Schlieren bangt. Die Sorge gilt einer mächtigen Blutbuche, die im Winter verpflanzt wurde. Ihr früherer Standort, an dem sie 80 Jahre lang gelebt hatte, wird gerade zum Stadtplatz umgestaltet. Die Buche störte.

Fast 5000 Schlieremer hatten gefordert, den todgeweihten Baum zu retten. Weil die Wurzeln am neuen Ort noch nicht richtig ausschlagen, stellen jetzt Sonden im Erdreich die Wasserzufuhr sicher. «Lueged em guet!», ruft Barbara Meyer den Gärtnern zu. Meyer ist die Stadtentwicklerin von Schlieren ZH und kümmert sich darum, dass alles hier einen Platz findet – sogar eine alte Buche.

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Der Baum ist das Symbol eines Totalumbaus. Die Zürcher Agglomerationsgemeinde hat sich im letzten Jahrzehnt neu erfunden, sie wandelt sich vom verlebten Industrieort zur gefragten Wohnstadt. Die Einwohnerzahl ist um fast einen Drittel auf 18'700 gestiegen. Das macht Schlieren zu einem der am schnellsten wachsenden Orte der Schweiz – und zu einem Vorzeigebeispiel im Kampf gegen die Zersiedelung. Denn für die vielen Neuzuzüger wurde kein zusätzliches freies Land überbaut.

Der Befund ist alarmierend

Schweizweit passiert genau das Gegenteil. Da wächst das Siedlungsgebiet schnell und erst noch verzettelt – das Resultat ist Zersiedelung. Deren Grad hat sich seit 1950 mehr als verdoppelt, wie die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) gemessen hat. Ihr Befund: «Alarmierend!»

Die Folge dieses Wucherns ist eine zerstückelte, stark verstädterte Landschaft Wohnen Sehnsucht nach der Dorfidylle mit immer weniger Freiflächen. Vor allem im Mittelland ist eine konturlose Endlos-Agglomeration entstanden, in der die Ortsgrenzen kaum mehr ersichtlich sind. Das ist nicht bloss fürs Auge unschön, sondern verschlingt auch einen Haufen Geld: Je stärker die Zersiedelung, umso höher die Kosten für die Erschliessung mit Strassen, Wasser und Energie.

Die Schweiz als Flickenteppich

Zersiedelung in der Schweiz seit 1960

Wie sich die Zersiedelung in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.

Quelle: Schwick, Jaeger, Hersperger u.a. – Infografik: Anne Seeger

Die Siedlungsfläche wächst schneller als die Bevölkerung. Das zeigt: Das Phänomen hat viel mit dem Anspruchsdenken zu tun, in einem Land, in dem es den Leuten gutgeht. «Wir haben genau so viel Wohnraum, wie wir uns leisten können», sagt Benedikt Loderer, Architekt und scharfzüngiger Kritiker des verschwenderischen Umgangs mit dem begrenzten Gut Boden. «Wir sind zu reinen Konsumenten der Natur geworden. Alles, was wir damit noch machen, ist Rasen mähen».

Mitunter passiert nicht einmal das. Denn es gibt hierzulande 7200 Einfamilienhäuser, in denen niemand wohnt, dazu über 70'000 leerstehende Wohnungen – Tendenz steigend Immobilienmarkt Das läuft auf dem Wohnungsmarkt schief . In einigen Regionen, ausgeprägt etwa in den Kantonen Aargau und Solothurn, wird ohne Nachfrage auf Teufel komm raus gebaut und Kulturland verbraucht.

Wofür wird immer mehr bzw. immer weniger Fläche verwendet?

Bodennutzung in der Schweiz

Häuser statt Äcker: Wie der Boden genutzt wird, verändert sich rasant. (Darstellung in Fussballfeldern pro Tag). Die Grafik zeigt den durchschnittlichen Bodennutzungswandel von 1985 bis 2009.

Quelle: BFS – Infografik: Anne Seeger und Andrea Klaiber

Immerhin: Es mehren sich die Anzeichen, dass die Bevölkerung genug hat von der Übermöblierung des Landes. So lässt sich die Annahme der Zweitwohnungsinitiative Zweitwohnungsinitiative Wird sie überhaupt umgesetzt? von 2012 verstehen. Im Jahr darauf fand auch die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) an der Urne souverän eine Mehrheit. Ihr Motto: «Zersiedelung bremsen.» Mit der Zersiedelungsinitiative steht bereits die nächste Volksbefragung zum Thema an; abgestimmt werden dürfte 2019. Die Jungen Grünen wollen mit der Initiative die Bauzonen auf dem heutigen Stand einfrieren.

Was das Schräubeln an der momentanen Situation schwierig macht, ist eine Altlast aus der raumplanerischen Frühzeit. Ausgehend von fortschrittsgläubigen Wachstumsprognosen in den sechziger Jahren, hat man viel zu grosszügig Bauzonen auf Vorrat geschaffen. Das revidierte Raumplanungsgesetz Raumplanung So tricksen die Baubehörden soll Gegensteuer geben. Bald darf nur noch so viel neues Bauland eingezont werden, wie voraussichtlich innerhalb von 15 Jahren nachgefragt werden wird. Übergrosse Baugebiete müssen reduziert werden.

Beispiel Schlieren ZH – Der Kampf der Schlieremer

Gemeindetypus

Vorort der Stadt Zürich, hat sich vom Standort grosser Industriebetriebe zur Wohn- und Technologiestadt gewandelt
 

Einwohnerzahl

18'700
 

Gemeindefläche

6,6 km2; davon 3,5 km2 Siedlungsfläche (53%)
 

Rezept gegen die Zersiedelung

Siedlungsentwicklung nach innen durch Überbauung grosser Industriebrachen; Verdichtung in den bestehenden Bauzonen

Glücklich, wer das schon hinter sich hat – Orte wie Schlieren. Bei der Besichtigung zückt Stadtentwicklerin Barbara Meyer eine angegraute Broschüre. Sie dokumentiert den «Kampf um den Schlierenberg», eine 1971 lancierte Bürgerbewegung für die Freihaltung dieses Erholungsgebiets. Daraus entwickelte sich die schweizweit erste Grünplanung. «Einmalig war: Man schaute ein ganzes Gebiet übergreifend an, nicht nur einzelne Punkte», sagt Meyer. Der Effekt dieser Gesamtschau blieb nicht aus. Etliche Landstücke an den Rändern des Siedlungsgebiets, die als Bauzonen ausgeschieden waren, wurden bis 1985 zurückgezont. Sie sind bis heute grün geblieben.

Das ist lange her, doch die Massnahme wirkt nach: Wenn die Bauzonen nicht weiter ausgedehnt werden können, steigt der Druck, die bereits vorhandenen cleverer zu nutzen.

In Schlieren war die Ausgangslage dafür günstig. Der Niedergang der Industrie hinterliess um die Jahrtausendwende grosse Brachen an bester Verkehrslage – sogenannte Brown Fields: der Stoff, aus dem die Träume einer Stadtentwicklerin sind. «Damals hat noch niemand von Innenverdichtung geredet», sagt Meyer, die vor zwölf Jahren ihre Stelle antrat. «Für Schlieren war es die beste Chance für ein nachhaltiges Wachstum.» Das Potenzial, das sich damit eröffnete, wurde 2005 festgeschrieben in einem Stadtentwicklungskonzept, das im Geist der früheren Grünplanung entstanden war: wieder mit dem Blick aufs Ganze, erneut unter Einbezug der Bevölkerung.

Grüne Flächen lockern das Quartier auf

Barbara Meyer, Stadtentwicklerin von Schlieren ZH

Barbara Meyer, Stadtentwicklerin von Schlieren ZH.

Quelle: David Wagnières

Meyer würde jeder Gemeinde ein solches räumliches Leitbild empfehlen. Damit solche Konzepte nicht zu Papiertigern verkommen, müssten jedoch drei Bedingungen erfüllt sein. Es brauche den Rückhalt der Politik. Das Konzept müsse einen konkreten Massnahmenplan enthalten. «Und es braucht jemanden, der sich darum kümmert, mit Kompetenzen und einem Budget.»

In Schlieren ist Meyer diese Schlüsselperson – auch wenn sie ihre Rolle nicht in den Vordergrund rücken mag, sondern die Teamarbeit ins Zentrum stellt. «Ich habe bloss die To-do-Liste abgearbeitet», sagt die 47-Jährige.

Was daraus geworden ist, sieht man auf einem längeren Fussmarsch. Beidseits der Bahnlinie durchs Limmattal stehen auf den Arealen früherer Fabriken kompakte Wohnsiedlungen, durchzogen von öffentlichen Wegen und gespickt mit Freiraum zur gemeinschaftlichen Nutzung. Diese Flächen lockern das dicht gebaute Quartier auf und ermöglichen Begegnungen. «Die Menschen müssen die Räume zwischen den Baukörpern bespielen können», sagt Meyer – dabei dringt bei der Architektin ihre Zweitausbildung als Bühnenbildnerin durch.

2016 trat die Schlieremer Stadtentwicklung in die Phase zwei. Seit die Industriebrachen bebaut sind, geht es um die Verdichtung im Bestand. Das heisst: Besonders im Umkreis des öffentlichen Verkehrs sollen bestehende Überbauungen durch neue Gebäude mit einer höheren Ausnützung ersetzt werden. Zur Hochhausstadt soll Schlieren aber nicht werden, betont Stadtentwicklerin Meyer. «Dichte braucht nicht zwingend Höhe.» Eher sollen vermehrt Gestaltungspläne zum Zug kommen.

Den Bestand zu verdichten ist viel komplizierter, als leere Brown Fields zu überbauen. Denn es leben Menschen dort, die fürchten, dem Neuen weichen zu müssen. Barbara Meyer macht keinen Hehl daraus: «Aufwertung ist immer auch ein Stück weit Verdrängung. Wir müssen deshalb genau anschauen, wo wir verdichten und wo wir es bleibenlassen.» Ein Stück des alten, rauen, unperfekten Schlieren soll bleiben.

Zersiedelung als Formel

Kümmerer wie Barbara Meyer, die sich der räumlichen Entwicklung einer Gemeinde verschreiben: Sie sind einer der Erfolgsfaktoren, wenn es um die Bekämpfung der Zersiedelung geht, sagt Anna Hersperger von der Forschungsanstalt WSL. Denn ein Einheitsrezept gebe es nicht. Gefragt seien vielmehr Nähe und Zeit. «Man muss mit den Gegebenheiten gut vertraut sein, um die sich bietenden Möglichkeiten zu erkennen.»

Hersperger ist überzeugt, dass das vorhandene Instrumentarium ausreicht, um die Raumentwicklung in die gewünschten Bahnen zu lenken. «Aber Politik und Verwaltung müssen das auch wirklich wollen.»

Der Tatbeweis ist bislang aber nur dürftig erbracht. Von den gut 2200 Schweizer Gemeinden schafften es zwischen 1990 und 2010 lediglich 37, die Zersiedelung einzudämmen. Das hat eine Analyse der WSL ergeben.

Diese 3 Faktoren führen zu Zersiedelung

Faktoren für Zersiedelung

Quelle: Schwick, Jaeger, Hersperger u.a. – Infografik: Anne Seeger

Ein Grund für die bescheidene Bilanz: Zersiedelung war lange eher ein gefühlter Eindruck als ein harter Fakt. Eine neu entwickelte Formel ermöglicht es nun aber, das Ausmass präzise zu beziffern. Sie berücksichtigt drei Komponenten, mit denen sich das Ausmass der Zersiedelung bestimmen lässt: die Grösse der Siedlungsfläche, deren räumliche Streuung und der Flächenbedarf durch Einwohner und Arbeitsplätze.

Diese Methode müsse künftig als fester Bestandteil des raumplanerischen Werkzeugkastens eingesetzt werden, fordert Anna Hersperger. Damit liesse sich schon in der Planungsphase abschätzen, wie sich jede Veränderung des Siedlungsgebiets punkto Zersiedelung auswirkt. «Messen allein reicht nicht», sagt sie. «Es braucht Grenzwerte, wie sie bei Luft oder Lärm längst üblich sind.»

Mit der konsequenten Anwendung von Grenzwerten liesse sich das Ziel, die existierenden Bauzonen besser zu nutzen, wirksam unterstützen, glaubt die Forscherin. Sie hat auch schon ein Beispiel durchgerechnet. «Bis 2060 könnte man in der Schweiz über 60'000 Hektaren Kulturland vor der Umwandlung in Siedlungsfläche schützen.»

Beispiel Nyon VD – Die ökonomische Vision

Gemeindetypus 

Kleinstadt zwischen Lausanne und Genf
 

Einwohnerzahl 

21'000
 

Gemeindefläche

6,8 km2; davon 3,3 km2 Siedlungsfläche (49%)
 

Rezept gegen die Zersiedelung

Planung von ganzen Quartieren, aktive Bodenpolitik mit Landkäufen; Raum für Gewerbe und Arbeitsplätze; gemischte Überbauungen statt Einfamilienhäuser

Espero Berta hat das bereits getan. Wenn er sein Werk zeigen will, fährt er von der Autobahnausfahrt hinein nach Nyon. Links und rechts des Zubringers ziehen sich die Felder, bis dann die Häuserwand des Fontaines-Quartiers signalisiert: Hier fängt die Stadt an. «Wie eine Stadtmauer», sagt der frühere Stadtplaner. «Das war meine Idee.»

Als Berta 1978 sein Amt antrat, hatte Nyon gerade mal 11'000 Einwohner und alle Probleme einer Schlafstadt. Die Leute pendelten zum Arbeiten nach Lausanne oder Genf, im Zentrum verfielen die alten Gebäude, ringsherum frassen sich Einfamilienhäuser ins Land. Und um die Gemeindefinanzen stand es schlecht.

Ökonom Espero Berta hatte eine Vision, die weniger von der Sorge um die Landschaft als von wirtschaftlichen Überlegungen geprägt war. Studien hatten gezeigt, dass ein Ort wie Nyon 25'000 Einwohner und 15'000 Arbeitsplätze aufweisen sollte, um die benötigte Infrastruktur finanzieren zu können.

So richtete Berta als «Chef de l’urbanisme» und Wirtschaftsförderer die Stadtplanung ganz auf dieses Ziel aus. «Mir schwebte eine kompakte, verdichtete Stadt vor, in der man gleichzeitig arbeiten und wohnen kann.» Bei Überbauungen sollten deshalb 30 Prozent der Flächen für gewerbliche Nutzungen – Läden oder Büros – reserviert bleiben.

Eine Ortsgrenze wie eine Stadtmauer

Espero Berta, «Chef de l'urbanisme»

Espero Berta, «Chef de l'urbanisme» von Nyon VD.

Quelle: David Wagnières

Das Ergebnis seines Wirkens präsentiert der 77-Jährige gern auf einem eigens angefertigten Ortsplan, den ihm die Kollegen zum Abschied geschenkt haben: «Alles, was rot ist, das war ich», sagt er, und der Stolz ist unüberhörbar. Es sind viele Flecken rot auf der Karte: grossflächige, bewusst angeordnete Quartiere innerhalb klarer Grenzen.

Seine Amtszeit begann Berta Ende der siebziger Jahre mit einem Paukenschlag. Er strich die Villenzonen auf dem Stadtgebiet und ersetzte sie durch Zonen mit Planungspflicht. Er weibelte bei den Kantonsbehörden – meist erfolgreich – für höhere Ausnützungsziffern. So konnte er den Investoren gegenüber Quartierpläne durchsetzen: Planungen über ganze Gebiete, in denen festgelegt war, wie viele Wohn- und Gewerbeflächen dort gebaut werden durften. Statt Einfamilienhäusern entstanden gemischte Überbauungen.

Ausgerüstet mit einem gut dotierten Fonds, konnte Berta in Nyon zudem eine aktive Bodenpolitik betreiben. Sprich: Wenn für die Stadtentwicklung ein interessantes Terrain zum Verkauf stand, konnte er zuschlagen.

So holte er etwa den welschen Hauptsitz der Generali-Versicherungen auf ein brachliegendes Gelände in der Altstadt. «Wir kauften damals das Land für 300 Franken pro Quadratmeter und verkauften es für 1000, obschon wir deutlich mehr hätten verlangen können. Dafür hatten wir plötzlich 350 Arbeitsplätze in der Altstadt.»

Ein Drittel ausserhalb der Bauzone

Was Schlieren und Nyon machen, ist das Hauptanliegen des revidierten Raumplanungsgesetzes, das 2014 in Kraft trat: Entwicklung nach innen statt eines weiteren Ausfransens der Siedlungsfläche in die Landschaft. Unter dem Kürzel RPG2 wird auf dem politischen Parkett bereits über die nächste Revision debattiert. Sie setzt dort an, wo theoretisch gar nicht gebaut werden darf – ausserhalb der Bauzonen. Etwa 600'000 Liegenschaften stehen dort, das sind rund ein Viertel aller Gebäude in der Schweiz und sogar ein Drittel des gesamten Siedlungsgebiets.

Die Mehrzahl der Bauten stammt aus der Zeit vor 1972. Seither teilte man auf eidgenössischer Ebene die Landschaft in Bau- und Nichtbaugebiet ein. Trotzdem kamen immer mehr Bauten im Nichtbaugebiet dazu – meist für landwirtschaftliche Nutzung. Daran stört sich Maria Lezzi, die Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE). «Seit Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes 1980 tauchten immer wieder neue Spezialfälle auf, etwa für den Umgang mit Maiensässen oder die Pferde- und Hobbytierhaltung.» Diese landeten in den allermeisten Fällen als zulässige Ausnahmebestimmung im Raumplanungsgesetz.

Lezzi sieht allerdings ein Umdenken: «Ausnahmen für Spezialfälle stossen in der Bevölkerung zunehmend auf Unverständnis – gut so.» Einen radikalen Baustopp im Nichtbaugebiet hält sie jedoch für die falsche Massnahme. «Das wäre ein zu drastischer Einschnitt für die Landwirtschaft und politisch nicht mehrheitsfähig.»

Die RPG2-Vorlage soll nun eine Lösung bringen: mit einem Planungs- und Kompensationsansatz. Wer ausserhalb der Bauzonen ein Gebäude errichten will, soll das auch künftig tun können – jedoch nur in Gebieten, die im kantonalen Richtplan dafür festgelegt sind. Zudem müssen Bauherren den Neubau kompensieren, etwa indem sie ein nicht mehr genutztes Gebäude abreissen oder eine Strasse zurückbauen. «Insgesamt muss sich die Situation im betroffenen Gebiet verbessern», so ARE-Direktorin Lezzi. Sie ist zuversichtlich, «dass diese Massnahmen eine Kehrtwende einleiten werden».

Beispiel Köniz BE – Den Wakkerpreis 2012 gewonnen

Gemeindetypus

Gemeinde mit zwölf unterschiedlichen Ortsteilen – von sehr ländlich bis städtisch; grenzt direkt an die Stadt Bern
 

Einwohnerzahl

42'200
 

Gemeindefläche

51 km2; davon 8,8 km2 Siedlungsfläche (17%)
 

Rezept gegen die Zersiedelung

klare Trennung von Stadt und Land; Schonzonen; Lockerung der Vorschriften in den Bauzonen; grünes Band durch die ganze Gemeinde

«Schutz, Erhalt und Förderung der offenen Landschaftsräume»: Diese Ziele stehen auch in der Abstimmungsbotschaft zur Ortsplanungsrevision von Köniz BE. Gerade eben, am 23. September, ist diese angenommen worden – und die Vordenkerin der ganzen Übung ist erleichtert. «Es war ein steiniger Weg», sagt Katrin Sedlmayer, die bis 2017 der örtlichen Planungs- und Verkehrsdirektion vorstand. «Aber es hat sich gelohnt.»

Um über die Ortsplanung von Köniz zu reden, hat Sedlmayer als Treffpunkt den Aussichtsturm auf dem Gurten vorgeschlagen. Von hier aus bietet sich ein umfassender Blick auf die grösste Agglomerationsgemeinde der Schweiz – und vermutlich die ländlichste. Im Nordosten verschmilzt der urbane Teil der Gemeinde unmerklich mit der Stadt Bern, im Süden und Westen zeigt sich das ländliche Gesicht. Einigen Ortsteilen wie Gasel, Niederscherli oder Mittelhäusern etwa sieht man trotz neuen Wohnsiedlungen ihre landwirtschaftlichen Ursprünge immer noch an.

Ideales Verhältnis von Stadt und Land

Katrin Sedlmayer, langjährige Bauvorsteherin von Köniz BE

Katrin Sedlmayer, langjährige Bauvorsteherin von Köniz BE.

Quelle: David Wagnières

Katrin Sedlmayer hat den Grossteil ihrer zwölf Amtsjahre damit verbracht, die Ansprüche von Stadt und Land, von Wohneigentum und Landwirtschaft, Erholungsbedürfnissen und Strasseninfrastruktur unter einen Hut zu bringen. Es ist die Mischung und gleichzeitig die klare Trennung, die Köniz 2012 sogar den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes einbrachte.

Dabei hegte man in der zwölftgrössten Gemeinde des Landes ursprünglich ganz andere Pläne. In den sechziger Jahren wurde Bauland für 100'000 Einwohner eingezont. Köniz sollte zu einer Art Stadt neben der Stadt werden – ein planerisches Unding, von dem man sich bald wieder verabschiedete. Stattdessen wurde in mehreren Schritten zurückgezont. 2008 stimmte eine satte Mehrheit der Könizerinnen und Könizer für ein Bauzonenmoratorium. Seither darf nur noch Land eingezont werden, wenn man gleichzeitig eine entsprechende Fläche auszont.

Unantastbare Erholungsgebiete

Köniz hat damit geschafft, was andere verpasst haben: Stadt und Land zu trennen – und dennoch zusammenzuhalten. Vom Gurten aus zeigt Katrin Sedlmayer auf das Blinzernplateau. Die Felder mitten im städtischen Teil seien «unantastbar» und gehörten zum Naherholungsgebiet ebenso wie das «Grüne Band», das sich vom Aaretal quer durch Köniz bis zum Wohlensee zieht: eine Bastion des ländlichen Lebensgefühls mitten in der Agglo.

Weiter im Süden und Westen ist die Landwirtschaft omnipräsent. Hier hat man mit der Ortsplanungsrevision Landschaftsschutz- und Schongebiete definiert – was den Bauern überhaupt nicht passte. Es brauchte das Bekenntnis, dass man auch in Schutzgebieten Landwirtschaft betreiben darf, um sie ins Boot zu holen. «Es gab vereinzelte Kompromisse», sagt Sedlmayer. Aber der Geist der ursprünglichen Ideen sei geblieben.

Weniger Vorschriften

Dieser Geist findet sich in einem 80 Seiten starken Baureglement mit 99 Paragrafen, die den Rahmen vorgeben, wie sich Köniz weiterentwickeln soll. So müssen etwa Flachbauten künftig kein Attikageschoss mehr zuoberst haben. Entlang der grossen Verkehrsachsen sind neu durchgehende Fassaden erlaubt; bisher mussten zwischen den Häusern Mindestabstände eingehalten werden. «So kann man ganze Quartiere besser ausnutzen», sagt Sedlmayer.

Dann sind da noch die «Innenentwicklungsgebiete». Eigentümer in Mehrfamilienhausquartieren können sich zusammentun. Wenn sie gemeinsam auf einer Fläche von mindestens 3500 Quadratmetern mehr Wohnraum in hoher Qualität planen, dürfen sie ihre Gebäude länger und breiter machen, es gibt keine Ausnützungsziffer – und alle profitieren.

Wir wohnen öfter allein oder zu zweit

Anteil Personen pro Haushalt 1970-2016

Der Anteil Personen, die mit mehreren anderen in einem Haushalt leben, ist zwischen 1970 und 2016 geschrumpft.

Quelle: BFS – Infografik: Anne Seeger und Andrea Klaiber

Wir brauchen mehr Platz

Wohnfläche pro Person von 1980-2014

Herr oder Frau Schweizer beanspruchten im Jahr 2014 pro Person einen Drittel mehr Fläche zum Wohnen als noch 1980.

Quelle: vlp-aspan.ch – Infografik: Anne Seeger und Andrea Klaiber
Raumplanung: Ein Plan für alle Fälle

Der Bund

legt die Grundsatzgesetzgebung für die Raumplanung fest. Diese lässt den Kantonen Spielraum für die konkrete Ausgestaltung.

Nur in bestimmten Bereichen (etwa Nationalstrassen) verfügt der Bund über die landesweite Planungskompetenz; hierzu erlässt er Sachpläne. Auch das Bauen ausserhalb der Bauzonen regelt der Bund detailliert.
 

Die Kantone

planen die Massnahmen zur Umsetzung. Sie steuern diese mit den kantonalen Richtplänen. Sie enthalten Vorgaben, wie sich die Siedlungsräume entwickeln sollen und wie man die Landschaft nutzen und schützen will.

Grössere Kantone schalten mit Planungsverbänden eine Zwischenebene ein. Diese steuern gemeindeübergreifend die Raumplanung mit regionalen Richtplänen.
 

Die Gemeinden

regeln mit einem Nutzungsplan (auch Zonenplan genannt) verbindlich bezüglich Zweck, Ort und Ausmass, wie der Boden genutzt werden darf. Im Plan sind die Zonen festgelegt, die etwa für Wohnen, Arbeiten oder Landwirtschaft vorgesehen sind.
 

Schlüsselbegriffe

  • Ein Gestaltungsplan stellt eine Spezialbauordnung für ein begrenztes Gebiet auf, die von der allgemeinen Bau- und Zonenordnung abweichen und diese überlagern kann. Häufig geht es darum, für eine Überbauung eine verdichtete Bauweise mit höherer Ausnützung zu ermöglichen.
     
  • Die Geschossflächenziffer (früher Ausnützungsziffer) bezeichnet das Verhältnis zwischen der Landfläche und der Summe aller Geschosse einer Überbauung. Beispiel: Auf einer 600-Quadratmeter-Parzelle ist bei einer Geschossflächenziffer von 0,8 eine maximale Fläche aller ober- und unterirdischen Geschosse von 480 Quadratmetern erlaubt.
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Dani Benz, Ressortleiter
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