Endlich eine Lösung für ältere Arbeitslose
Wer über 55 ist und ausgesteuert wird, hat kaum mehr Chancen auf einen Job. Es gibt eine Lösung, damit Betroffene nicht lebenslänglich verarmen. Doch Politiker bremsen. Ein Kommentar von Martin Vetterli.
Veröffentlicht am 7. Dezember 2018 - 17:32 Uhr,
aktualisiert am 6. Dezember 2018 - 09:54 Uhr
Die Wirtschaft läuft wie geschmiert, die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Mit 2,4 Prozent ist sie so tief wie seit zehn Jahren nicht mehr. Alles bestens, möchte man meinen. Doch die Entwicklung läuft an den über 50-Jährigen vorbei. 3,8 Prozent sind inzwischen arbeitslos. Und immer mehr werden ausgesteuert: jedes Jahr 4000 Menschen im Alter von 57 bis 62 Jahren.
Wer sagt, sie müssten sich halt einfach etwas mehr anstrengen, dann werde es schon mit einem Job, verkennt die Realität. Nur einer von sieben Ausgesteuerten über 55 findet noch eine Stelle, mit der sich das Nötigste zum Leben verdienen lässt.
Was würden Sie jener Frau sagen, die mich kürzlich angerufen hat? Sie hat sich 470-mal beworben, konnte sich dreimal vorstellen, ist immer noch ohne Job und hat jede Hoffnung verloren. Ihr gut zureden, dass es irgendwann klappt? Tipps geben, wie sie sich besser bewerben soll?
Wer in diesem Alter ausgesteuert ist, hat kaum mehr Chancen, sich davon jemals zu erholen. Man bleibt sein Leben lang in der Armutsfalle gefangen. Denn Sozialhilfe gibt es erst , wenn man sein Vermögen bis auf 4000 Franken aufgebraucht hat. Das Einzige, was dann noch hilft: erben – oder ein Sechser im Lotto.
Es gab Versuche, diese Problematik zu entschärfen. Anreize schaffen, damit Firmen mehr ältere Menschen beschäftigen, ein verbesserter Kündigungsschutz, länger Arbeitslosenhilfe zahlen. Diese Versuche sind allesamt gescheitert. Und die Zahl derer, die jenseits der 50 Sozialhilfe beziehen, steigt: um 50 Prozent zwischen 2010 und 2016.
Die oft gescholtene Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) hat eine Lösung für diese Menschen gefunden. Selbst Felix Wolffers, Co-Präsident der Skos und einer der Väter der Idee, staunt: «Ich glaube, wir haben den gordischen Knoten durchschlagen.» Das riecht zwar nach ausgeklügelter PR, ist aber genau richtig. Der Vorschlag geht so: Ausgesteuerte bekommen statt Sozialhilfe Ergänzungsleistungen (EL) . So haben sie noch etwas Geld auf der Seite, wenn sie in Pension gehen.
Wer Vollzeit gearbeitet hat, erhält 3100 Franken im Monat – 900 Franken mehr als mit Sozialhilfe. Das ermöglicht eine würdige Existenz. Man muss sich weiterhin um eine Stelle bemühen, bleibt beim RAV angemeldet – und wird nicht aus dem Stellenmarkt gedrängt. Nur wer mindestens zehn Jahre in der Schweiz gearbeitet hat, profitiert. So lässt sich die Einwanderung in das Sozialsystem verhindern.
Es ist eine unglaublich schlanke Lösung. Und erst noch unschlagbar günstig: Sie kostet bloss 25 Millionen Franken im Jahr. Der Bund müsste 100 Millionen in die EL einschiessen, Kantone und Gemeinden würden 75 Millionen Sozialhilfe sparen. Zum Vergleich: Sozialhilfe und EL kosten zusammen 7,7 Milliarden im Jahr.
Trotzdem gibt es Widerstand. FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti etwa findet, die heutige Sozialhilfe sei gut genug. SVP-Ständerat Alex Kuprecht warnt, der Sozialstaat würde weiter aufgebläht.
Die Gefahr ist gross, dass der Vorstoss im Dickicht der Berner Parteipolitik verschwindet. Letzten Sommer gab es ein Hearing. Im Dezember will die Kommission des Ständerats im stillen Amtsstübli beraten. Man ahnt, wie die Diskussion verlaufen wird: Links ist dafür, Rechts dagegen, die Mitte weiss nicht recht.
So weit darf es nicht kommen. Die 4000 Menschen, die jedes Jahr ausgesteuert werden, brauchen Hilfe. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Arbeitslos mit 55: Letzter Ausweg Ausland?
Gut qualifizierte ältere Arbeitslose landen immer öfter auf dem Sozialamt. Es wären noch mehr, wenn nicht viele aus dem System flüchten würden – und sogar aus der Schweiz.
7 Kommentare
In der Diskussion besteht die Gefahr, das man Sachthemen vermischt. Ihre Argumente bzgl. Asylpolitik zähle ich dazu. Grundsätzlich sind in der liberalen CH die AG frei wen sie anstellen wollen. Sie müssten aber auch verpflichtet werden können, zB. für jeden EU/EFTA-Angestellten den sie einstellen einen lohnabhängigen Ausgleich in einen Topf für die eingesparten 50+ zu zahlen. Damit könnten diesen die fehlenden PK-Gelder abgegolten werden und würde eine soziale Abfederung bedeuten! Leider macht die Politik mit ihren Lobbyisten nicht mit, wie immer! Herbstwahlen nicht vergessen!