Was sind Bitcoins?
Zahlen ohne Kreditkarten und Banken: Die virtuelle Währung Bitcoin soll den Zahlungsverkehr revolutionieren. Wären da nicht die kleine Nachfrage und illegale Geschäfte.
Veröffentlicht am 5. Februar 2014 - 15:52 Uhr
Ihre wachen Augen unterscheiden sie von den bierseligen Blicken der Stammgäste. Es sind vor allem Männer, die sich um die Bar im Zürcher «Kennedy’s Pub» drängen. Sie wirken elektrisiert. Kein Wunder: Sie glauben an eine Idee. Manche sprechen von Revolution. Und alle erhoffen sich einen schönen Profit. Es geht um Bitcoins, virtuelles Geld, das von Computern generiert wird und den weltweiten Zahlungsverkehr umkrempeln soll.
An das etwas improvisierte Meeting sind vor allem jüngere Männer gekommen. Viele von ihnen sind Expats, die als Programmierer oder Sicherheitsexperten in der Schweiz arbeiten; für eine Bank, für Google oder für das eigene Start-up. Man spricht Englisch. «Bitcoin Consultant» steht auf der Visitenkarte eines jungen Mannes. Nein, Kunden habe er noch keine, das Geschäft sei im Aufbau.
Der erste Bitcoin entstand am 3. Januar 2009. Das Konzept für die digitale Währung stammt von einem Satoshi Nakamoto. Ob hinter dem Pseudonym ein einzelner Programmierer oder eine ganze Gruppe steckt, ist bis heute ein Geheimnis. Seit Mitte 2010 hat sich Nakamoto nicht mehr geäussert. Journalisten und andere Rechercheure versuchten vergeblich, die wahre Identität des angeblichen Japaners aufzudecken. Sie haben seine Texte nach regionstypischen Begriffen gescannt und aufgrund von Zeitangaben in E-Mails eine wahrscheinliche Zeitzone für seinen Aufenthalt gesucht. Ein halbes Dutzend Personen sind auf diese Weise schon als Nakamotos geoutet worden, doch fast alle haben dementiert.
Bitcoin - Die digitale Währung
Quelle: Brightcove
Dass Nakamoto zum Mythos geworden ist, sehen Bitcoiner als Vorteil. Es mindere Neidgefühle. «Angenommen, Nakamoto wäre ein unsympathischer Kerl, der sinnlos schnelle Autos sammeln und selbstherrlich auf Yachten herumgondeln würde – ich glaube, das Bitcoin-Projekt würde Anhänger verlieren», sagt Luzius Meisser, Präsident der Bitcoin Association Switzerland.
Der 34-Jährige ist selber ein erfolgreicher Start-up-Unternehmer, als Mitgründer der Schweizer Daten-Cloud Wuala. Sie gilt wegen ihrer Verschlüsselungstechnik als besonders sicher. Die Firma gehört inzwischen zwar dem Festplattenkonzern Seagate, doch für seine Leistung wird Meisser in der Bitcoiner-Szene respektiert.
Eine erfolgreiche Start-up-Firma ist noch immer der Königsweg für einen Entwickler, attraktiver als ein Karrieresprung in einer Firma. Auch das erklärt den Bitcoin-Hype etwas. Die virtuelle Währung ist im Prinzip nichts anderes als ein weltumspannendes Start-up, an dem jeder mittun kann.
Bis vor wenigen Monaten war die Währung für die breitere Öffentlichkeit kaum ein Thema. Doch Ende November verhundertfachte sich plötzlich der Wert eines Bitcoins innert weniger Tage. Anfang Februar war er mit über 800 Dollar immer noch 40-mal teurer als vor einem Jahr. «Ich war von der Idee schon lange begeistert, habe aber keine Bitcoins gekauft», sagt Alex Weber, Inhaber einer Zürcher Firma für IT-Support. «Als der Kurs dann durch die Decke schoss, ärgerte ich mich natürlich grün und blau.» Inzwischen mischt der 31-Jährige kräftig mit, ein befreundeter Jurist handelt für ihn täglich auf Bitcoin-Börsen. Durchaus auch mal mit einer zweistelligen Rendite – pro Monat.
Die Währung Bitcoin ist zum Spekulationsobjekt geworden. Dabei sollte sie eigentlich nur den Zahlungsverkehr revolutionieren. Doch der stark steigende Kurs verleitet geradezu dazu, Bitcoins zu horten. Sie könnten ja weiter an Wert gewinnen. Die starken Kursschwankungen schrecken Unternehmen auch eher ab, den Bitcoin als Zahlungsmittel einzuführen. In der Schweiz akzeptieren ihn nur gerade drei Dutzend Firmen.
Manche Kritiker sehen in der Währung nicht mehr als einen genialen Betrug. Ein klassisches Schneeballsystem, das kollabieren werde, nennt es Eric Posner, Rechtsprofessor in Chicago. Gewinne würden die Gründer und Früheinsteiger einsacken. Und zwar genauso lange, wie Nachzügler bereit seien, Bitcoins zu einem höheren Preis zu kaufen. Irgendwann werde dieses System kollabieren, denn hinter der Währung stehe kein realer Wert.
Auch die Europäische Zentralbank befasste sich mit der Schneeballfrage, drückte sich aber um eine klare Antwort. Es fehle an einem für Schneeballsysteme typischen, zentralen Organisator, der plötzlich die Spielregeln ändern oder mit dem Geld verschwinden könne, hielt sie 2012 fest. Zudem verspreche niemand besonders hohe Profite. Auf der anderen Seite würden die hohen Verlustrisiken unterschätzt, weil es so einfach sei, mitzumachen.
Dass der Bitcoin-Handel enorme Risiken birgt, bestätigen auch Bitcoiner. «Wer auf Kursgewinne spekuliert, sollte das nur tun, wenn er auch mit einem massiven Verlust leben kann», rät Luzius Meisser. Neben Kurseinbrüchen drohen Bitcoin-Hortern weitere Risiken. Bitcoins lassen sich zwar nicht einfach kopieren, sie können aber – wie physisches Geld – gestohlen werden.
Das passierte im vergangenen Jahr einem Bitcoin-Experten an der Zürcher ETH, der an einer Dissertation über die Währung arbeitete. Offenbar gelang es Hackern, Bitcoins im Wert von damals über 100'000 Franken zu entwenden.
Bitcoins können aber auch «verschwinden», wenn sie auf einem Konto an einer Börse gelagert sind und die Firma in Konkurs geht. Guthaben sind auch schon auf unbestimmte Zeit eingefroren worden, weil Strafverfahren gegen Handelsplattformen eröffnet wurden.
«Auch ich wurde schon Opfer», sagt der bereits erwähnte Zürcher Jurist und Bitcoin-Händler. Er verkaufte über eine Onlinebörse Bitcoins an eine Privatperson in Deutschland, die mit PayPal bezahlen wollte. Zuerst sei ihm der Betrag gutgeschrieben worden, worauf er den Wert in Bitcoins transferierte. «Kurz darauf zog der PayPal-Kontoinhaber die Zahlung aber wieder zurück. Ein Krimineller habe sich Zugang zu seinem Konto verschafft.»
Neben dem Bitcoin-Verlust hatte die Sache eine weitere unschöne Folge: Der Betrogene dachte, der Zürcher Händler stecke hinter dem PayPal-Betrug, und zeigte ihn an. Neben den verlorenen Bitcoins musste er sich darum auch noch in einem Strafverfahren erklären.
Der Bitcoin taucht immer wieder im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften auf. Das hat zwei Gründe: Die weitgehend anonymisierten Zahlungen eignen sich für illegale Geschäfte. Und einmal ausgelöste Zahlungen können – anders als mit Kreditkarte oder Paypal – nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Während sich im legalen Markt die meisten Anbieter immer noch schwertun, Bitcoins zu akzeptieren, bewähren sie sich im Schwarzmarkt bestens. Im sogenannten Darknet zum Beispiel, einem Teil des Internets, in dem sich jeder nach der Installation einer speziellen Software anonym bewegen und auch Seiten einrichten kann, die über den normalen Internetbrowser nicht auffindbar sind. Im Darknet haben sich Handelsplattformen etabliert, auf denen Drogen und Waffen gehandelt und mit Bitcoins bezahlt werden.
Als das FBI im Oktober den Betreiber von Silk Road verhaftete, der für solche Geschäfte berüchtigten Plattform, froren die Behörden Bitcoins im Wert von heute 25 Millionen Dollar ein. Doch bereits einen Monat später funktionierte das lukrative Portal wieder wie zuvor.
Das Vorgehen des FBI zeigt noch etwas anderes. «Ich war damals unsicher, ob jetzt der Wechselkurs in den Keller fallen würde», sagt Luzius Meisser. Doch der Kurs knickte nur kurz ein und erholte sich innert Stunden wieder. «Das ist ein Hinweis, dass die Entwicklungen des Bitcoins nicht einfach durch Machenschaften auf dem Schwarzmarkt bestimmt werden.»
Ob sich die Währung auf dem regulären Markt je durchsetzen wird, ist dennoch fraglich. «Die klassischen Währungen und Zahlungsmethoden funktionieren in unseren Breitengraden einfach zu gut, als dass sich die Konsumenten auf ein zusätzliches System einlassen würden», sagt der Zürcher Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann. Eine Konkurrenz zu Kreditkartenfirmen und Banken sei zwar wünschenswert. «Der Leidensdruck ist aber zu klein. Ich sehe für den Bitcoin eher eine Nische für gewisse Auslandzahlungen oder vielleicht als Fluchtwährung in Staaten mit unsicheren Finanzplätzen.»
Für viele Bitcoiner wäre das unbefriedigend. Für sie bringt die Währung nicht nur Vorteile wie tiefere Gebühren oder schnellere Überweisungen, sie hat auch eine politische Bedeutung, als libertäres Projekt. Damit identifizieren sich Ultraliberale, aber auch anarchistische Kreise. Die grosse Klammer ist ihre starke Abneigung gegenüber Nationalbanken oder dem Staat überhaupt. Denn diese agierten als Erfüllungsgehilfen der Grossbanken. Ein Weltbild, in dem Start-up-Projekte und IT-Millionäre zweifellos ein höheres Ansehen haben.
Eine Hoffnung vieler Bitcoiner ruht jetzt auf Firmen wie Ebay oder Amazon. Ein Grosser könnte der Währung zum Durchbruch verhelfen. Bis dahin bleibt das Angebot in der Schweiz dünn: Gleitschirmflüge sind immerhin erhältlich – für akute Fälle auch ein Drogenentzug im Kanton Aargau.
Was sind Bitcoins?
Bitcoins sind virtuelle Geldeinheiten, mit denen sich international und meist gebührenfrei Überweisungen tätigen lassen. Dafür braucht es weder Banken noch Kreditkartenfirmen. Die Währung wird von keinem Staat herausgegeben, abgesichert oder über die Geldpolitik beeinflusst. Auf vielen Onlinebörsen ist sie aber gegen klassische Währungen eintauschbar. Bitcoins entstehen in einem dezentralen Computernetz über das Lösen komplexer Rechenaufgaben. Bitcoin-Teilnehmer können sich mit Rechenleistung als sogenannte Miner am «Schürfen» der Bitcoins beteiligen. Miner konkurrieren um neue Beträge, die etwa alle 10 Minuten ausgeschüttet werden. Die Anzahl Bitcoins ist auf 21 Millionen begrenzt. Aktuell sind 12,3 Millionen in Umlauf. Sind 21 Millionen Bitcoins geschürft, soll die Rechenleistung via Gebühren entschädigt werden.