Update vom 06. Juli 2016: Die Ausgleichskasse lenkt ein

Dem schwerbehinderten Edmond Berisha aus dem Kanton Schwyz drohte der Einzug in ein Altersheim – mit 39 Jahren. Denn der Kanton verweigerte ihm zusätzliche Ergänzungsleistungen für die Pflege und Hilfe zu Hause, so dass er seine Assistentinnen nicht mehr bezahlen konnte, die ihn im Alltag unterstützen.

Obwohl die IV beim zerebral gelähmten Berisha einen theoretischen Bedarf von 320 Pflegestunden pro Monat feststellte, konnte sie über den Assistenzbeitrag nur maximal 240 Stunden übernehmen. Den Rest hätte die Schwyzer Ausgleichskasse ergänzen sollen. Sie erkannte den Anspruch jedoch nicht an. Erst nachdem der Beobachter den Fall aufgegriffen hatte, lenkte die Kasse ein.

Gemäss seiner Rechtsvertreterin Irene Rohrbach erhält Edmond Berisha nun rückwirkend zusätzliche 100 Pflegestunden pro Monat über die Ergänzungsleistungen ausbezahlt. Zudem vergütet die Ausgleichskasse 400 Franken pro Monat für die Haushaltshilfe. Damit kommt Berisha nun zwar auf mehr als die von der IV berechneten Pflegestunden, diese entsprechen jedoch einem statistischen Durchschnittswert. «Naturgemäss kann das vom konkreten Fall erheblich abweichen. Herrn Berishas tatsächlicher Bedarf ist wesentlich höher», sagt Irene Rohrbach.

 

Artikel aus dem Beobachter 06/2016:

Er steckt voller Schalk. Er mag es, wenn man in klaren Worten spricht, gern auch ironisch. Dann bricht Edmond Berisha in Gelächter aus. Ansonsten kann er sich kaum verständigen. Als Säugling hat man eine Hirnhautentzündung nicht erkannt und ihn falsch behandelt. Seither ist er zerebral gelähmt und leidet unter starken Krämpfen. Seine Arme müssen an den Rollstuhl gebunden werden. «Er könnte sonst sich oder andere verletzen», sagt seine Schwester Mire Krasniqi, die ihn zusammen mit ihrer Familie hauptsächlich pflegt.

Edmond Berisha kann seit einer Operation vor knapp 20 Jahren nicht mehr sprechen. Aber dank einer speziellen Einrichtung kann er den Computer mit Augenbewegungen steuern und so auch schreiben, Buchstabe für Buchstabe. In der Nacht trägt er eine Sauerstoffmaske, die hin und wieder zurechtgerückt werden muss. Manchmal muss man ihn auch umlagern. «Ein 24-Stunden-Job», sagt Mire Krasniqi.

Betreuung und Pflege verursachen hohe Kosten

Berishas Schwester hat zwei Kinder und war bis vor etwa zehn Jahren stets voll oder teilweise berufstätig. Als sie mit allem derart überlastet war, dass sie zeitweise arbeitsunfähig wurde, stellten sie eine Assistentin ein. Sechsmal pro Woche kommt ausserdem die Spitex vorbei und hilft Berisha beim Aufstehen. Der 39-Jährige lebt bei seinen Eltern. Beide sind über 80 und können bei der Pflege schon seit längerem nicht mehr mithelfen. Berisha erhält eine volle Invalidenrente, eine Hilflosenentschädigung und jährliche Ergänzungsleistungen (EL). Daneben bezog er bisher zusätzliche EL für die Betreuung und die Pflege zu Hause, um seine Helfer bezahlen zu können. Seit dem letzten Jahr erhält er dafür einen Assistenzbeitrag der IV. Dieser wurde 2012 eingeführt und soll Behinderten ermöglichen, zu Hause zu leben statt in einem Heim.

Assistenzbeitrag deckt Kosten nicht

Die Invalidenversicherung schätzte den Assistenzbedarf bei Berisha auf über 320 Stunden pro Monat ein. Zusätzliche Kosten für Ferien, krankheitsbedingte Ausfälle und Sozialversicherungsbeiträge, die er als Arbeitgeber den Assistenten bezahlen muss, sind darin nicht enthalten. Und der Assistenzbeitrag ist begrenzt. Mehr als 240 Stunden bezahlt die IV nicht. Daher müsste Berisha eigentlich weiterhin EL für Betreuung und Pflege erhalten – so viel, wie durch den Assistenzbeitrag nicht gedeckt ist. So zumindest steht es in den Weisungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV). Und diese sind verbindlich, wie das BSV auf Anfrage bestätigt.

«Vielschichtig und komplex»

Berisha stellte einen entsprechenden Antrag. Doch die für die EL zuständige Ausgleichskasse des Kantons Schwyz winkte ab. Sie findet, Berisha habe keinen Anspruch auf zusätzliche EL. In der Verfügung heisst es, die Kosten für das direkt angestellte Pflegepersonal würden vollumfänglich durch den Assistenzbeitrag gedeckt. Wie sie darauf kommt, obwohl aus der Aufstellung der IV etwas anderes hervorgeht, ist nicht klar. Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter der Ausgleichskasse Schwyz, nimmt schriftlich Stellung und schreibt, die Verrechnung von Leistungen aus verschiedenen Sozialversicherungen sei vielschichtig und komplex. Es bestehe ein Dissens in der Einschätzung zwischen dem Betroffenen und der Kasse. «Wir sind der Ansicht, dass wir die Aufteilung der Kosten sachlich richtig und entsprechend den rechtlichen Vorgaben vorgenommen haben und dass im vorliegenden Fall eben keine anrechenbaren Kosten ausgewiesen sind, die noch weitergehende Leistungen begründen.»

«In diesem Fall sind keine Kosten ausgewiesen, die weitergehende Leistungen begründen.»

Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter der Ausgleichskasse Schwyz

 

Berisha hat die Verfügung angefochten. Doch der Rechtsweg dauert viel zu lange. Sein Problem: Weil der Assistenzbeitrag allein nicht einmal einen Drittel der effektiven Kosten deckt, kann er seine Angestellten schon seit einigen Monaten nicht mehr bezahlen. «Doch wenn er die Löhne nicht zahlt, verletzt er seine Arbeitgeberpflichten», sagt Juristin Irene Rohrbach, die den Fall zusammen mit dem Zürcher Schadensanwalt David Husmann betreut.

Die Folge: Die IV-Stelle hat bereits mit der Sistierung des Assistenzbeitrags gedroht. Berisha ist in einer Zwickmühle zwischen zwei Sozialversicherungen. Das BSV – durch den Beobachter auf den Fall aufmerksam gemacht – hat die Schwyzer Ausgleichskasse zwar gebeten, das Verfahren so schnell als möglich abzuwickeln. Kurz vor Redaktionsschluss hat die Ausgleichskasse Berisha denn auch zu einer Vergleichsverhandlung eingeladen. Falls man sich aber nicht einigt und am Ende kantonale oder sogar Bundesrichter entscheiden müssen, hilft das Berisha auch nicht.

Für den Kanton finanziell nicht klug

 

Der Eintritt in ein Heim scheint unausweichlich. Ein selbstbestimmtes Leben, wie es der Assistenzbeitrag eigentlich ermöglichen soll, dürfte bald Vergangenheit sein. Gemäss Mire Krasniqi gibt es kaum Heime. «Seine Pflege ist anspruchsvoll und sehr zeitintensiv», sagt sie. «Er wird wohl in einem Spital landen, bis ein Platz in einem Altersheim frei wird.»

Das ist nicht nur für Edmond Berisha eine betrübende Aussicht. Es ist für den Kanton Schwyz auch finanziell nicht sehr klug. Er müsste dann nämlich grösstenteils selber für Berishas Pflege aufkommen. «Herr Berisha käme in die höchste Pflegestufe, die Krankenkasse würde nur die Heimpauschale bezahlen», sagt Juristin Rohrbach. Gleichzeitig würde die vom Bund finanzierte Hilflosenentschädigung auf einen Viertel gekürzt und der Assistenzbeitrag der IV gestrichen. «Das kommt den Kanton am Ende eindeutig teurer zu stehen.»

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