Antiautoritär gärtnern – so gelingts
«Antiautoritäres Gärtnern» liegt im Trend. Tönt nach wenig Arbeit – doch Kathrin Fritz weiss aus zwanzigjähriger Erfahrung, dass es komplizierter ist.
Auf dem Küchentisch lag ein Buch mit dem Titel «Der antiautoritäre Garten. Gärten, die sich selbst gestalten». Endlich!, dachte ich. Das bedeutet mehr Zeit, die mein Mann und ich am Wochenende zusammen verbringen können. Denn seit er das Gärtnern entdeckt hat, bin meist nur ich parat für einen Apéro. Von ihm ist hinten beim Zaun lediglich der Hosenboden zu sehen, der Kopf steckt in einem Strauch.
Ich schlug das Buch auf, blätterte darin und erschrak: «Der Gärtner sollte zunächst in eine Interaktion mit dem Garten gehen», schreibt die Autorin Simone Kern. Und weiter: «Stärker noch als in einem klassischen Garten müssen wir hier genau beobachten, welche Pflanzen sich an welchen Plätzen besonders wohl fühlen und überlegen, wie wir diese Arten fördern können».
Von nun an studierte mein Mann jedes Gewächs mit Akribie. Pflanzen, die wegen der nachmittäglichen Vollsonne am Verdursten waren, bekamen ein Schattenplätzchen. Für Vögel und Insekten setzte er Wildblumenziegel und Liguster. Und den Rasen vor dem Haus stach er um und pflanzte ein selbst versamendes Blumenmeer.
Nach zwei Jahren umgraben, ansäen, anpflanzen, wachsen lassen und nur dann eingreifen, wenn eine Pflanze zu wuchern beginnt, hat sich der Fleck Land zu einer Bienen- und Insektenweide gemausert, zu einem kleinen antiautoritären Garten. «Ein Paradies», sagt die Nachbarin, die von ihrer Küche aus freien Blick auf den Wildwuchs hat.
Gedeihen lassen
Ein Paradieschen verglichen mit dem Garten Eden, den Kathrin Fritz am Stadtrand von Winterthur um ihr Haus angelegt hat: Auf 1,3 Hektaren ranken statt des Efeus, der dem Verputz zusetzt, ein Spalier-Kiwibaum und eine Trompetenpflanze. Davor blühen im Beet, das von Rosmarin gerahmt wird, Rosen. Ihren Duft haben Kathrin Fritz und ihre Frau abends in der Nase, wenn sie für einen Schlummertrunk vor dem Haus sitzen. Auf dem Kiesplatz, den sie von hier aus überblicken, steht ein Pingpong-Tisch – mitten in den Blumen. Vom Kies ist nicht mehr viel zu sehen.
Purpurrote Kronenlichtnelken wachsen zwischen den Steinchen. Kathrin Fritz lässt sie gedeihen; wenn sie Samen tragen erntet sie die und sät sie im Blumengarten wieder aus. Neben den Kronenlichtnelken spriessen Beinwell und Schafgarbe, beide sind wild im Kies gewachsen und vermehren sich stark. Das machen auch der Frauenmantel, eine Heilpflanze, und die Königskerze, die Fritz hier gesetzt hat. Als letztere sich versamte, blies der Wind die Samen in entlegene Ecken, und auch die Terrierdame Molly half kräftig mit, die Königskerzen zu verbreiten. Auf ihren Streifzügen durch den Garten trug sie die Samen in ihrem Fell mal hierhin und dorthin.
Vor 20 Jahren legte Katrin Fritz den Garten an. Der Boden rund ums Haus ist lehmig und schwer, an heissen Tagen trocknet er schnell aus. Deshalb pflanzte sie dort, wo kein Gras wächst, überall etwas an: Beeren und Kräuter, Rosen, Lilien, Tulpen, Alant und die Obstbäume. Der Rest, gut die Hälfte aller Gewächse, spross von alleine. Ein paar wenige Pflanzen wie der Kiwibaum und der Alant sind nicht einheimisch, fallen aber nicht durch raumgreifendes Wachstum negativ auf.
Katrin Fritz gestaltet Gartenräume, die in sich eine Einheit bilden. Für die Blumen, die Kräuter, das Gemüse. Bei den Tomaten macht sie eine Ausnahme. Sie setzt sie zusammen mit Kapuzinerkresse, Ringelblumen und Baumspinat ins gleiche Beet, «so trocknen die Tomaten weniger aus», sagt sie. Innerhalb der Räume lässt sie die Pflanzen wachsen, wie sie wollen. Sich selbst überlassen werden sie aber nicht. Beginnt eine auf Kosten der anderen zu wuchern, stutzt sie sie zurecht oder pflanzt sie um. Manche hauen vorher ab. Der Beifuss zum Beispiel, er gedeiht jedes Jahr an einem neuen Ort.
Lästige Gäste
Das ist es denn auch, was den antiautoritären Garten von anderen Gärten unterscheidet: Er ist immer wieder anders. Je nachdem, welche Pflanzen aus Wurzelausläufern wachsen, welche Samen ein Vogel oder der Wind hergetragen haben.
Morgen für Morgen geht Kathrin Fritz auf einen Rundgang und beobachtet, was wo wächst. Und ob es Neuzuzüger gibt. Unerbetene, wie den Giersch, reisst sie aus. «Hat man den mal im Garten, wird man ihn fast nicht mehr los». Die Brombeeren diszipliniert sie mit der Gartenschere. Werden sie nicht in die Schranken gewiesen, überwachsen sie rundherum alles. Wie die Naturwiese, die sie um den Gemüsegarten angepflanzt hat. Die kontrolliert sie streng: «Wenn ich nicht aufpasse, erobert sie das Gemüse».
«Viel weniger Arbeit als ein aufgeräumter Garten mit schnurgeraden Beeten macht mein Garten nicht.»
Kathrin Fritz
Für die Tierwelt stapelt sie an der Grenze zum Nachbarhaus Holz. «Hier leben Igel und Insekten», sagt sie. Daneben, eingehagt, verrotten Rosen- und Tomatenschnittgut, ein Tummelplatz für Wildbienen.
Zählt sie die Stunden zusammen, die sie im Garten werkt, kommt sie auf einen Tag pro Woche. «Viel weniger Arbeit als ein aufgeräumter Garten mit schnurgeraden Beeten macht mein Garten nicht», sagt sie. Mit einer Ausnahme: Im Sommer muss sie kaum giessen, «weil sich all die Pflanzen, die von selbst gewachsen sind, den Standort gesucht haben, der für sie ideal ist.» Zuschauen, wie alles wächst, wie sich der Garten jedes Jahr verändert, erfüllt die antiautoritär erzogene Tochter einer Gärtnersfamilie mit Zufriedenheit. Sie sagt: «Mein Garten ist für mich Glück.»
Ob er das auch für meinen Mann ist, wage ich ihn gar nicht zu fragen. Sollte die Antwort Ja lauten, werde ich wohl auch im kommenden Sommer den Apéro allein trinken müssen.
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Boden und Standort analysieren
Ist der Boden eher schwer, lehmig, sonnig oder schattig? Je nach dem passende Pflanzen aussuchen. Hilfe bei der Pflanzenwahl gibt’s unter floretia.ch.
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Experimentieren mit Saatgut
Direkt am Haus Stockrosensamen auswerfen, am Rand von gut besonnten Kieswegen versamende Pflanzen und in Mauerritzen Mauerpfeffer-Sprossen setzen und schauen, was gedeiht.
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Ausdünnen bestehender Staudenbeete
In die entstandenen Lücken werden gut versamende Pflanzen gesetzt – und Blühmischungen mit einheimischen Pflanzen. Letztere eventuell in einem Saatbeet vorziehen.
Manche Pflanzen sind selbst im antiautoritären Garten unerwünscht. Weil sie andere verdrängen und, einmal im Garten etabliert, kaum mehr wegzubringen sind. Dazu gehören auch folgende fünf Landstreicher:
Ackerkratzdistel
Zaunwinde
Kriechender Hahnenfuss
Ambrosia
Wiesenblacke
- Simone Kern, «Der antiautoritäre Garten. Gärten, die sich selbst gestalten», Kosmos Verlag, ca. 30 Fr.
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