Was das Gesetz zur Kesb wirklich sagt
Die Unterschriftensammlung für die Anti-Kesb-Initiative ist gestartet. Geht es um die Kesb, so sind die Meinungen schnell gemacht. Doch die Befürworter der Initiative argumentieren nicht bloss mit Meinungen, sondern mit falschen Behauptungen.
Veröffentlicht am 31. Mai 2018 - 15:02 Uhr,
aktualisiert am 31. Mai 2018 - 14:10 Uhr
Täglich beantwortet das Beratungszentrum des Beobachters Fragen zur Kesb, zum Vorsorgeauftrag, zu Beiständen und Beistandschaften . Regelmässig gehen Ratsuchende dabei von falschen gesetzlichen Grundlagen aus – gestützt auf Behauptungen, wie sie beispielsweise die SVP-Nationalrätin Barbara Keller-Inhelder derzeit auf der Homepage ihrer Partei verbreitet. Keller-Inhelder ist Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates. Walter Noser, Berater und Redaktor im Beratungszentrum sowie Co-Autor des Ratgebers «Erwachsenenschutz» der Beobachter-Edition, hat Keller-Inhelders Aussagen einem Faktencheck unterzogen:
Behauptung von Barbara Keller-Inhelder:
Eine anonyme Gefährdungsmeldung genügt, damit die Kesb über den Aufenthaltsort, das Vermögen und sogar über Familienunternehmungen verfügen darf. Mit einer Gefährdungsmeldung kann man jemanden aus dem Verkehr ziehen.
Einschätzung von Walter Noser:
Eine Meldung mit böser Absicht und ohne ausreichenden Grund kann ehrverletzend und somit ein Fall fürs Gericht sein. Die Kesb darf eine Massnahme nur anordnen, wenn die Unterstützung der hilfsbedürftigen Person durch die Familie, andere nahestehende Personen, private oder öffentliche Dienste nicht ausreicht oder von vornherein als ungenügend erscheint. Für urteilsunfähige Personen darf die Kesb nur dann eine Massnahme anordnen, wenn keine ausreichende Vorsorge getroffen wurde – beispielsweise mit einem Vorsorgeauftrag.
Behauptung:
Von der Kesb eingesetzte Berufsbeistände platzieren ältere Menschen gegen ihren Willen im Altersheim oder im Pflegeheim – ohne andere Möglichkeiten zu nutzen, auch wenn sich Angehörige für bessere Lösungen einsetzen.
Einschätzung:
Eine Einweisung in eine Klinik oder in ein Heim darf nur erfolgen, wenn die nötige Betreuung oder Behandlung nicht anders geschehen kann. Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind dabei zu berücksichtigen. Betroffene oder ihnen nahestehende Personen können jederzeit um eine Entlassung ersuchen.
Wer aufgrund einer fürsorgerischen Unterbringung in eine Klinik eingewiesen wurde, kann mit einem Gesuch um Entlassung bitten. Beobachter-Mitglieder sehen mit dem Musterbrief «Entlassungsgesuch aus der Klinik», wie sie die Klinikleitung oder die Behörde darauf ansprechen können.
Behauptung:
Von der Kesb eingesetzte Berufsbeistände verkaufen Häuser gegen den Willen der Betroffenen und ihrer Familien und ohne Notwendigkeit. Von der Kesb eingesetzte Berufsbeistände verwalten Vermögen von Zwangsverbeiständeten, ohne dafür qualifiziert zu sein. Von der Kesb eingesetzte Berufsbeistände verkaufen Familienunternehmungen ohne Not und gegen den Willen der ganzen Familie. Die Transaktionen geschehen teilweise unprofessionell und weit unter Wert.
Einschätzung:
Um ein Haus oder ein Unternehmen zu verkaufen, benötigen sowohl Berufsbeistände als auch private Beistände die Zustimmung der Kesb.
Zur Erklärung: Notwendig wird ein Verkauf beispielsweise dann, wenn jemand in einem Heim lebt und wegen nicht liquiden Vermögens keine Ergänzungsleistung bekommt. Ein Verkauf von Besitz oder Liegenschaften dient somit der Armutsprävention: Sobald das Geld, das im Haus oder in einem Unternehmen steckt, liquid wird, kann die betroffene Person ohne finanzielle Unterstützung des Staates für ihre Lebenskosten selber aufkommen. Sollte ein Verkauf jedoch widerrechtlich stattfinden, hat die betroffene Person Anspruch auf Schadenersatz.
Behauptung:
Der «Fürsorgerische Freiheitsentzug» ist in «Fürsorgerische Unterbringung» umbenannt worden, damit die Massnahme harmlos klingt.
Einschätzung:
Was hier «fürsorgerischer Freiheitsentzug» genannt wird, hiess im Vormundschaftsrecht «fürsorgerische Freiheitsentziehung», kurz «FFE». Dieser Teil des Vormundschaftsrechts ersetzte 1981 auf Bundesebene die bislang kantonalen Bestimmungen für «Gesindel, Arbeitsscheue und Liederliche». Die FFE wurde von Beginn weg immer wieder kritisiert: Sie war zwar besser als die kantonalen Bestimmungen, berücksichtigte die Rechte von Betroffenen aber kaum.
Wer heute gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik oder in ein Heim eingewiesen wird, hat unter dem Erwachsenenschutzrecht, das 2013 das alte Vormundschaftsrecht ablöste , weit mehr Rechte als zuvor. Gesetzlich verankert ist nun beispielsweise das Recht, bei einer Einweisung wider Willen eine Vertrauensperson beiziehen zu können. Zudem müssen die Behörden periodisch die Notwendigkeit einer Hospitalisation überprüfen. Schliesslich ist auf Bundesebene festgelegt, welche Zwangsmassnahmen wann erlaubt sind – und wie man sich wehren kann.
Behauptung:
Jede einzelne Person in diesem Land braucht einen Vorsorgeauftrag, von der Urgrossmutter bis zum Kleinkind.
Einschätzung:
Um einen Vorsorgeauftrag zu errichten, muss man handlungsfähig sein – das heisst über 18 Jahre alt und urteilsfähig. Kleinkinder sind dies definitiv nicht.
Was sollte in einem handschriftlichen Vorsorgeauftrag enthalten sein? Beobachter-Mitglieder erhalten verschiedene Mustervorlagen zum Vorsorgeauftrag als praktische Anleitung. Zudem informiert das Merkblatt «Was müssen vorsorgebeauftragte Personen wissen?», ob man gegenüber der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Bericht erstatten muss.
Behauptung:
Stirbt oder verunfallt beispielsweise ein junger Vater, kann die Kesb für die unmündigen Kinder einen Berufsbeistand einsetzen, mit dem sich die Mutter bis zur Volljährigkeit der Kinder arrangieren muss. Diese fremde Person entscheidet über alle Belange der Kinder mit. Aus diesem Grund brauchen schon Kinder einen Vorsorgeauftrag.
Einschätzung:
Seit Einführung des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts gibt es den Begriff «mündig» nicht mehr. Deshalb kann auch niemand mehr entmündigt werden. Man ist einfach voll- oder minderjährig.
Wenn ein sorgeberechtigter Elternteil stirbt, hat der überlebende Elternteil automatisch das alleinige Sorgerecht. Die Kesb mischt sich nicht ein – es sei denn, beim alleinerziehenden Elternteil sei das Kindeswohl gefährdet.
Sterben beide Elternteile, muss die Kesb dem Kind einen neuen gesetzlichen Vertreter zur Seite stellen. Das Sorgerecht kann sie nicht auf andere Personen ausweiten, weil in der Schweiz nur Eltern ein Sorgerecht ausüben können. Der Elternteil, dem die elterliche Sorge allein zusteht, kann seinen Wunsch, wer im Falle seines Ablebens gesetzlicher Vertreter des Kindes werden soll, schriftlich festhalten (siehe auch Musterbrief «Wunschvormund bei Tod eines Elternteils bestimmen», exklusiv für Beobachter-Abonnenten). Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht können das für den Fall eines gleichzeitigen Todes ebenfalls festlegen. In einen Vorsorgeauftrag gehört dieser Wunsch hingegen nicht.
Behauptung:
Die Kesb-Mitarbeitenden sollen sich um die wirklich problematischen Fälle kümmern, wie beispielsweise um radikalisierte und gewaltbereite Jugendliche und sogenannte Gefährder.
Einschätzung:
Dafür sind die Polizei und die Justiz zuständig. Die Aufgabe der Kesb ist der Schutz für hilfsbedürftige Personen und die Sicherstellung einer angemessenen Unterstützung und Betreuung.
Was darf die Kesb alles?
Im Erwachsenenschutzrecht tauchen immer wieder juristische Begriffe auf. Beobachter-Mitglieder erfahren nicht nur, was diese bedeuten, sondern auch welche Aufgaben die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) erfüllt und wie man sich mittels eines Musterbriefs gegen einen Entscheid wehren kann.
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