lange übernommen werden, bis eine günstigere Lösung gefunden wird.
- Die Hinterlegung einer Kaution kann nicht mit der laufenden Sozialhilfe verrechnet werden – die Zahlung der maximal drei Monatsmieten ist vielmehr eine Unterstützungsleistung im Rahmen der Wohnungskosten.
- Eine Kaution kann auf den Namen der Gemeinde eröffnet werden. Wenn sie auf den Namen der Sozialhilfeempfänger bezahlt wird, sollte die Gemeinde sicherstellen, dass ihr bei einem Auszug der Klientin oder des Klienten das Depot zurückbezahlt wird.
- Sozialhilfe ist rückerstattungspflichtig – aber erst wenn man finanziell wieder auf eigenen Beinen steht. Es gelten die von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Fürsorge- oder Sozialhilfegesetze.