Die Fakten zum Gender-Gap
Geht es um Chancengleichheit von Männern und Frauen, dominieren Anekdoten und vorgefasste Meinungen. Dabei gibt es Studien mit klaren Befunden.
«Frauen sind selber schuld, wenn sie nicht weiterkommen», «Sie können alles haben, wenn sie nur wollen – aber sie wollen ja nicht»: Die Palette an Meinungen, wieso Frauen seltener aufsteigen und weniger verdienen als Männer, ist breit.
Diesen Klischees stellen sich nun zwei Wissenschaftlerinnen entgegen. «Unser Vorteil sind Fakten», sagen die Ökonominnen Andrea Hofer und Ursina Schaede vom Wirtschaftsdepartement der Universität Zürich. Die beiden Frauen forschen zu Gender-Themen. Anlässlich des Frauenstreiks veranstalteten sie mit der Professorin Dina Pomeranz einen «Research Slam» zum Thema Chancengleichheit nach Geschlecht. Das Team stellte wissenschaftliche Studien von renommierten Hochschulen vor.
Die Ergebnisse dieser Studien entkräften gängige Vorurteile, die sich durch das gesamte Leben einer Frau ziehen – von der Kindheit über die Schule bis hin zum Berufsleben.
- Vorurteil 1: Kinder haben alle die gleichen Chancen
- Vorurteil 2: In der Schule werden alle Kinder gleich unterrichtet
- Vorurteil 3: Der Jobstart ist für Männer und Frauen gleich
- Vorurteil 4: Mutterschaft behindert die Karriere nicht
- Vorurteil 5: Frauen müssen nur wollen, dann können sie im Beruf alles erreichen
- Video: Unbewusste Vorurteile im Arbeitsleben
Vorurteil 1: Kinder haben alle die gleichen Chancen
Studie
Eine Untersuchung zeigt, dass Mädchen, die mit einem jüngeren Bruder aufwachsen, eher in stereotypes Verhalten fallen als die mit einer Schwester. Gemessen wurde dies anhand der späteren Job- und Partnerwahl der Frauen. Mädchen mit Brüdern wählten eher Berufe in frauentypischen Branchen und traditionellere Partner.
Erklärung
Eltern verhalten sich unbewusst anders, wenn ihre Kinder unterschiedliche Geschlechter haben. Der Vater unternimmt mehr mit dem Sohn, die Mutter mit der Tochter. Klischeehaftes Verhalten färbt ab.
Fazit
Geben Eltern Kindern eher traditionelle Rollenbilder weiter, kann das die Mädchen in der Karriere bremsen.
Vorurteil 2: In der Schule werden alle Kinder gleich unterrichtet
Studie
In einem Assoziationstest wurde untersucht, wie stark Lehrerinnen und Lehrer unbewusst Mädchen mit Literatur und Buben mit Mathematik verbinden. Dadurch konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschwellige Vorurteile der Lehrpersonen messen und schauen, wie diese sich auf die Schüler auswirken. Sie fanden heraus, dass Vorurteile der Lehrpersonen die Schulkarriere der Kinder beeinflussen.
Erklärung
Denkt ein Pädagoge, dass Mädchen in Mathematik weniger können als Buben, sind die Mädchen am Ende der Schulzeit tatsächlich schlechter in Mathematik als die Schülerinnen, die von einer Lehrperson ohne Vorurteile unterrichtet wurden. Das, obwohl zwischen diesen Mädchen zum Anfang der Schulzeit keine Leistungsunterschiede bestanden. Das hat Auswirkungen auf die weitere Ausbildung und Jobwahl der schlechter eingeschätzten Mädchen: Sie wählten eher eine Lehre als ein Studium und verdienten tendenziell weniger.
Fazit
Wenn Lehrpersonen Mädchen weniger zutrauen, trauen diese sich selber auch weniger zu.
Vorurteil 3: Der Jobstart ist für Frauen und Männer gleich
Studie
Ein Experiment mit Wirtschaftsstudierenden zeigte, dass sich Singlefrauen in gemischten Gruppen unterwürfiger verhalten als in gleichgeschlechtlichen. Sie zeigen sich weniger ehrgeizig, sind zu mehr Abstrichen bei der Karriere bereit. Bei verheirateten Frauen liess sich dieses Verhalten nicht beobachten.
Erklärung
Frauen haben verinnerlicht, was von ihnen erwartet wird: dass sie nicht besser sein dürfen als die Männer. Es gilt als unattraktiv auf dem Partnermarkt, wenn eine Frau die Ellbogen ausfährt und sich behauptet.
Fazit
Wenn Frauen gewisse Verhaltensmuster annehmen, leisten sie weniger, schöpfen ihr Potenzial nicht aus und verdienen im Job von Anfang an schlechter .
Vorurteil 4: Mutterschaft behindert die Karriere nicht
Studie
Bei einer Gruppe von Uni-Absolventen wurde jährlich der berufliche Aufstieg überprüft. Direkt nach Abschluss verdienten alle ähnlich viel. Sobald die Frauen Kinder bekamen, sanken ihre Löhne stark – reduzierte Pensen waren nicht der einzige Grund. In deutschsprachigen Ländern beträgt der «Mutterschaftsknick» noch 10 Jahre nach der Geburt bis zu 60 Prozent – nicht nur wegen Pensumsreduktionen, sondern auch, weil die Karrierechancen schlechter sind.
Erklärung
Die Studienautoren erklären den Knick damit, dass der Anreiz für Mütter, im Job zu bleiben, geringer ist. Nach der Babypause müssen sie mit schlechteren Karrierechancen rechnen, die sich auch in tieferen Löhnen niederschlagen. Einfluss haben auch gesellschaftliche Einstellungen: In konservativeren Ländern war der Mutterschaftsknick besonders gross.
Fazit
Die Babypause schadet der Karriere von Müttern noch lange nach der Geburt des Kindes.
Quellen: Studie zu den MBAs: Bertrand, Marianne, Goldin, Claudia, and Katz, Lawrence, 2010: Dynamics of the gender gap for young professionals in the financial and corporate sectors. American Economic Journal: Applied. / Studie zum Mutterschaftsknick in verschiedenen Ländern: Child Penalties Across Countries: Evidence and Explanations, Kleven, Henrik; Landais, Camille; Posch, Johanna; Steinhauer, Andreas and Josef Zweimüller (2019). AEA Papers and Proceedings, Vol. 109, pages 122-126.
Vorurteil 5: Frauen müssen nur wollen, dann können sie im Beruf alles erreichen
Studie 1
In einem Experiment wurden Investitionsentscheide beobachtet. Die erste Person einer Gruppe, die investiert, bekommt am wenigsten Rendite. Alle anderen mehr. In gemischten Gruppen investierten Frauen häufiger zuerst. In einer Variante musste jemand eine andere Person bestimmen, die als erste investiert. Auch jetzt wurden öfter Frauen gewählt – von Männern und Frauen.
Erklärung
Frauen meinen, es werde von ihnen erwartet, dass sie sich für den undankbaren Job «aufopfern». Das führt auch bei der Arbeit oft dazu, dass sie freiwillig undankbare Aufgaben übernehmen, etwa Protokolle schreiben. Das ist wenig prestigeträchtig und frisst Zeit, die für wichtigere Sachen fehlt
Fazit
Das antrainierte Verhalten der Frauen ist mit ein Grund, warum sie weniger verdienen und seltener befördert werden.
Studie 2
In einem Mathematikexperiment mussten Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragen von fiktiven Nutzern beantworten. Die Fragen wurden zufällig einem Geschlecht zugeordnet. «Frauenfragen» wurden negativer beurteilt als «Männerfragen» – obwohl inhaltlich keine Unterschiede bestanden. Überraschenderweise änderte sich die Beurteilung der «Frauenfragen» erst, wenn diese vorab gute oder sehr gute Bewertungen bekamen. Dann wurden diese Fragen positiver eingestuft.
Erklärung
Es gibt das Vorurteil, dass Frauen weniger gut sind. Entsprechend werden ihre Fragen von den Teilnehmern negativer beurteilt.
Fazit
Auf die Karriere übertragen, müssen Frauen besser sein als Männer, um aufzusteigen. Wenn es Frauen nach oben schaffen, sind sie oft besser qualifiziert als ihre männlichen Konkurrenten.
Studie 3
Wenn eine Chirurgin bei einer Operation einen Fehler macht, überweisen Ärzte fortan weniger Patienten an die Chirurgin. Generell überweisen sie weniger Patienten an Chirurginnen. Anders ist es, wenn der fehlbare Chirurg ein Mann ist.
Erklärung
Die Arbeit von Frauen wird kritischer beurteilt. Dadurch haben sie weniger Chancen, ihr Können zu zeigen.
Fazit
Weil sie härter beurteilt werden als ihre männlichen Kollegen, werden Frauen seltener befördert und verdienen weniger.
Unbewusste Vorurteile im Arbeitsleben
Quelle: Beobachter Bewegtbild
1 Kommentar
Der "Mutterschaftsknick" ist nicht nur bis 10 Jahre nach der Geburt zu spüren, sondern wegen des tieferen Lohns und dessen Auswirkungen bei der AHV und BVG bis ans Ende des Lebens.