Sofort fiel der Kinderärztin auf, dass etwas nicht stimmen konnte: Der Körper der einjährigen Lara* war an vielen Stellen mit blauen Flecken übersät. Die Ärztin zögerte nicht und teilte ihren Verdacht der zuständigen Kindesschutzbehörde (Kesb) mit. Deren Abklärungen ergaben, dass Laras Eltern mit der Erziehung ihrer Tochter völlig überfordert waren. Man beauftragte eine Beiständin, die zweimal wöchentlich bei der Familie vorbeischaut und darauf achtet, dass es Lara künftig besser ergeht. Ferner wurde eine sozialpädagogische Familienbegleitung angeordnet – die Eltern werden also noch zusätzlich von einer Fachperson unterstützt.
Lara ist kein Einzelfall: 1730 Fälle von psychischer und körperlicher Misshandlung von Kindern wurden 2017 in Schweizer Kinderkliniken registriert, meldet die Fachgruppe Kinderschutz der schweizerischen Kinderkliniken. Täter und Täterinnen sind in vier Fünfteln der Fälle Familienangehörige.
Körperliche Misshandlungen, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und psychische Misshandlung: Solch krasse Verletzungen des Kindeswohls ziehen strafrechtliche Sanktionen nach sich. Zudem muss die Kesb einschreiten und Kindesschutzmassnahmen ergreifen: etwa den Eltern die Kinder wegnehmen oder das Sorgerecht entziehen.
Zum Glück geht es aber bei den meisten Kindesschutzmassnahmen nicht um solch drastische Fälle. Am häufigsten ist eine Unterstützung der Eltern und des Kindes durch einen Beistand. Landesweit gab es per Ende 2017 rund 32'380 Beistandschaften. In gut 4330 Fällen wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und in 286 Fällen sah sich die Kesb gezwungen, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen.
Damit die Kesb überhaupt tätig werden kann, müssen ihr die Vorfälle bekannt sein. Jeder ist berechtigt, die Behörde zu benachrichtigen, wenn ein Einschreiten zum Schutze eines Kindes nötig ist. Eine Meldepflicht haben Behörden, Gerichte und Beamte, insbesondere Lehrer und Polizeiorgane, wenn sie auf Missstände stossen.
Ab 1. Januar 2019 gilt diese Meldepflicht auch für alle Fachpersonen, die beruflich regelmässig mit Kindern Kontakt haben. Dazu zählen etwa Kita-Mitarbeiterinnen oder professionelle Sporttrainer. Zudem können ab 2019 auch Personen, die dem Berufsgeheimnis unterstehen (zum Beispiel Ärzte oder Anwälte), sich an die Kesb wenden, falls die Meldung im Interesse des Kindes liegt. Bisher durften sie nur Meldung erstatten, wenn eine strafbare Handlung vorlag.
Die Eltern oder das Kind können sich ebenfalls an die Behörde wenden, wenn sie Hilfe brauchen. Die Meldung soll schriftlich erfolgen, in Notsituationen wird sie auch telefonisch entgegengenommen. Den Eltern muss in der Regel der Name der anzeigenden Person offengelegt werden. Vorfälle sind der Kesb am Wohnsitz des Kindes zu melden. Lebt ein Kind nicht bei den Eltern, ist die Behörde am Aufenthaltsort des Kindes zuständig. Ist eine Trennung oder eine Scheidung im Gang, kann auch das Gericht Kindesschutzmassnahmen anordnen, die von der Kesb vollzogen werden.
Wissen Sie, dass ein Kind oder eine hilfsbedürftige Person vernachlässigt wird und in ihrem gesundheitlichen Zustand gefährdet ist, sollten Sie die Behörden einschalten. Beobachter-Mitglieder erfahren in der Mustervorlage «Wie verfasst man eine Gefährdungsmeldung?», welche Punkte Sie schriftlich zur Information der Kesb festhalten sollten.
Die Kesb muss jeder Gefährdungsmeldung nachgehen. Sie wird die Eltern zu einem Gespräch einladen und das Kind anhören; sie kann Dritte – zum Beispiel ein Jugendsekretariat oder eine Familienberatungsstelle – mit der Abklärung der Situation vor Ort beauftragen oder ein psychologisches Gutachten in Auftrag geben. Bei akuter Gefährdung sind natürlich Sofortmassnahmen wie die vorläufige Unterbringung bei Pflegeeltern oder in einem Durchgangsheim möglich.
Die Kindesschutzmassnahmen sollen eine Unterstützung für die Eltern oder den betreuenden Elternteil sein – das Ziel ist Schutz und nicht Strafe.
Der oberste Grundsatz lautet: Die Massnahme soll verhältnismässig sein. Die Behörde greift nur ein, wenn es die Situation erfordert. Sie wird versuchen, die elterlichen Rechte so wenig wie möglich und trotzdem so stark wie nötig einzuschränken. Das heisst, man nimmt den Eltern das Kind nicht weg und bringt es in einem Heim unter, wenn es dank Hilfe eines Beistands zu Hause bleiben kann. Die Kesb verfügt dafür über eine breite Palette von Kindesschutzmassnahmen (siehe nachfolgende Tabelle).
Es liegt in der Natur der Sache, dass viele Eltern mit einer Massnahme nicht einverstanden sind. Gegen jede Anordnung der Behörde können sie mit einer Beschwerde an die nächsthöhere Instanz gelangen. Allerdings hat man dazu nur zehn Tage Zeit.
Schutz des körperlichen, sittlichen oder geistigen Wohlbefindens des Kindes | |||
Situation | Massnahme | Zweck der Massnahme | Gesetzesartikel |
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Mahnung oder Weisung an Eltern und/oder Kind, etwas zu tun oder zu unterlassen; Überwachung (Erziehungsaufsicht) |
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307 ZGB |
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Beistand für das Kind |
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308 ZGB |
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Entzug der Obhut von Mutter, Vater oder beider Eltern | Eltern können nicht mehr über Aufenthaltsort des Kindes bestimmen; Unterbringen des Kindes bei Pflegeeltern oder im Heim. | 310 ZGB |
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Entzug der elterlichen Sorge von Mutter, Vater oder beider Eltern | Kind erhält Vormund, der anstelle der Eltern alle für das Kind notwendigen Entscheidungen trifft. | 311 /312 ZGB |
Schutz des Kindesvermögens | |||
Situation | Massnahme | Zweck der Massnahme | Gesetzesartikel |
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Inventar über das Kindesvermögen einreichen | «Vier-Augen-Prinzip» soll auch für Kinder von Alleinsorgeberechtigten gelten. | 318 Absatz 2 ZGB |
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Periodische Berichterstattung der Eltern über das Kindesvermögen | Überwachung der elterlichen Vermögensverwaltung | 318 Absatz 3 ZGB |
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Eingriff in das elterliche Recht zu Vermögensverwaltung | 324 ZGB |
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Einsetzung eines Beistands zur Vermögensverwaltung | Entzug der elterlichen Vermögensverwaltung | 325 ZGB |
Weitere Massnahmen zum Schutz des Kindes | |||
Situation | Massnahme | Zweck der Massnahme | Gesetzesartikel |
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Neuregelung der elterlichen Sorge bei wesentlicher Veränderung der Verhältnisse | 134 Absatz 1 + 3 ZGB 298d Absatz 1 + 2 ZGB |
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Bestellung eines Kinderanwalts im Scheidungsprozess der Eltern | Kinderanwalt vertritt Interessen des Kindes bei Zuteilung des Sorge- oder Besuchsrechts oder wenn spezifische Kindesschutzmassnahmen nötig sind. | 299 ZPO |
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Bevormundung eines noch nicht volljährigen Kindes | Kind erhält als gesetzlichen Vertreter einen Vormund. | 296 ZGB + 327a ZGB |
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394 ZGB |
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