Im Jahr 2016 sind in der Schweiz zwei Kinder an den Folgen von körperlicher Misshandlung gestorben – beide waren jünger als zwei Jahre. «Das Risiko für eine schwere oder sogar tödliche Misshandlung ist bei ganz jungen Kindern am grössten», sagt Dr. Markus Wopmann von der Fachgruppe Kinderschutz der schweizerischen Kinderkliniken. Es sind die beiden schlimmsten von insgesamt 1575 Fällen von psychischer oder körperlicher Misshandlung von Kindern, die im vergangenen Jahr in Kinderkliniken registriert wurden. Besonders traurig: 80 Prozent dieser Übergriffe finden im familiären Rahmen statt.

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Eine der wichtigsten Aufgaben der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb ist es, hier einzuschreiten und zu helfen. Insgesamt steigt auch die Zahl der Kindesschutzmassnahmen: Gegenüber dem Vorjahr nahm 2016 die Anzahl der betroffenen Kinder schweizweit von 40'629 auf 42'767 zu. Das zeigen die neusten Zahlen der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz Kokes. «Dieser Anstieg der Fallzahlen entspricht sowohl den Trends der vergangenen Jahre wie auch den Entwicklungen im Ausland», so Diana Wider, Kokes-Generalsekretärin (siehe Grafik). Grundsätzlich gelte jedoch der Leitsatz: so wenige Massnahmen wie möglich, aber so viele wie nötig.

«Es gibt immer mehr Eltern, die wegen des Besuchs- oder Sorgerechts so heftig um ihre Kinder streiten, dass eine Schutzmassnahme nötig wird», sagt Wider. Ein weiterer Grund für den Anstieg sei zudem die zunehmende Zahl an minderjährigen Asylsuchenden, die schutzbedürftig sind. Die mit Abstand häufigste angeordnete Massnahme ist die Beistandschaft (27'510 Massnahmen). 3523-mal ordnete die Kesb eine Fremdplatzierung an, insgesamt befinden sich aktuell rund 18'000 Kinder in Heimen oder Pflegefamilien. 190-mal musste als gravierendste Massnahme die elterliche Sorge entzogen werden (siehe Grafik, Erläuterungen dazu: ZGB Art. 307ff).

Auch im Erwachsenenschutz nehmen die angeordneten Schutzmassnahmen kontinuierlich zu: Die Zahl der Fälle stieg im Jahr 2016 von 85'963 auf 89'605. Schon im alten Vormundschaftsrecht, das bis 2012 gültig war, nahmen diese Zahlen vergleichbar zu. Bei vier von fünf dieser Massnahmen handelt es sich um eine sogenannte massgeschneiderte Beistandschaft: Dabei begleitet, unterstützt oder vertritt ein Beistand die betroffene Person bei der Ausübung von bestimmten Rechtsgeschäften, wenn sie es nicht mehr selber kann und auch niemand aus ihrem Umfeld zur Seite steht.

«Demenzerkrankungen sind sicherlich der Hauptgrund für diese Zunahme», sagt Wider. «Es gibt immer mehr ältere Menschen, die sich nicht mehr um ihre Angelegenheiten kümmern können und Unterstützung brauchen». Weitere Gründe seien psychische Störungen oder geistige Behinderungen.

«Sehr hohe Zahl» an umfassenden Beistandschaften

Die sogenannte umfassende Beistandschaft als weitreichendste Massnahme kommt in rund 18 Prozent der Fälle und damit bei 14'210 Erwachsenen zum Zug. Diese wird angewendet, wenn eine Person, namentlich wegen dauernder Urteilsunfähigkeit, besonders hilfsbedürftig ist, so Artikel 398 im Zivilgesetzbuch ZGB. «Diese Zahl dünkt mich viel zu hoch», sagt Walter Noser, Experte für das Erwachsenenschutzrecht im Beobachter-Beratungszentrum. «Diese Massnahme schränkt die Selbstbestimmung und die Handlungsfähigkeit des betroffenen Menschen vollständig ein.» Sie sei für Menschen vorgesehen, die sehr viel Hilfe benötigen und in allen Belangen vertreten werden müssen. Dass es in der Schweiz so viele solcher Menschen gebe, hält Noser für unwahrscheinlich: «Bei der Grosszahl der Betroffenen sollten massgeschneiderte Beistandschaften ausreichen.»

Die Kesb-Verantwortlichen dagegen betonen den massiven Rückgang dieser Massnahme im Vergleich zum alten System: «Ein Grossteil dieser Fälle wurde unter dem alten Vormundschaftsrecht angeordnet und automatisch in umfassende Beistandschaften des neuen Rechts umgewandelt», sagt Wider. «Seit 2012 hat der Anteil an umfassenden Beistandschaften von 31,6 auf 18 Prozent und damit 14'210 Fälle abgenommen – und wir gehen davon aus, dass dieser Rückgang in den nächsten Jahren weitergehen wird.»

Rechtsratgeber
Checkliste «Aufgaben der Kesb»

Bezüglich der Kompetenzen und Aufgaben der Kesb existieren zuweilen viele falsche Annahmen. Dabei ist der Auftrag der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde per Gesetz festgelegt. Beobachter-Mitglieder erhalten in der Checkliste «Aufgaben der Kesb» eine Aufstellung darüber, in welchen Fällen die Behörde aktiv ist.

Am meisten Fälle im Jura

Ein Unterschied ist auch innerhalb der Kantone feststellbar. Mit Abstand am meisten Fälle gibt es verhältnismässig im Kanton Jura: Von 1000 Kindern werden dort deren 43 betreut, von 1000 Erwachsenen deren 21. Am anderen Ende der Skala befindet sich der Kanton Uri: Dort kommen auf 1000 Kinder nur rund 12 Fälle, auf 1000 Erwachsene deren 11.

 

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