Ein Leben hinter Gittern
Die Tat, das Urteil – und dann? So läuft in der Schweiz eine Freiheitsstrafe ab.
aktualisiert am 9. November 2020 - 10:42 Uhr
Ein bewaffneter, maskierter Mann stürmt in eine Bank und ergaunert 20'000 Franken. Später geht er der Polizei ins Netz. Es ist Ronny Felber, 30, vorbestraft – wegen Diebstählen, Raufereien und Drogendelikten.
Monate später kommt es zum Prozess . Eine psychische Störung liege nicht vor, stellt der forensische Gutachter fest. Somit ist eine therapeutische Massnahme nicht angezeigt. Das Strafgericht verurteilt Ronny Felber wegen Raubes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren.
Ronny Felbers Geschichte ist frei erfunden. Doch Storys wie seine liest man oft. Wenn das Urteil aber einmal gefällt ist, hört man nichts mehr davon.
Dabei werden die Akten mit einem Urteil keineswegs geschlossen. Denn das Schweizer Strafrecht sorgt nicht nur für Vergeltung. Es hat auch die wichtige Aufgabe, den Täter während des Vollzugs darauf vorzubereiten, dass er später straffrei durchs Leben gehen kann. Das Zauberwort heisst Resozialisierung: Nach dem Schuldspruch soll nicht vor dem nächsten Schuldspruch sein.
Der Täter soll behutsam und schrittweise wieder an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. Null Austausch mit der Aussenwelt wäre daher fatal. Betroffene wären nach der Entlassung mit der plötzlichen Freiheit komplett überfordert. Entsprechend gross wäre die Rückfallgefahr.
Eine Gratwanderung: Wie schafft man es, dem Täter während des Strafvollzugs möglichst viele Bewährungsfelder offen zu lassen, ohne die Bevölkerung zu gefährden?
- Der geschlossene Strafvollzug (bei Flucht- oder Rückfallgefahr)
- Der offene Strafvollzug
- Gewährung weiterer Freiheiten (draussen arbeiten und wohnen)
- Rückfall
- Die bedingte Entlassung
- Grafik: Der Strafvollzug in Zahlen
- Grafik: Verbüsste Haftstrafen
Die Gefahr, dass Ronny Felber erneut ein Delikt begeht, ist nicht gebannt. Deshalb verbringt er einige Zeit in der geschlossenen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt. Ein sogenannter individueller Vollzugsplan legt die angebotene Betreuung fest, Arbeits-, Ausbildungs-, Weiterbildungsmöglichkeiten, Beziehungen zur Aussenwelt und die Vorbereitung der Entlassung.
Grundsätzlich müssen Inhaftierte arbeiten, dafür gibt es ein kleines Entgelt. Felber wird in der Schreinerei beschäftigt. Er hat immer wieder Gespräche mit Sozialarbeitern und Psychotherapeuten. Denn er soll sich mit seiner Tat auseinandersetzen und auch Perspektiven für das Leben danach entwickeln.
Der Strafvollzug in Zahlen
Die Justizvollzugsbehörde überprüft regelmässig, ob Ronny Felber noch an Flucht oder weitere Straftaten denkt. Sie kommt zum Schluss, dass nach einem Jahr eine erste grosse Lockerung des strengen Vollzugsregimes vertretbar ist.
Felber wird in die offene Abteilung verlegt. Hier fehlen die hohen Mauern des geschlossenen Vollzugs weitgehend. Man vertraut auf die Einsicht der Insassen, sie soll sie von Flucht abhalten. So soll ein realitätsnaher Bezug zur Aussenwelt entstehen. Nachts geht es aber noch immer in die verschlossene Zelle.
Wie teils schon im geschlossenen Strafvollzug (dort anfänglich von Gefängnispersonal begleitet) darf Felber ab und zu Angehörige besuchen oder etwa ein Bewerbungsgespräch wahrnehmen. Urlaub und Ausgang gelten als wichtige Bausteine für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Mittlerweile sind drei Jahre vergangen. Ronny Felber hat sich positiv entwickelt. Er hat sich an den Vollzugsplan gehalten. Beanstandungen gab es kaum. Zusammen mit dem Vollzugspersonal konnte er realistische Perspektiven erarbeiten, wie sein Leben danach weitergehen soll.
Felber kann nun auch draussen eine Stelle antreten. Im sogenannten Arbeitsexternat verbringt er die Tage im neuen Job, die Freizeit aber noch in Haft. Der Arbeitgeber ist zufrieden mit ihm, Felber nimmt keine Drogen und ist abends immer pünktlich in seiner Zelle.
Nun darf er auch die Nächte draussen verbringen. Mit Hilfe seiner Bezugsperson in der Anstalt findet er eine Wohnung.
Die Regeln für diese Zeit stellt die Anstalt auf. Die Vollzugsbehörde tauscht sich mit ihr aus und könnte Felber bei Regelverstössen wieder in die Anstalt zurückversetzen. Regelmässig besucht ihn Vollzugspersonal, auch unangekündigt.
Er muss sich Drogentests unterziehen. Falls es angezeigt scheint, kann man ihn unter anderem zum Tragen einer elektronischen Fussfessel verpflichten.
Es zeigt sich, dass Ronny Felber mit der grösseren Eigenverantwortung überfordert ist. Schon nach drei Wochen hält er sich nicht mehr an Abmachungen. Zudem verkehrt er wieder mit seinem alten, problematischen Freundeskreis. Ermahnungen bringen nichts.
Die Behörde reagiert: Sie lässt Ronny Felber polizeilich wieder in die Vollzugsanstalt führen. In Gesprächen mit seinen Betreuern wird er mit seinem Fehlverhalten konfrontiert. Er zeigt sich einsichtig und willig, weiter an sich zu arbeiten. Beim zweiten Anlauf funktioniert es dann. Ronny Felber wird wieder ins Wohn- und Arbeitsexternat versetzt, wo er sich schliesslich bewährt.
Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass Häftlinge nach zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen werden – wenn ihr Verhalten das rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, dass sie erneut Delikte begehen.
Die Vollzugsbehörde prüft bei Ronny Felber nach vier Jahren alle relevanten Fakten und stellt eine positive Prognose. Er wird wegen guter Führung bedingt entlassen – und weil keine Rückfallgefahr besteht. Basis für diesen Entscheid sind sämtliche Akten, insbesondere Therapie- und Vollzugsberichte, allfällige forensisch-psychiatrische Gutachten, Gesprächsprotokolle sowie persönliche Eindrücke.
«Bedingt» heisst, dass Felber sich noch während einer Probezeit bewähren muss. In der Regel entspricht sie der restlichen Strafdauer; mindestens beträgt sie ein Jahr, höchstens fünf Jahre. Eine neue Straftat brächte ihn eventuell wieder ins Gefängnis. Für die Probezeit wird ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt, der kontrolliert, ob Felber allfällige Weisungen einhält.
Falls Ronny Felber auch diese letzte Hürde meistert, wird er definitiv in die Freiheit entlassen. Die grösste Bewährungsprobe hat er aber noch vor sich – wenn er wieder auf sich allein gestellt ist.
Verbüsste Haftstrafen
Wer beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben, sollte sich unweigerlich mit der Schweizer Strafprozessordnung vertraut machen. Der Beobachter erklärt Mitgliedern nicht nur diverse Fachbegriffe der Gerichtssprache, sondern bietet auch eine Checkliste zu Punkten an, die man generell beachten sollte, um in der Strafuntersuchung nicht unter die Räder zu kommen.
6 Kommentare
seit einem scheinverfahren bei der iv mit wahrheitswidrigen angaben und doofen anmerkungen eines richters mich betreffend, obwohl dies mit mir rein gar nichts zu tun hat, haben mir jeden glauben in dieses justizsystem genommen. am schluss gingen alle anwalts- und gerichtskosten an mich, obwohl die bundesrichterin monierte, dass die vorinstanz beim berechnen des iv grades 50% daneben lag!!; kappte man mir, die kurz zuvor gesprochene iv rente und plünderte mich zusätzlich (raubritter ähnlich); und dann war da kein geld mehr um den fall nach strassburg zu ziehen. clever, nicht wahr. resultat: ab auf das sozialamt.
die ganze justiz ist eine vetterwirtschaft, sodass das geld innerhalb dieser zunft zirkuliert. unschuldig im alter invalid geworden, haben sie mich geplündert und gezielt in die armut getrieben. die arme justiz (für mich scheinjustiz) muss ja auch von etwas leben und so holen sie das geld bei menschen, die im alter invalid werden. wenn das "system" so läuft bei der sozialversicherung, wie ist das dann mit der strafjustiz. wieviele menschen sitzen unschuldig...!
Kriminelle Leute im Gefängnis "behutsam" auf das Leben in der Gesellschaft vorbereiten? Wichtig ist eine klare entsprechende "Erziehung, mit entsprechender, regelmässiger Arbeit im Gefängnis", welche Probanden auf das "reale Berufs- und Privat-Leben" Sinn machend vorbereitet! "Verkuschelung" ist nicht Sinn machend, da nicht der Realität entsprechend!
Leider einmal mehr eine der vielen typischen journalistischen Fehlleistungen. Wie beim Klima geht es z.B. bei der Kurve mit der chronologischen Entwicklung wohl primär darum, eine schlimme Entwicklung zu suggerieren. Warum nicht objektiver informieren, z.B. mit Anzahl Personentage im Gefängnis pro 1 Mio. Einwohner? Warum nicht aufzeigen, wie hoch dabei der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund ist? Bitte versucht doch nicht immer kritiklos im Mainstream mitzuschwimmen, sondern - wie früher - sorgfältig zu recherchieren und setzt den Schwerpunkt auf informieren statt desinformieren. Danke.
Lieber Herr Dupont. Der Artikel ist sorgfältig recherchiert und informiert über die Praxis des Strafvollzugs. Wir wollen nichts suggerieren. Die Grafik zeigt, wie viele Personen im Gefängnis sind. Sie haben Recht, in dieser Zeitspanne ist auch die Bevölkerung gewachsen. Was würde aber eine Grafik mit dem Anteil Gefangenen mit Migrationshintergrund bringen? Daraus liesse sich keine kausale Aussage ableiten. Der Artikel beschränkt sich darum darauf, die Mechanismen des Strafvollzugs aufzuzeigen. Freundliche Grüsse.
Danke für Ihre Antwort. Es ist einfach ein Grundsatz seriöser Berichterstattung, nicht (nur) absolute Zahlen zu präsentieren, sondern diese in Relation zu setzen zur Gesamtbevölkerung. Da wurde ja auch beim Thema "Corona" schwer gesündigt und bewusst manipuliert (Fingerpointing auf Länder mit den Medien nicht genehmen Regierungen, BR, USA, UK, ....). Die Aufteilung nach in der Schweiz geborenen und solchen mit Migrationshintergrund bringt sehr viel, denn es ist ein grosser Unterschied, ob wir in der Schweiz krimineller geworden sind oder ob es vorwiegend ein Problem der unkontrollierten Zuwanderung ist, selbst wenn es nicht das Kernthema des Artikels ist. Aber gut, welches Medium will dies noch explizit offenlegen. Jedermann weiss es, aber es ist ein Tabu darüber zu schreiben bzw. es passt nicht in den Mainstreamjournalismus, genau so, wie es ein Tabu ist, die Klimaproblematik oder die zunehmende Diskriminierung der Männer bzw. dass Axiom "Frauen verdienen weniger" mal etwas genauer anzuschauen. Entschuldigen Sie, wenn ich jeweils Klartext rede, ich gehöre noch der Generation an, wo es Medien gab, die tiefergehend und umfassend recherchierten und sich nicht scheuten, vom Mainstream abzuweichen. Dazu gehörte auch mal der Beobachter.