«Wir dürfen Tierversuche nicht verstecken»
Viele Leute stellen sich unter Tierversuchen Schreckliches vor, sagt Sabine Gebhardt, Präsidentin der Tierversuchskommission des Kantons Freiburg. Ihr Mittel dagegen: Transparenz.
Veröffentlicht am 18. Juli 2019 - 18:09 Uhr
Beobachter: Ihre Kommission prüft die Gesuche, die für Tierversuche im Kanton Freiburg gestellt werden. Vertreten sind sowohl Wissenschaftler als auch Tierschützer. Werden die Debatten sehr emotional geführt?
Sabine Gebhardt: Nein, eigentlich kaum. In unserer Kommission diskutieren wir zwar sehr lange über die einzelnen Gesuche, aber meist sehr sachlich. Nur ganz selten kommt es vor, dass wir abstimmen müssen, weil wir uns nicht einig werden. Was man nicht vergessen darf: Tierversuch ist nicht gleich Tierversuch. Nicht immer geht es darum, die Resultate auf den Menschen zu übertragen. Ich persönlich führe Versuche an Legehennen durch, die den Tieren zugutekommen sollen. Mich interessiert beispielsweise: Wie müssen die Ställe gestaltet sein, damit die Hühner sich wohl fühlen und weniger Brustbeinfrakturen haben?
Wie kommt die Kommission zu Entscheiden?
Man darf sich nicht vorstellen, dass wir Anträge einfach annehmen oder ablehnen, also Daumen hoch oder Daumen runter. Wir gehen Punkt für Punkt durch, schauen, ob wir bei der Güterabwägung zum selben Schluss kommen wie die Antragstellenden. Ob die Belastung der Tiere gerechtfertigt ist durch einen überwiegenden Nutzen. Fast immer haben wir Rückfragen, fast immer müssen Forschende nachbessern und uns ein Gesuch ein zweites Mal vorlegen. Ist der Transponder zum Markieren der Tiere nicht zu schwer? Muss das Kaninchen tatsächlich in einem Einzelkäfig gehalten werden? Bei der Anästhesie sagt unsere Fachperson oft: Man sollte zusätzlich dies und das geben, oder die Dosierung der Schmerzmittel sollte man soundso ändern. Oder dann sagt unsere Fachperson für Statistik: Bei dieser Tierzahl sind gar keine aussagekräftigen Resultate möglich, die Anzahl Versuchstiere sollte erhöht oder verringert werden.
Wird das Leiden eines Affen stärker gewichtet als das einer Maus?
Eigentlich sollte Tier gleich Tier sein. Jedes Tier ist wertvoll und hat eine Würde. Aber natürlich gibt es Unterschiede. Niemand macht Versuche an Affen, wenn man andere Tiere einsetzen kann, allein schon wegen der Kosten. Und werden bei einem Versuch mit Makaken vielleicht zwei bis fünf Tiere eingesetzt, sind es bei Mäusen schnell einmal mehrere hundert. Wichtig sind die biologischen Grundlagen. Also: Was ist tatsächlich die Belastung fürs Tier? Ein Affe ist uns viel näher als eine Maus, er empfindet wohl auch ähnlich wie wir. Weil ihm vieles bewusst ist, ist ein Affe viel schneller und schwerer belastet als eine Maus. Dem müssen wir Rechnung tragen. Doch auch an der Maus dürfen wir einen Versuch nur dann durchführen, wenn der Nutzen grösser ist als die Belastung des Tiers.
«Wenn wir schon Tiere einsetzen, müssen wir sie auch anständig behandeln.»
Sabine Gebhardt, Präsidentin der Tierversuchskommission des Kantons Freiburg
Dürfen Forschende beliebig viele Mäuse schweren Belastungen aussetzen, wenn sie sich ein bisschen mehr Verständnis einer schweren Krankheit wie Krebs oder Alzheimer versprechen?
Nein, auch bei schweren Krankheiten gibt es keinen Freibrief für Tierversuche. Krebsforschung muss übrigens nicht zwingend Schweregrad 3 sein – ich hatte bislang erst Gesuche mit Schweregrad 2 auf dem Tisch. Ganz wichtig: Bei jedem Versuch müssen konkrete Abbruchkriterien definiert sein. Also wann nimmt man ein Tier aus dem Versuch, weil sein Leiden zu gross wird und nicht mehr gerechtfertigt werden kann? Man wartet nicht einfach ab, bis eine Maus an ihrem Krebs stirbt, sondern schläfert sie ein, wenn sie nicht mehr frisst oder der Tumor eine bestimmte Grösse erreicht.
Viele Forschende wollen sich nicht öffentlich über ihre Versuche äussern. Sie befürchten, dass sie die Zielscheibe radikaler Tierschützer werden.
Auch Landwirte haben manchmal das Problem, dass Tierschützer bei ihnen einbrechen und ihre Hühnerställe
fotografieren. Gegen solche Einbrüche gibt es ein einfaches Mittel: die Türen aufmachen. Viele Leute mögen Tiere und stellen sich Schreckliches vor, wenn sie das Wort Tierversuche hören. Verkabelte Mäuse oder Affen, denen Drähte aus dem Kopf hängen. Wir müssen zeigen, wie wir unsere Tiere halten, erklären,
wie und weshalb wir Versuche durchführen. Wenn wir an Tieren forschen wollen, dürfen wir diese Versuche nicht verstecken.
Was halten Sie von den Initiativen, die Versuche mit Tieren ganz oder teilweise verbieten wollen?
Ich persönlich habe etwas Mühe damit, denn sie sind nicht ganz ehrlich. Die allermeisten möchten dann eben doch Medikamente verwenden, wenn sie krank sind. Und Schweregrad 3 ganz zu verhindern, wie das die eine Initiative will, ist praktisch unmöglich – nur schon weil jedes Tier, das während eines Versuchs stirbt, nachträglich als Schweregrad 3 in die Statistik aufgenommen wird, weil es möglicherweise gelitten hat.
Reichen unsere heutigen Gesetze aus?
Verbessern kann man immer. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die geltenden Vorgaben auch wirklich eingehalten werden. Es braucht Kontrollen. Wir dürfen nicht stehenbleiben, sondern müssen uns verbessern. Ein Beispiel: Bei einem Versuch in Zollikofen BE mussten wir unseren Kaninchen alle zwei Tage Blut abnehmen. Von der Spritze kriegen sie Hämatome. Um das zu verhindern, haben wir aus Deutschland spezielle blutsaugende Wanzen bestellt. Deren Rüssel ist dünner als die spitzeste Nadel. Ich habe das zuerst an meinem Finger ausprobiert und den Stich gar nicht gespürt. So bekam also jedes Kaninchen einfach einen Kragen mit einer Wanze drin umgebunden, und wir entnahmen dann das Blut den Wanzen. Wenn wir schon Versuchstiere einsetzen, um Krankheiten zu verstehen oder Medikamente zu entwickeln, dann müssen wir sie auch anständig behandeln.
Zur Person
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Verbot aller Tier- und Menschenversuche
Im März wurde die eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» eingereicht. Die Initiative fordert ein vollständiges Verbot von Versuchen an Tieren und Menschen sowie ein Verbot von Handel, Einfuhr und Ausfuhr von Produkten, für die direkt oder indirekt Tierversuche durchgeführt wurden.
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Verbot von belastenden Tierversuchen
Nationalrätin Maya Graf (Grüne) verlangt in einer parlamentarischen Initiative, dass «schwere Belastungen für Tiere zu Versuchszwecken» im Tierschutzgesetz verboten werden, also alle Tierversuche des Schweregrads 3. Darunter fallen Versuche, in denen Tiere tödlich verlaufenden Krebs- oder Infektionskrankheiten ausgesetzt werden, oder toxikologische Tests, in denen die Giftigkeit von Stoffen mit Hilfe lebender Versuchstiere ermittelt wird.
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Grundrechte für Primaten in Basel-Stadt
Der Verein Sentience Politics fordert in einer Volksinitiative, dass in der Kantonsverfassung die Grundrechte auf Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit für nichtmenschliche Primaten verankert werden. Die Initiative zielt gegen die biomedizinische Forschung mit Primaten, die aufgrund ihrer grossen biologischen Ähnlichkeit mit dem Menschen als Versuchstiere eingesetzt werden.
Die Belastung von Versuchstieren wird in vier Kategorien eingeteilt. Entscheidend ist, ob sich das Tier unwohl fühlt, ob ihm Schmerzen oder Schaden zugefügt werden, ob es leidet oder verängstigt wird. Je nach Tierart wird strenger bewertet. Eine Auswahl an Beispielen.
Schweregrad 0
keine Belastung
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Beobachtungs- und Orientierungsstudien: etwa das Beobachten von Fischen in einem Labyrinth
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Entnahme von Speichel, Urin und teilweise auch Blut
Schweregrad 1
leichte Belastung
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kleinere chirurgische Eingriffe unter Betäubung: etwa Hautbiopsien oder Sterilisation bei Mäusen
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Einzelhaltung gilt als leichte Belastung
Schweregrad 2
mittlere Belastung
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elektrische Stimulation von Tieren auf dem Laufband, ohne Überanstrengung
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Therapie von gentechnisch erzeugten Krankheiten (etwa Diabetes)
Schweregrad 3
schwere Belastung
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Verpflanzung von Tumoren in Tiere
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Transplantationen lebensnotwendiger Organe: etwa eine Nierentransplantation, durch die das Tier sterben könnte
8 Kommentare
"Tierversuche - egal welcher Art", sind ein klarer Missbrauch und Verstoss gegen die Freiheit/Selbstbestimmung dieser Spezies! Kein Mensch auf dieser Welt, hat das Recht, sich an andern Lebewesen zu vergehen!!
Egal wer, egal mit welchem Titel jemand - homo sapiens - ausgestattet ist, hat das Recht über Tier-Leben - Recht- Forschungs-Versuche-Leid zu entscheiden! Egal wofür auch immer! Wenn Menschen sich aus ärztlicher Sicht, sich um das echte essentielle Wohl anderer Menschen kümmern, kümmern wollen, dann ist das ein rein "menschliches Problem"! Niemand auf dieser Welt, hat das Recht, sich an andern Lebewesen (Tieren) zu vergreifen - egal aus welche Gründen -! Viele Krankheiten der Menschen, sind selber produziert, da muss man nicht noch an Tieren herum experimentieren! Sinn machend wäre, wenn "Mensch" sich endlich um die "Ursachen-Verursachungen" von Krankheiten kümmern würden! Die Menschheit vergiftet, verstrahlt, zerstört nicht nur die eigene Lebensgrundlage (Ökosystem - Umwelt), sondern damit auch gleich noch sich selbst!
Selbsterkenntnis und effektives, verbesserndes, sorgsames Handeln gegenüber ERDE, WASSER, TIER und damit auch sich selber, dem MENSCHEN!
Welcher Mensch (homo sapiens), hat/nimmt sich, das Recht, über Versuche an Tieren in - egal welchem - Forschungslabors, etc, entscheiden zu dürfen/können?
5. Von den tausenden von Medikamenten, welche auf dem Markt sind, sind viele unnütz, etliche gefährlich. Jedes Jahr müssen Medikamente vom Markt genommen werden, obwohl Tier- und Menschenversuche stattgefunden haben, weil bei der Anwendung am Patienten, dermassen krasse Nebenwirkungen auftreten, dass das Wundermittel auch für den abgebrühtesten Hersteller nicht mehr tragbar ist.
6. Bei den meisten Kommissionen geht es offenbar gar nicht darum – echte Alternativen zu Tierversuchen vorzuschlagen – es geht „nur“ um die Tierhaltung. In Anbetracht der Ergebnisse ist das in meinen Augen blanker Hohn!
7. Dass bei den Schweregradeinteilungen – Entnahme von Speichel, Urin und teilweise auch Blut keine Belastung darstellen soll, zeigt sehr gut, wie haarsträubend die Einteilungen überhaupt sind.
8. 3R (reduce, refine, replace) wird schon seit über 60 Jahren propagiert – die Zahl der Tierversuche blieb während der letzten 20 Jahre gleich hoch. Refine heisst dabei offenbar – dass dieselben abstrusen Forschungen mit zarteren Nadeln vorgenommen werden. Doch wir brauchen einen vollständigen Ersatz für dieses defekte System.