Warum sollen Ehepaare künftig getrennt besteuert werden?

Verheiratete müssen je nach ihren konkreten Einkommensverhältnissen unter Umständen mehr Steuern bezahlen als unverheiratete Paare in der gleichen finanziellen Situation. Das wird seit Jahren unter dem Stichwort «Heiratsstrafe» politisch kritisiert. Wenn jeder jeweils sein eigenes Einkommen und Vermögen versteuern muss, könnte diese Ungleichbehandlung abgeschafft werden, so die Überlegung.

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Klingt logisch. Warum ist das Vorhaben dann umstritten?

Weil es einige Ungerechtigkeiten beseitigt, aber gleichzeitig neue Ungerechtigkeiten schafft. Schon jetzt ist die gemeinsame Besteuerung für einige Ehepaare ein Vorteil, für andere ein Nachteil.

Woran liegt das?

Ein zentraler Grundsatz im Steuerrecht ist, dass alle nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden sollen. Die getrennte Besteuerung heisst: Man zahlt genau gleich viel Steuern, ob man nun mit dem Ehepartner, der Ehepartnerin oder dem Freund, der Freundin zusammenlebt.

Wer in einem gemeinsamen Haushalt lebt – ob verheiratet oder nicht –, hat weniger Ausgaben, ist also wirtschaftlich leistungsfähiger. Folglich müssten diese Personen mehr Steuern bezahlen als jene, die alleine leben. Die getrennte Besteuerung von Ehepaaren führt deshalb zwar im Prinzip zur Gleichbehandlung mit unverheirateten Paaren, dafür werden Zusammenlebende neu gegenüber Alleinlebenden bevorzugt.

Das kann man doch über Steuerabzüge regeln.

Stimmt, und der Bundesrat hat auch über neue Abzüge nachgedacht, darunter einen für Haushalte mit nur einer erwachsenen Person und einen für Ehepaare mit nur einem Einkommen. Aber jeder neue Abzug freut jene, die davon profitieren – und belastet jene, die das Nachsehen haben. Jeder Abzug Steuererklärung Das können Sie abziehen ist letztlich die Folge von politischem Druck: Wer eine Mehrheit für sich organisieren kann, gewinnt.

Kann man sagen, wer vom Systemwechsel profitieren würde?

In erster Linie Ehepaare, bei denen beide Partner ungefähr gleich viel verdienen. Sie würden durch die individuelle Besteuerung je in eine tiefere Progressionsstufe rutschen. Zudem soll der Kinderabzug von aktuell 6600 Franken auf neu 12’000 Franken erhöht werden, wobei neu jeder Elternteil die Hälfte davon geltend machen kann. Das nützt nur Paaren, bei denen beide verdienen, denn wer kein Einkommen hat, dem bringt auch ein halber Kinderabzug nichts. Auch Rentnerpaare gehören tendenziell zu den Gewinnern, ebenso unverheiratete Personen ohne Kinder.

Und wer verliert?

Ehepaare mit nur einem Einkommen und solche mit einem tiefen Zweiteinkommen müssten mehr bezahlen. Paradoxerweise ist es also genau das traditionelle Familienmodell (mit einem Hauptverdiener und einer gar nicht oder nur wenig verdienenden Partnerin), das durch die Abschaffung der «Heiratsstrafe» bestraft würde. Bei Alleinverdienerhaushalten mit hohem Einkommen könnte allein die Bundessteuer um mehr als 2000 Franken steigen, dazu kämen dann noch die Kantons- und Gemeindesteuern.

Laut Bundesrat sollen zudem die Steuersätze für sehr hohe Einkommen leicht erhöht werden, was bei Spitzenverdienern zu einer Mehrbelastung führen würde. Insgesamt, so der Bundesrat, sei aber die Anzahl Personen, die mehr Steuern bezahlen müssten, deutlich tiefer als die Anzahl Personen, die weniger Steuern bezahlen müssten. Dahinter steckt aber zweifelsohne politisches Kalkül, um die Vorlage überhaupt mehrheitsfähig zu machen. Der Bundesrat rechnet mit rund einer Milliarde Franken weniger Steuereinnahmen pro Jahr.

Würde das neue System auch Schlupflöcher schliessen?

Eher im Gegenteil. So fürchten 17 Kantone in ihren Stellungnahmen, dass neu nicht nur Unverheiratete, sondern auch Eheleute ihre Steuern «optimieren» können, wenn sie sich untereinander Darlehen gewähren. Bisher waren solche eheinternen Geschäfte steuerlich irrelevant, neu müsste aber der Schuldner das Darlehen abziehen können und könnte auch Schuldzinsen abziehen. Je nach den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der beiden Partner kann dies im Endeffekt zu einer tieferen Steuerrechnung führen als ohne Darlehen. 

Warum kommt das Thema gerade jetzt aufs Tapet?

Weil die freisinnigen Frauen eine Volksinitiative eingereicht haben, die verlangt, dass Verheiratete separat und nicht mehr als Paar besteuert werden. Der Bundesrat präsentiert nun seine Variante als indirekten Gegenvorschlag. Findet dieser im Parlament eine Mehrheit, würde die Initiative vielleicht zurückgezogen.

Und kommt es so weit?

Im Moment sieht es nicht danach aus. Einzig die FDP, die Grünliberalen und die Wirtschaft stehen hinter der bundesrätlichen Vorlage. Für die SVP schwächt das Modell die traditionelle Ehe und sie kritisiert, dass neue Ungerechtigkeiten geschaffen würden. Die SP befürchtet, dass die Reichen zu gut wegkommen, für die Grünen sind die prognostizierten Mindereinnahmen untragbar. Und die Mitte ist zwar im Grundsatz dafür, im Detail aber dagegen. Stand heute reicht das nicht für eine Mehrheit. Auch die Kantone sind mehrheitlich dagegen, sie fürchten den Mehraufwand, weil viel mehr Steuererklärungen bearbeitet werden müssten.

Wie geht es weiter?

Der Bundesrat hat jetzt erst die Grundsätze seines Vorschlags präsentiert. Bis im März 2024 will er einen konkreten Gesetzesvorschlag erarbeiten, dann kommt die Vorlage ins Parlament.

Wann wird das neue System frühestens eingeführt?

Das dauert noch viele Jahre. Selbst wenn es in den nächsten Jahren beschlossen werden sollte, ist die Einführung noch in weiter Ferne. Die Mehrheit der Kantone fordert eine mindestens zehn Jahre dauernde Vorlaufzeit, weil sie ihrerseits all ihre Steuergesetze revidieren müssen und bei dieser Gelegenheit alle Tarife, Abzüge, Freibeträge und alle Verfahrensabläufe überdenken wollen.