Smartwatches können frühzeitig vor Infektionen warnen
Schon Tage bevor man sich krank fühlt, verändern Viren oder Bakterien bestimmte Körperfunktionen. Smartwatches und Fitnessbänder erkennen das.
Veröffentlicht am 1. Februar 2021 - 16:06 Uhr
Erkältung, Grippe, Covid-19 oder allgemein eine Infektion – sobald Viren oder Bakterien in den Körper gelangen, beeinflusst das zahlreiche Abläufe. Der Infizierte selbst bemerkt es erst durch Symptome wie Kopfschmerzen, laufende Nase und Husten – manche Infekte bleiben auch symptomlos.
Tatsächlich starten aber schon einige Tage vorher erste Abwehrreaktionen, deren Auswirkungen allerdings nahezu unbemerkt bleiben: Das Herz schlägt schneller, man schläft länger, geht am Tag weniger Schritte, der Sauerstoffgehalt des Blutes sinkt möglicherweise etwas, und die Oberflächentemperatur der Haut steigt.
Die Sensoren moderner Smartwatches und Fitnessbänder registrieren solche Abweichungen relativ zuverlässig. Gut ein halbes Dutzend Universitäten forschen derzeit dazu. Auch Apple lässt für seine Smartwatch in einer Studie untersuchen, ob der neue Sensor für Blutsauerstoff und Herzfrequenz die Grippe und Covid-19 erkennen könnte.
Früherkennung von Covid-19 möglich?
Der Mediziner Michael Snyder von der amerikanischen Stanford-Universität beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, ob diese Geräte vor Einsetzen der Symptome über eine Infektion informieren könnten. Im November 2020 berichtete er in einem Fachblatt, dass sich zwei von drei Covid-19-Infizierten schon mehrere Tage vor Einsetzen der Symptome erkennen liessen, wenn sie eine Smartwatch trügen.
Snyder beobachtete über Monate rund 5300 Probandinnen und Probanden, ausgestattet mit einer Smartwatch von Fitbit und einer App der Uni. Covid-19-Infizierte fielen dabei auf, da deren Ruhepuls (kurz RHR, für resting heart rate) deutlich erhöht war. Die Infizierten legten am Tag im Schnitt auch 1440 Schritte weniger zurück und schliefen 30 Minuten länger. «Ich denke, wir können allein aufgrund ihres schnelleren Herzschlags sagen, wenn Personen krank werden», sagt Snyder selbstbewusst.
Am aussagekräftigsten war der Ruhepuls. Die Smartwatch misst sie, sobald sich die Nutzerin mehrere Minuten lang nicht bewegt. Bei der Mehrzahl der Infizierten entdeckten die Sensoren bereits mehrere Tage vor Symptombeginn einen deutlichen Anstieg. «So kann man sich frühzeitig selbst isolieren und testen lassen», sagt Snyder.
Bei Infektionen schlägt das Herz auch in Ruhe deutlich schneller
Um die Algorithmen der App zu verfeinern, können seit Dezember 2020 rund 10 Millionen US-Amerikaner mit einer Fitbit-Smartwatch an Snyders erweiterter Studie teilnehmen und die App herunterladen. Zwar signalisiert sie kein Covid-19, aber alarmiert die Nutzerin, dass sehr wahrscheinlich gerade eine Abwehrreaktion gegen einen Erreger vor sich geht. «Die gemessenen Werte ersetzen keine Diagnose, aber sie geben erste Hinweise auf eine Erkrankung», sagt Snyder.
Coronatest-Empfehlung durch App
Am Mount-Sinai-Spital in New York nutzt man diese Erkenntnisse seit April 2020, um das medizinische Personal auf Covid-19 zu scannen. Die Forscher um Robert Hirten orientieren sich dabei an der vom vegetativen Nervensystem gesteuerten Herzfrequenzvariabilität (kurz HRV, für heart rate variability), also wie unterschiedlich der Abstand zwischen den Herzschlägen ist. Gesunde haben eine grosse Variabilität. «Der Wert reagiert sehr sensibel auf Stress im vegetativen Nervensystem », sagt Hirten. Dann wird der Wert kleiner.
361 Personen des Klinikpersonals überwachten auf ihrer Smartwatch mit der von Hirten entwickelten Warrior-Watch-Study-App im Schnitt sechs Wochen lang ihren Herzschlag, zusätzlich mussten sie täglich ihr Wohlbefinden protokollieren. Bei den 13 mit Covid-19 Infizierten wich die Herzfrequenzvariabilität bis zu sieben Tage vor den ersten Symptomen deutlich von den Normalwerten ab, sodass die App einen Covid-Test empfahl. «Der Nutzen ist, infizierte Menschen frühzeitig zu erkennen, insbesondere bei Covid-19, da sie in dieser vorsymptomatischen Periode besonders ansteckend für andere sind», erklärt Hirten.
Stanford-Forscher Michael Snyder rechnet damit, dass sich auch andere Infekte durch Beobachten des Ruhepulses und eventuell weiterer Körperparameter frühzeitiger erkennen lassen. «Wahrscheinlich trifft das auf alle Atemwegserkrankungen und möglicherweise sogar alle Infekte zu», sagt er. Schon 2017 erkannte er in einer Studie durch erhöhte Parameter Borreliose und Atemwegserkrankungen.
Vorsichtsmassnahmen treffen
Auch Robert Hirten vom Mount-Sinai-Spital erforscht andere Erkrankungen und Infekte durch Beobachten der Herzfrequenzvariabilität. «Welcher Parameter oder welche Kombination aus Parametern letztlich am aussagekräftigsten ist, das wird gerade erforscht.» Das Profil verschiedener Parameter könnte möglicherweise auch einen Hinweis geben auf die Art des Infekts.
Daran glaubt auch seine Kollegin Jennifer Radin, die im kalifornischen La Jolla dazu forscht. «Wahrscheinlich ändert sich je nach Infektion auch die Stärke der Abweichung vom Normalwert und die Dauer der Abweichung», sagt sie. Das wolle man jetzt genauer untersuchen.
Eine Infektion zu erkennen, bevor Symptome auftreten, bringt mehrere Vorteile. Es gibt dem Infizierten etwa die Möglichkeit, einen geplanten Besuch bei einer gefährdeten Person zu überdenken, mit einer bevorstehenden Impfung noch zuzuwarten, sein Training ein wenig langsamer anzugehen, seine Hygienemassnahmen zu verschärfen, mehr auszuruhen oder einfach genauer auf seinen Körper zu hören.
«Das frühzeitige Entdecken eines Infektionsausbruchs, wie bei der Grippe, hilft, in der Bevölkerung eine Verbreitungswelle zu kontrollieren.»
Jennifer Radin, Medizinerin
Bevor eine medizinisch validierte App auf den Markt kommt, wird noch eine Weile vergehen. In der Zwischenzeit kann man sich selbst behelfen. «Im Schnitt steigt der Ruhepuls bei einer Infektion um etwa sieben Schläge pro Minute», sagt Snyder. Besitzer einer Smartwatch können sich den Verlauf in der Health-App ihres Smartphones grafisch anzeigen lassen. Zusätzlich könne man beobachten, ob die Zahl der täglich zurückgelegten Schritte zurückgehe und die Schlafdauer zunehme.
Behilflich ist dabei etwa die kostenlose App Cardiogram (iOS, Android). Sie ermittelt den durchschnittlichen Ruhepuls und die Aktivität der letzten sieben Tage. Die Herzfrequenzvariabilität eignet sich dagegen derzeit nicht als Parameter. «Smartwatches erheben diesen Wert nur spontan, daraus lässt sich kein zuverlässiger Verlauf ablesen», sagt Hirten. Daneben müsse aber immer bedacht werden, dass auch andere Faktoren wie Stress, Alkohol, Medikamente, Menstruation oder Fliegen die Parameter beeinflussen können.
Genauere Zahlen in Echtzeit
Die Apps sollen nicht nur den Smartwatch-Nutzerinnen helfen. «Das frühzeitige Entdecken eines Infektionsausbruchs, wie bei der Grippe, hilft, in der Bevölkerung eine Verbreitungswelle zu kontrollieren», sagt Jennifer Radin. Die Forscherin stellte in einer Studie mit über 47'000 Fitbit-Nutzern fest: Auf eine mögliche Grippe hinweisende Abweichungen in deren Ruhepuls, Aktivität und Schlaf deckten sich nahezu mit den wöchentlichen offiziellen Daten der US-Seuchenbehörde.
Würde man die Algorithmen noch weiter verfeinern, hätten die Behörden in Zukunft möglicherweise regional genauere Zahlen und zudem in Echtzeit. Schliesslich würden die Smartwatch-Apps eine wahrscheinliche Infektion sofort melden, während die Behörden die Meldungen von den Ärztinnen erst bekommen, wenn die Infizierten mit Symptomen in der Praxis waren.
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1 Kommentar
"Andere Faktoren" sind zBsp. auch entzündungsfördernde Lebensmittel wie Kuhmilch, Schweinefleisch, Weizen. Ferner Buschfleisch, Seafood und andere mehr. Gerade Kuhmilch eignet sich ideal für Entzündungen und Verschleimungen der Atemwege, sowie für Ohrenentzündungen. Solange man hier nicht den Hebel ansetzt, erscheint die Besorgnis um unsere Gesundheit aufgesetzt und dient eigentlich als Vorwand der totalen Überwachung.