Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Medikamenten-Knappheit
Wenn es um die bewährten günstigen Medikamente der Grundversorgung geht, sind China und Indien die Apotheker der Welt. Wenn sie nicht liefern, haben fast alle Länder ein Problem.
Ibuprofen? In vielen Apotheken nur schwer zu bekommen. Paracetamol? Nicht mehr leicht erhältlich. Das Antibiotikum Co-Amoxicillin? Ebenfalls schwer zu bekommen. Was ist eigentlich los im Pharmaland Schweiz?
- Warum fehlen immer mehr Medikamente?
- Sind alle Medikamente vom Mangel betroffen?
- Welche Medikamente sind überhaupt nicht mehr lieferbar?
- Was ist der Unterschied zwischen Wirkstoff und Medikament?
- Warum wurde die Lage als problematisch eingestuft?
- Was ist die Aufgabe der wirtschaftlichen Landesversorgung?
- Wie will der Bund kurzfristig helfen?
- Und auf längere Sicht?
- Könnten Apotheken und Spitäler selbst Medikamente herstellen?
- Eine neue Initiative soll Abhilfe schaffen. Was fordert sie?
Warum fehlen immer mehr Medikamente?
Weil sich mittlerweile die Produktion der Wirkstoffe auf einige wenige Anbieter in China und Indien beschränkt, wirken sich Probleme bei der Herstellung in diesen Unternehmen und Unterbrüche der Lieferketten sofort auf die Versorgungslage weltweit aus. Das ist nicht neu, Liefer- und Versorgungsprobleme bestehen in minderem Masse bereits seit Jahren. Allerdings hat sich die Situation in den vergangenen Monaten zugespitzt.
Die strengen Lockdowns in China haben die Lieferketten unterbrochen. Zudem wurden gewisse Wirkstoffe wegen der Pandemie in China selbst stärker nachgefragt. Für das Schmerzmittel Ibuprofen beispielsweise hat die chinesische Regierung einen Exportstopp verfügt. Auch der Ukrainekrieg wirkt sich negativ auf die Versorgungslage aus, weil die Ukraine ein wichtiger Produktionsstandort für Hilfsstoffe wie Verpackungen und Glasampullen ist.
Sind alle Medikamente vom Mangel betroffen?
Nein, der Mangel betrifft vor allem Medikamente der Grundversorgung mit geringem Renditepotenzial. Es geht um bewährte Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol oder Antibiotika wie Co-Amoxicillin. Diese Arzneimittel sind schon lange auf dem Markt und haben keinen Patentschutz mehr. Es gibt also viele Nachahmerprodukte (Generika). Nach Darstellung von Generika-Herstellern hat der staatliche Preisdruck dazu geführt, dass mit der Herstellung dieser Medikamente kaum mehr Profit erzielt werden kann.
Viele haben deshalb ihre Produktion gestoppt. «Wie kann es sein, dass eine Packung Hustenbonbons mehr kostet als eine Packung Antibiotika», fasst ein Generika-Vertreter die Situation zusammen. Sowohl die Produktion als auch die Vermarktung von Generika würden höchsten Anforderungen an die Produktionssicherheit unterliegen. Die sich über Jahre verschlechternde Wirtschaftlichkeit dieser Medikamente habe die Konzentrationsprozesse in Indien und China noch gefördert.
Welche Medikamente sind überhaupt nicht mehr lieferbar?
Wenn eine Störung ein Medikament betrifft, das nur von einer Firma hergestellt wird, kann es gemäss Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) vorkommen, dass dieser Wirkstoff in der Schweiz gar nicht mehr auf dem Markt ist. Diese Situation liegt zum Beispiel aktuell bei Protamin (bei Herzoperationen notwendig), bei Alteplase zum Spülen von Kathetern oder bei Suxamethonium (für beatmete Patienten) vor. In diesen Fällen unterstützt das BWL die betroffenen Firmen und Spitäler dabei, Lösungen zu finden.
Was ist der Unterschied zwischen Wirkstoff und Medikament?
Ein Medikament besteht aus dem eigentlichen Wirkstoff, der die heilende Wirkung entfaltet, sowie aus verschiedenen Hilfsstoffen. Dazu gehören die Substanzen, die in einer Tablette als Träger des Wirkstoffs dienen, aber auch die sterile Blisterverpackung, Glasampullen und -flaschen, Beipackzettel und die Verpackung. Die Verfügbarkeit dieser Hilfsstoffe ist für eine ausreichende Versorgung mit dem Medikament ebenso entscheidend wie die Verfügbarkeit des Wirkstoffs selbst.
Warum hat die wirtschaftliche Landesversorgung die Lage als problematisch eingestuft?
Bisher waren nur Spitäler von Engpässen betroffen. Inzwischen können aber auch Arztpraxen und Apotheken den Bedarf an Medikamenten nicht mehr rundweg decken. Selbst gängige Medikamente wie Paracetamol und Ibuprofen fehlen teilweise. Die sich verschärfenden Engpässe haben dazu geführt, dass im vergangenen Jahr 120-mal auf die Pflichtlager zurückgegriffen werden musste. Dies geschieht erst, wenn die fehlenden Medikamente nicht mehr durch andere ersetzt werden können – die sogenannte erste Eskalationsstufe.
Am 1. Februar wurde die zweite Eskalationsstufe ausgelöst: Auch mit geöffneten Pflichtlagern kann der Bund nicht mehr garantieren, dass jederzeit genügend Medikamente zur Verfügung stehen. Die wirtschaftliche Landesversorgung geht nicht davon aus, dass sich die Versorgungslage in den nächsten Monaten verbessern wird.
Was ist die Aufgabe der wirtschaftlichen Landesversorgung?
Sie soll sicherstellen, dass alle Güter und Dienstleistungen vorhanden sind, die für Wirtschaft und Gesellschaft unentbehrlich sind. Mit gezielten Massnahmen versucht sie, Versorgungslücken wie den aktuellen Medikamentenengpass zu schliessen.
Wie will der Bund kurzfristig helfen?
Das ist noch unklar. Der Bund hat eine Taskforce einberufen, um die Engpässe rasch zu lindern. An ihrer Spitze steht der Delegierte für die wirtschaftliche Landesversorgung, Kurt Rohrbach. Wie die wirtschaftliche Landesversorgung mitteilt, fanden Anfang Februar die ersten Besprechungen mit den Akteuren der Medikamentenversorgung statt.
Und auf längere Sicht?
Der Bund plant, weitere Medikamente in die Pflichtlager aufzunehmen. Unter anderem gegen Epilepsie, Parkinson und psychische Störungen. Die aktuelle Liste der Medikamente, die der Pflichtlagerhaltung unterstellt sind, finden Sie hier. Zudem sollen demnächst weitere Arzneimittel gemeldet werden müssen, sobald ein Engpass absehbar oder bereits eingetreten ist.
Der Ausbau der Meldepflicht hat gemäss der wirtschaftlichen Landesversorgung Priorität. Erste Lösungsansätze sollen dem Bundesrat am 23. April vorgelegt werden. Diese Massnahmen sollen mittelfristig dazu beitragen, die Engpässe zu überwinden. Weitergehende Aussagen macht das BWL derzeit keine.
Könnten Apotheken und Spitäler selbst Medikamente herstellen?
Allenfalls als Übergangslösung. Wegen der Lieferengpässe stellen einige Apotheken inzwischen Medikamente wie Hustensaft für Kinder selbst her. Das geht aber nur, solange entsprechende Wirkstoffe wie Ibuprofen verfügbar sind. Zudem lohne sich der Aufwand nicht, sagt Enea Martinelli, Vizepräsident von Pharmasuisse und Chefapotheker. Der selbst hergestellte Sirup sei deutlich teurer als der Stangenpreis. Und wegen eines unklaren und veralteten Tarifs blieben die Apothekerinnen und Apotheker mehrheitlich auf den Kosten sitzen.
Eine neue Initiative soll die Engpässe mittel- bis langfristig beseitigen. Was fordert sie?
Die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» will die Grundversorgung in der Schweiz sicherstellen und stabile Preise begünstigen, sagt Salvatore Volante von der Geschäftsstelle IG Schweizer Pharma KMU. Sie verlangt, dass der Bund die Verantwortung für die Versorgungssicherheit übernimmt. Noch kümmern sich alle Kantone einzeln darum. Mit einer zentralen Entscheidungsinstanz könnte die Schweiz effizienter und schneller handeln. Dies habe bereits die Covid-Krise gezeigt.
Weiter fordert die Initiative, dass die Schweiz unabhängiger von Wirkstoffen und Medikamenten aus China und Indien wird. Ihr Fokus liegt auf kostengünstigen Medikamenten wie Antibiotika, Schmerzmittel, Blutdrucksenker und Antidiabetika. Es sei notwendig, die Zusammenarbeit innerhalb Europas zu verstärken. «Deutschland, Frankreich und Österreich haben bereits wegweisende Entscheide gefällt, um wichtige Wirkstoffe wieder in Europa herzustellen», so Volante. Produktionsstandorte auf mehreren Kontinenten könnten Engpässe abfedern. Schliesslich sollen Forschung und Produktion hierzulande erhalten bleiben, damit ein Teil dieser Medikamente auch in der Schweiz hergestellt werden kann.
Hinter der Initiative steht eine Allianz aus Apotheker- und Ärzteschaft, Drogisten, Konsumentenforum, Pharmabranche, Universitäten und weiteren Akteuren. Der Initiativtext wird derzeit von der Bundeskanzlei geprüft. Im März will die Allianz mit der Unterschriftensammlung beginnen.
1 Kommentar
Selber Schuld wenn man sich in die Abhängigkeit von China begibt. IN DER sCHWEIZ HABEN WIR JA GENÜGEND PHARMAINDUSTRIE. OK fü mich kein Problem. Lebe in Südafrika und bekomme hier alle Medis, die ich brauche.
é