Das Riemenstaldnertal wird regelmässig von Naturgewalten heimgesucht: Murgänge, Lawinen, Wildbäche. Daran sind die Bergler gewöhnt, damit können sie umgehen. Doch nun droht eine neue, finstere Gewalt. Sie trägt den Namen Gabmo und rückt an aus dem fernen Bern.

Gabmo steht für «Gestion des adresses des bâtiments par la mensuration officielle». Zu Deutsch: «Verwaltung der Gebäudeadressen durch die amtliche Vermessung». Die Order ist unmissverständlich: Jedes Haus im schwyzerischen Riemenstalden muss eine Nummer tragen – mit dazugehörigem Strassennamen.

«Das kommt für uns nicht in Frage», sagt Gemeindepräsident Markus Inderbitzin. Auch sein Hof trägt keine Nummer, die Zufahrtsstrasse keinen Namen. Es gibt überhaupt keinen Strassennamen in Riemenstalden. Dafür heissen die Heimetli Martschen, Obergadmen, Rosslaui oder Loosberg. Im Loosberg zum Beispiel wohnt der Gemeindepräsident, der deshalb nur der «Loos Markus» genannt wird. Der Flurname hat den Familiennamen ersetzt.

Wer will schon Markus 16 heissen?

Das hat ganz praktische Gründe, denn der Präsident der Feldschützen heisst ebenfalls Inderbitzin, genauso wie der Skiklubpräsident und der Feuerwehrkommandant. Und weil viele weitere Riemenstaldner Inderbitzin heissen, wird nach Flur unterschieden, sonst droht Verwechslung. Nun will der Staat den Berglern diese Identität wegnehmen und durch Nummern ersetzen. Der Loos Markus würde vielleicht zum Markus 16. Auch der Obergadme Kari würde zur Nummer verkümmern. Unvorstellbar.

Das zuständige Bundesamt für Landestopographie ist vorsichtig geworden, es brodelt auch in andern Gemeinden, man wolle vermeiden, dass es «politisch explodiert», sagt der Chefbeamte. Politisch explodiert ist es in der Nachbargemeinde Morschach. Dort wollte der Gemeinderat gegen den Willen mehrerer Dutzend Bauern den Nummerierungsbefehl durchstieren. Die Sache kam dann auch noch im Fernsehen. Flurnamen, heisst es inzwischen beschwichtigend aus Bern, seien eben etwas Emotionales.

Sie sind viel mehr als das. Die von Kindheit an vertrauten Flurnamen sind ein Stück Heimat. Sie sind Zeugen einer versunkenen Welt. Selbst wenn man ihren Sinn schon lange nicht mehr versteht, werden sie über Generationen weitergereicht. «Man gibt sie weiter wie ein Erbe in einem Kästchen, zu dem man den Schlüssel verloren hat», schreibt der grosse Schweizer Volkskundler Richard Weiss.
Diese Schatzkästchen geben die Riemenstaldner nicht kampflos her. Und ihr Widerstand scheint sich zu lohnen. Das Bundesamt zeigt sich kompromissbereit: Die Heimetli dürfen ihre Namen behalten, müssen aber mit einer Nummer versehen werden. Gabmo sei Dank!