Die SBB lenken teilweise ein
Der öffentliche Verkehr setzt alles auf eine Karte: den roten Swiss Pass. Er könnte zum ganz grossen Geschäft werden. Doch Knebelverträge provozieren bereits vor der Einführung.
aktualisiert am 23. April 2015 - 15:10 Uhr
Nachtrag vom 23. April 2015
Die SBB haben auf die Kritik der Konsumentenschützer reagiert – zumindest teilweise. Und auch wenn mit der Einführung des Swiss Pass die ungekündigten Abonnemente weiterhin automatisch verlängert werden. Wie das Unternehmen heute mitteilte, können Kunden beim Kauf eines Abonnements am Schalter eine Laufzeitbegrenzung verlangen. Zudem werden die Kunden zwei Monate vor Ablauf ihres Abonnements per Brief auf den möglichen Kündigungstermin aufmerksam gemacht. Die Kündigung kann dabei am Schalter, per Post, online oder per Telefon erfolgen.
Plastikkarten sind ein Übel. Sie lassen Portemonnaies bersten, obwohl nur schmales Geld drin ist. Eine Karte für den Zug, eine für das Geschäft, eine für die Krankenkasse, mehrere zum Zahlen, unzählige für Rabatte. Und wenn man eine zücken will, liegt sie doch zu Hause auf dem Schreibtisch.
Abhilfe kommt für einmal nicht aus dem Silicon Valley, sondern aus Bern. Dort hat der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) seine wahre Macht erkannt – und will sie auch ausspielen. Mit den SBB, Mobility, Publibike und einer wachsenden Anzahl Skigebiete im Schlepptau zieht der Swiss Pass ab dem 1. August in unser Portemonnaie.
Ab 2016 sollen über 20 Verkehrsverbünde folgen. Von der Zugfahrt bis zum Skibillett soll alles über die Karte abgewickelt werden. Doch das ist erst ein Anfang. «Wir sind offen für weitere Partner, auch solche, die nicht direkt mit Verkehr zu tun haben», sagt VöV-Direktor Ueli Stückelberger. Er erwähnt Veranstalter und Museen; Verhandlungen seien im Gang.
Mit den SBB als Zugpferd und einer ausbaubaren Partnerstrategie dürfte innert kürzester Zeit jeder Schweizer den Swiss Pass auf sich tragen. Das gibt wenig Anlass für Kritik.
Doch mit der Einführung der Karte sollen ÖV-Abos automatisch erneuert werden. Viele Kunden, die bisher nach Ablauf eines Abos eine Pause einlegten – bis die nächste grössere Reise anstand –, werden neu zu Durchzahlern, falls sie ihr Abo nicht rechtzeitig kündigen. Das spült Geld in die Kasse der Verkehrsbetriebe. «Eine automatische Verlängerung ist für uns akzeptabel, wenn sie der Kunde als Option wählen kann», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. Stückelberger weist darauf hin, dass Kunden ohne automatische Verlängerung in eine Falle laufen könnten, weil das Ablaufdatum für ein Abo nicht mehr auf der Karte aufgedruckt sei. Für den Automatismus spreche auch ein nachgewiesen grosses Bedürfnis. Bereits heute würden 60 Prozent der GA- und Halbtax-Kunden ihre Abos nahtlos erneuern. Anders betrachtet: 40 Prozent tun es nicht.
Für Sara Stalder ist daher unverständlich, weshalb der VöV eine Optionslösung fallengelassen hat. Bei einem Treffen im Januar habe er dies noch in Aussicht gestellt. Zudem ist umstritten, ob eine automatische Aboerneuerung rechtmässig ist. Das 2012 revidierte Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verbietet entsprechende Geschäftsbedingungen, wenn sie für Konsumenten ein ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen vertraglichen Rechten und Pflichten darstellen.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann hatte in der parlamentarischen Beratung ausdrücklich die automatische Verlängerung von befristeten Abos erwähnt. Konsumentenschützer und der Beobachter haben schon erfolgreich Telekomfirmen abgemahnt, die darauf ihre automatisch verlängerten Handyverträge abschafften. Mit ähnlichen Knebelverträgen arbeiten heute Fitnessklubs, die jetzt ebenfalls aufgefordert werden, ihre Geschäftsbedingungen anzupassen.
VöV-Chef Stückelberger relativiert das Problem mit der Aboerneuerung: «Wir setzen auf kulante Regelungen. Am Schalter, per Mail oder online kann ein Abo immer gekündigt werden. Vorerst wird sicher auch niemand betrieben, der sein Abo nicht gekündigt und die Rechnung doch nicht bezahlt hat.» Von «Kulanz» ist auch bei den SBB die Rede, das Wording scheint abgesprochen. Für Kunden ist Kulanz nett, aber unverbindlich. Sie kann erhofft, aber nicht eingefordert werden.
Konsumentenschützern genügt das nicht. «Falls der VöV keine bessere Lösung anbietet, sind für uns auch Klagen nicht ausgeschlossen», sagt Sara Stalder. Bis dahin: Wer ein Abo abschliesst, sollte es gleichzeitig kündigen, dann kann es nicht automatisch erneuert werden.
Was den Datenschutz betrifft, hat der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür nach einer Präsentation des Swiss Pass keinen Handlungsbedarf erkannt. Auf dem Chip der Karte wird ausser einer unpersönlichen Kunden- und Kartennummer nichts abgespeichert.
Abonnemente und andere gekaufte Dienstleistungen muss man über ein Lesegerät abrufen, das Zugang zu einer entsprechenden Datenbank hat. Die Daten werden nach neun Monaten gelöscht und laut VöV nicht an Dritte weitergegeben. Zugriff darauf haben angeschlossene Verkehrsunternehmen, die auch GA und Halbtax akzeptieren. Ein Problem mit dem Datenschutz entstünde, wenn in Zukunft auch Einzelbillette zwingend über den Swiss Pass gekauft werden müssten. Thür: «Es muss auch in Zukunft möglich sein, mit dem Zug zu reisen, ohne irgendwo gespeichert zu werden.»
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