Verhütung: Die Pille nach dem Sex
Seit einem halben Jahr ist rezeptfrei ein Hormonpräparat erhältlich, das meist eine ungewollte Schwangerschaft verhindern kann – es schützt jedoch nicht vor Aids.
Veröffentlicht am 27. Mai 2003 - 00:00 Uhr
Ungern denkt Anna an jenen Sonntag vor zwei Jahren zurück,
als sie mit einem mulmigen Gefühl im Wartzimmer des Notfallarztes
sass. «Ich bin sonst sehr gewissenhaft», sagt
die 28-Jährige. «Doch in der Nacht zuvor lief alles
schief.» Das Kondom sei gerissen, als sie mit ihrem
Freund geschlafen habe. «Und schwanger werden wollte
ich zu jenem Zeitpunkt nicht.» Der Arzt verschrieb der
Frau das Rezept für die «Pille danach», die
sie sich umgehend in der nächsten Apotheke besorgte.
Heute ist der Weg zur «Pille danach» weniger
aufwändig: Seit einem halben Jahr gibt es das Hormonpräparat
rezeptfrei in den Apotheken. «Die Wirksamkeit der Tablette
ist umso besser, je rascher sie eingenommen wird», begründet
Swissmedic-Sprecherin Nicole Wyss den Entscheid des Schweizer
Heilmittelinstituts.
«Nicht glücklich mit dieser Situation»
ist Professor Mario Litschgi, Generalsekretär der Schweizerischen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er
bemängelt vor allem die Beratung in den Apotheken, die
nicht so umfassend sei wie bei Medizinern. «Vor allem
jüngere Frauen sind darauf angewiesen, dass sie vom Fachpersonal
genau über Verhütungsmittel aufgeklärt werden.»
Diese Kritik ist nicht immer begründet. Wer sich beispielsweise
in der Bellevue-Apotheke in Zürich die «Pille danach»
besorgen will, muss einen Fragebogen ausfüllen. Angaben
zu allfälligen Krankheiten oder Medikamenten werden verlangt,
auch persönliche Informationen über Zyklus sowie
Verhütungsmethoden sollen notiert werden. Anschliessend
setzt sich die Apothekerin zur Kundin, klärt sie über
die Nebenwirkungen des Präparats auf und orientiert sie
über Krankheiten wie Hepatitis B oder Aids, mit denen
man sich bei ungeschütztem Sex anstecken kann. Erst nachdem
die Apothekerin die Antworten auf dem Formular begutachtet
hat, händigt sie das Notfallmittel aus.
Auch die vielfach geäusserte Befürchtung, die
«Pille danach» könnte jüngere Frauen
zu leichtsinnigem Umgang mit Sex ermuntern, lassen sich nicht
erhärten. Laut einer Studie des Childrens Hospital
in Los Angeles verzichten junge Frauen zwischen 14 und 20
Jahren nicht auf Kondome, auch wenn sie Zugriff auf die «Pille
danach» haben.
Kondom ist der beste Schutz
Keine Einwände gegen die rezeptfreie Abgabe der «Pille
danach» hat Christoph Schlatter von der Aids-Hilfe Schweiz:
«Wir trauen den Menschen grundsätzlich zu, dass
sie Verantwortung für sich selber übernehmen können.
Die Pille danach kann allerdings kein reguläres
Verhütungsmittel sein.» Wichtig sei es, so Schlatter,
die jungen Frauen darauf hinzuweisen, dass das Medikament
zwar eine ungewollte Schwangerschaft verhindern könne,
nicht aber vor Aids schütze.
Wert auf Prävention legt auch Sandra Meier vom Bundesamt
für Gesundheit (BAG): «Im Zentrum der BAG-Massnahmen
steht das Präservativ. Es stellt nach wie vor den besten
Schutz dar.»