«Die Vermieter ziehen die Schraube an»
Die Schlichtungsbehörden müssen immer öfter Streit zwischen Mietern und Vermietern klären. Für Mieterpräsident Carlo Sommaruga ist klar: Das liegt auch an der Gier der Vermieter.
Veröffentlicht am 11. Mai 2023 - 10:48 Uhr
Herr Sommaruga, wie interpretieren Sie als Präsident des Mieterverbands den Anstieg der Schlichtungsverfahren?
Eine wichtige Ursache ist sicher, dass die Vermieter die Schraube anziehen. Sie versuchen, Mieterinnen und Mieter rauszuwerfen
, die in eher günstigen Wohnungen leben. So können sie bei der Neuvermietung die Miete und ihre Renditen noch stärker erhöhen. Das ist stossend. Bereits jetzt sind viele Mieten missbräuchlich hoch.
Ab wann ist eine Miete missbräuchlich?
Gemäss Bundesgericht dürfen Eigentümer mit der Vermietung von Wohnungen Renditen erzielen, die maximal 2 Prozent höher liegen als der Referenzzinssatz. Wenn die Rendite höher ist, gilt sie als missbräuchlich. Mit dem aktuellen Referenzzinssatz von 1,25 Prozent wären also Renditen von maximal 3,25 Prozent erlaubt. Diverse Untersuchungen zeigen aber, dass die tatsächlich erzielten Renditen viel höher sind.
Zur Person
Der Genfer SP-Ständerat und Rechtsanwalt Carlo Sommaruga ist seit 2016 Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands.
Was kann ich als Mieter dagegen unternehmen, ohne zu riskieren, gleich eine neue Wohnung suchen zu müssen?
Ich möchte alle Mieterinnen und Mieter ermuntern, von ihrem gesetzlichen Recht
Gebrauch zu machen und im Zweifelsfall die Anfangsmiete anzufechten. Das wird noch viel zu wenig gemacht. Wir Schweizer machen das zwar nicht gern, weil wir glauben, es verstosse gegen den juristischen Grundsatz des pacta sunt servanda, dass also Verträge einzuhalten seien.
Gilt dieser Grundsatz im Mietrecht denn nicht?
Dieses Recht
wurde ausdrücklich dazu geschaffen, missbräuchliche Mieten zu bekämpfen. In Bundesgerichtsurteilen sieht man immer wieder, dass Mieter mit der Anfechtung bis mehrere Hundert Franken pro Monat gespart haben. Das summiert sich über die Jahre. Hinzu kommt: Wer die Anfangsmiete gerichtlich überprüfen lässt, tut auch etwas für die Allgemeinheit, weil er dazu beiträgt, den Anstieg der Mieten zu bremsen.
Viele haben Angst, sich mit dem Vermieter anzulegen, weil sie negative Konsequenzen fürchten.
Diese Angst ist unbegründet. Wer gegen seinen Vermieter ein Verfahren führt, geniesst einen Kündigungsschutz. Unsere Erfahrungen beim Mieterverband zeigen, dass Rachekündigungen
extrem selten sind. Kurz gesagt: Wer seine Miete anficht, hat viel zu gewinnen, aber sehr wenig zu verlieren.
Sind renditeorientierte Vermieter die einzige Ursache für die steigende Anzahl Schlichtungsverfahren?
Nein, es gibt einen weiteren Effekt. Vor allem die institutionellen Anleger wie etwa Pensionskassen schlossen vor der Jahrtausendwende häufig Mietverträge ab, deren Mieten nicht an den Referenzzinssatz, sondern nur an die Inflation gebunden waren. Sie wollten damit Zinsrisiken vermeiden. Nach Jahren mit tiefer Inflation zieht diese nun stark an. Das führt zu Mieterhöhungen bei Verträgen dieses Typs und damit zu mehr Schlichtungsanträgen. Auch Sanierungen sind ein beliebtes Mittel, um danach Miete und Rendite zu erhöhen.
Wie will der Mieterverband dafür sorgen, dass die Mieten für die Mehrheit der Bevölkerung zahlbar bleiben?
Wir prüfen die Lancierung einer Initiative. Sie verlangt, dass alle Mieten automatisch vom Staat geprüft werden. So kämen Mieterinnen und Mieter leichter zu ihrem Recht.
Schlichtungsverfahren: Kündigungen und Geldforderungen sind die häufigsten Gründe
Im zweiten Halbjahr 2022 sind gemäss dem Bundesamt für Wohnungswesen 12’300 Schlichtungsverfahren im Miet- und Pachtwesen eingeleitet worden. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 sind dies rund 6 Prozent mehr. Die Auswertung der Gründe bei den erledigten Verfahren zeigt, dass die ordentliche Vertragskündigung mit 16,3 Prozent sowie die Forderung auf Zahlung mit 14,8 Prozent am häufigsten zu einem Schlichtungsverfahren führen.
1 Kommentar
Stimmt. So gesehen, sind es Banken und Pensionskassen die empfohlen und immer noch empfehlen, in Immobilien zu investieren. Da sind einige die fett, aber wirklich fett verdienen. Kanton wie Gemeinden müssten vermehrt Wohnraum kaufen und quasi Dumping betreiben. Es kann doch nicht sein, dass ein Grossteil des Ersparten in Wohnraum verloren geht. Es ist auch kontraproduktiv. Die Bevölkerung würde das so gesparte Geld in andere Zweige einfliessen lassen. Neue Heizung, Weiterbildung, Garten, Konzert egal.. so verdienen nun solche die vorzu Immobilien kaufen. Weiter müsste schweizweit gleich AirBnB auf 90 Tage Vermietung oder gar weniger gedeckelt werden. Da wird extra abgerissen, neu gebaut und dann gleich umgezont in touristische Beherbergung, s. Interlaken, Anzeiger von Interlaken konsultieren.... ) AirBnB ist Gift für die Schweiz, weil wir eh wenig Land zur Verfügung haben.