Ein bewaffneter, maskierter Mann stürmt in eine Bank und ergaunert 20'000 Franken. Später geht er der Polizei ins Netz. Es ist Ronny Felber, 30, vorbestraft – wegen Diebstählen, Raufereien und Drogendelikten.

Monate später kommt es zum Prozess Strafprozessordnung Was für Beschuldigte und Opfer gilt . Eine psychische Störung liege nicht vor, stellt der forensische Gutachter fest. Somit ist eine therapeutische Massnahme nicht angezeigt. Das Strafgericht verurteilt Ronny Felber wegen Raubes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren.

Partnerinhalte
 
 
 
 
Der Beginn der Resozialisierung

Ronny Felbers Geschichte ist frei erfunden. Doch Storys wie seine liest man oft. Wenn das Urteil aber einmal gefällt ist, hört man nichts mehr davon.

Dabei werden die Akten mit einem Urteil keineswegs geschlossen. Denn das Schweizer Strafrecht sorgt nicht nur für Vergeltung. Es hat auch die wichtige Aufgabe, den Täter während des Vollzugs darauf vorzubereiten, dass er später straffrei durchs Leben gehen kann. Das Zauberwort heisst Resozialisierung: Nach dem Schuldspruch soll nicht vor dem nächsten Schuldspruch sein.

Der Täter soll behutsam und schrittweise wieder an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. Null Austausch mit der Aussenwelt wäre daher fatal. Betroffene wären nach der Entlassung mit der plötzlichen Freiheit komplett überfordert. Entsprechend gross wäre die Rückfallgefahr.

Eine Gratwanderung: Wie schafft man es, dem Täter während des Strafvollzugs möglichst viele Bewährungsfelder offen zu lassen, ohne die Bevölkerung zu gefährden?

Im geschlossenen Strafvollzug

Die Gefahr, dass Ronny Felber erneut ein Delikt begeht, ist nicht gebannt. Deshalb verbringt er einige Zeit in der geschlossenen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt. Ein sogenannter individueller Vollzugsplan legt die angebotene Betreuung fest, Arbeits-, Ausbildungs-, Weiterbildungsmöglichkeiten, Beziehungen zur Aussenwelt und die Vorbereitung der Entlassung.

Grundsätzlich müssen Inhaftierte arbeiten, dafür gibt es ein kleines Entgelt. Felber wird in der Schreinerei beschäftigt. Er hat immer wieder Gespräche mit Sozialarbeitern und Psychotherapeuten. Denn er soll sich mit seiner Tat auseinandersetzen und auch Perspektiven für das Leben danach entwickeln.

Der Strafvollzug in Zahlen

Grafik zeigt, wie viele Personen sich Anfang 2020 in Haft befinden und wie sich die Zahl der Inhaftierten seit 1980 entwickelt hat.
Quelle: Bfs | Infografik: Beobachter/Alexandra Del Prete
Im offenen Strafvollzug

Die Justizvollzugsbehörde überprüft regelmässig, ob Ronny Felber noch an Flucht oder weitere Straftaten denkt. Sie kommt zum Schluss, dass nach einem Jahr eine erste grosse Lockerung des strengen Vollzugsregimes vertretbar ist.

Felber wird in die offene Abteilung verlegt. Hier fehlen die hohen Mauern des geschlossenen Vollzugs weitgehend. Man vertraut auf die Einsicht der Insassen, sie soll sie von Flucht abhalten. So soll ein realitätsnaher Bezug zur Aussenwelt entstehen. Nachts geht es aber noch immer in die verschlossene Zelle.

Wie teils schon im geschlossenen Strafvollzug (dort anfänglich von Gefängnispersonal begleitet) darf Felber ab und zu Angehörige besuchen oder etwa ein Bewerbungsgespräch wahrnehmen. Urlaub und Ausgang gelten als wichtige Bausteine für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Gewährung einzelner Freiheiten

Mittlerweile sind drei Jahre vergangen. Ronny Felber hat sich positiv entwickelt. Er hat sich an den Vollzugsplan gehalten. Beanstandungen gab es kaum. Zusammen mit dem Vollzugspersonal konnte er realistische Perspektiven erarbeiten, wie sein Leben danach weitergehen soll.

Felber kann nun auch draussen eine Stelle antreten. Im sogenannten Arbeitsexternat verbringt er die Tage im neuen Job, die Freizeit aber noch in Haft. Der Arbeitgeber ist zufrieden mit ihm, Felber nimmt keine Drogen Cannabis Kiffen und die Konsequenzen und ist abends immer pünktlich in seiner Zelle.

Nun darf er auch die Nächte draussen verbringen. Mit Hilfe seiner Bezugsperson in der Anstalt findet er eine Wohnung.

Die Regeln für diese Zeit stellt die Anstalt auf. Die Vollzugsbehörde tauscht sich mit ihr aus und könnte Felber bei Regelverstössen wieder in die Anstalt zurückversetzen. Regelmässig besucht ihn Vollzugspersonal, auch unangekündigt.

Er muss sich Drogentests unterziehen. Falls es angezeigt scheint, kann man ihn unter anderem zum Tragen einer elektronischen Fussfessel verpflichten.

Rückfall

Es zeigt sich, dass Ronny Felber mit der grösseren Eigenverantwortung überfordert ist. Schon nach drei Wochen hält er sich nicht mehr an Abmachungen. Zudem verkehrt er wieder mit seinem alten, problematischen Freundeskreis. Ermahnungen bringen nichts.

Die Behörde reagiert: Sie lässt Ronny Felber polizeilich wieder in die Vollzugsanstalt führen. In Gesprächen mit seinen Betreuern wird er mit seinem Fehlverhalten konfrontiert. Er zeigt sich einsichtig und willig, weiter an sich zu arbeiten. Beim zweiten Anlauf funktioniert es dann. Ronny Felber wird wieder ins Wohn- und Arbeitsexternat versetzt, wo er sich schliesslich bewährt.

Die bedingte Entlassung

Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass Häftlinge nach zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen werden – wenn ihr Verhalten das rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, dass sie erneut Delikte begehen.

Die Vollzugsbehörde prüft bei Ronny Felber nach vier Jahren alle relevanten Fakten und stellt eine positive Prognose. Er wird wegen guter Führung bedingt entlassen – und weil keine Rückfallgefahr besteht. Basis für diesen Entscheid sind sämtliche Akten, insbesondere Therapie- und Vollzugsberichte, allfällige forensisch-psychiatrische Gutachten, Gesprächsprotokolle sowie persönliche Eindrücke.

«Bedingt» heisst, dass Felber sich noch während einer Probezeit bewähren muss. In der Regel entspricht sie der restlichen Strafdauer; mindestens beträgt sie ein Jahr, höchstens fünf Jahre. Eine neue Straftat brächte ihn eventuell wieder ins Gefängnis. Für die Probezeit wird ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt, der kontrolliert, ob Felber allfällige Weisungen einhält.

Falls Ronny Felber auch diese letzte Hürde meistert, wird er definitiv in die Freiheit entlassen. Die grösste Bewährungsprobe hat er aber noch vor sich – wenn er wieder auf sich allein gestellt ist.

Verbüsste Haftstrafen

Die Grafik zeigt, dass weniger als ein Viertel der verbüssten Haftstrafen bedingt entlassen wurden.
Quelle: Bfs | Infografik: Beobachter/Alexandra Del Prete
Rechtsratgeber
Mehr zu Strafprozessordnung

Wer beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben, sollte sich unweigerlich mit der Schweizer Strafprozessordnung vertraut machen. Der Beobachter erklärt Mitgliedern nicht nur diverse Fachbegriffe der Gerichtssprache, sondern bietet auch eine Checkliste zu Punkten an, die man generell beachten sollte, um in der Strafuntersuchung nicht unter die Räder zu kommen.

Den besten Rat – jede Woche per Mail
«Den besten Rat – jede Woche per Mail»
Christian Gmür, Content-Manager Ratgeber
Der Beobachter Newsletter