Sans-Papiers sind Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben – bis zu 100’000 könnten es sein, schätzt der Bund. Bei einem «schwerwiegenden persönlichen Härtefall» können Kantone jedoch gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) eine Aufenthaltsbewilligung erteilen – und den Betroffenen damit das Leben erleichtern. Der Haken: Die Kriterien für einen Härtefall sind vom Bund nicht abschliessend vorgegeben. Das führt zu föderalistischer Willkür und riesigen Unterschieden zwischen den Kantonen. 

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Bea Schwager von der Anlaufstelle für Sans-Papiers in Zürich berichtet dem Beobachter etwa von einer Frau, die ein Härtefallgesuch stellte – doch es wurde abgelehnt, weil die Gesuchstellerin so gut integriert war. Der Kanton argumentierte, sie könne in ihrem Herkunftsland dank ihren guten Deutschkenntnissen leicht einen Job im Tourismus finden – kein Härtefall also.

Grosses Risiko bei Gesuchen

Eine Ablehnung ist für die Betroffenen aber eine Katastrophe: Sie haben mit dem Gesuch ihre Identität offengelegt und müssen das Land verlassen. Bei den Anlaufstellen und den Sans-Papiers ist man deshalb extrem vorsichtig geworden. Auch wenn sich die Praxis in Zürich offenbar gebessert hat, werden aus Angst vor Ablehnung nach wie vor sehr wenige Gesuche gestellt.

Ganz anders die Situation in Genf: Dort hat der zuständige Regierungsrat Pierre Maudet 2017 die sogenannte Operation Papyrus lanciert. Gemeinsam mit dem SEM hat man eine Liste von klaren Kriterien erstellt. Wer diese erfüllte, konnte während zweier Jahre einen Antrag stellen und so gut wie sicher sein, dass dieser auch gutgeheissen wird.

Erfolgreicher Kampf gegen Schwarzarbeit

Das Interesse am Projekt war beim SEM auch aus wirtschaftlichen Gründen gross. In Genf hatte die hohe Anzahl Sans-Papiers besonders in der Hauswirtschaftsbranche zu viel Schwarzarbeit und Lohndumping geführt. Im Rahmen von Papyrus gab es verstärkte Kontrollen und Kampagnen gegen Schwarzarbeit. Die Bilanz: Mehr als 3400 Personen erhielten eine Aufenthaltsbewilligung, die Lohnsumme im Hauswirtschaftsbereich stieg um 44 Prozent, und pro Jahr wurden rund 50 Prozent mehr Hausangestellte in die Sozialversicherung aufgenommen. Trotzdem hat kein anderer Kanton nachgezogen. Weshalb? 

«Verabschiedung vom Rechtsstaat»

Das SEM sagt dazu auf Nachfrage des Beobachters, das Problem gestalte sich je nach Ort sehr unterschiedlich und betreffe vor allem städtische Kantone. Tatsächlich hat Zürich vermutlich die meisten Sans-Papiers: rund 19’000, schätzt die kantonale Verwaltung.

Politische Vorstösse für eine eigene Operation Papyrus scheiterten aber bereits zweimal im Kantonsrat – zuletzt 2020 mit nur wenigen Stimmen. Aufschlussreich ist das Nein-Votum des zuständigen Regierungsrats Mario Fehr. Im Kanton Genf habe Papyrus nur dank einer Verabschiedung vom Rechtsstaat funktioniert, indem die Staatsanwaltschaft in vielen Fällen schlicht auf eine Strafverfolgung wegen Schwarzarbeit verzichtete. «Das ging relativ patent, weil die Staatsanwaltschaft bei Pierre Maudet war», so Fehr. Dafür sei die Zürcher Staatsanwaltschaft nicht zu haben gewesen.

Mehrere Tausend potenzielle Härtefälle in Zürich

Aus den Kreisen der Befürworter hört man ausserdem: Dem Kanton Genf dürfte während Papyrus auch ein wohlwollendes SEM geholfen haben, das dem Justizdepartement von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga unterstand.

Weitere Vorstösse seien in Zürich aktuell nicht geplant. Zu unklar sind die Mehrheiten im Kantonsrat und die Unterstützung des SEM. Die mehreren Tausend Sans-Papiers in Zürich, die laut Schätzungen die Kriterien für einen Härtefall erfüllen würden, werden somit aus Angst weiterhin im Verborgenen bleiben.