Wenn gespart oder umstrukturiert wird, sind ältere Mitarbeiter oft die ersten, die entlassen werden. Denn die 50- bis 64-Jährigen gelten als teuer, unflexibel, gesundheitlich instabil und schwer führbar.

Seit Jahren nimmt die Arbeitslosigkeit ab 50 zu. Nicht eingerechnet sind diejenigen, die sich gar nicht erst arbeitslos melden. Wie viele das sind, weiss niemand. Und wer nicht mehr zurück in die Arbeitswelt findet, landet bei der Sozialhilfe. Seit 2005 hat sich die Quote der Sozialhilfebezüger im Alter zwischen 55 und 64 von 1,9 auf 2,5 Prozent erhöht. Das ist eine Zunahme um über 31 Prozent.

Nur jeder Sechste findet wieder Arbeit

Jenseits der 60 ist die Chance minim, vor der Pensionierung noch einmal bezahlte Arbeit zu finden. Laut einer Studie von 2006 schafft das nur jeder Sechste. Auf ihre kleine Chance hofft seit dem 14. August 2013 Erika Fehr, 62. Damals erhielt sie die Kündigung. Die Begründung: Umstrukturierung in der Finanzbuchhaltung.

«Das Ganze dauerte zehn Minuten, dann musste ich mein Pult räumen. 30 Minuten später stand ich vor der Tür», erzählt Erika Fehr. Ein Schock. Ihre Qualifikationsgespräche waren immer bestens verlaufen, sie hatte die Anforderung nicht nur erfüllt, sondern oft übertroffen.

Wie konnte es so weit kommen? Ihr Chef hatte sich frühpensionieren lassen. Sein erster Nachfolger wurde in der Probezeit entlassen, der zweite fiel aus gesundheitlichen Gründen aus. «Und mit dem dritten Chef kam ich nicht klar», sagt Fehr. Ihr berufliches Todesurteil.

Ein typischer Fall. «Offiziell wird am häufigsten aus strukturellen oder konjunkturellen Gründen gekündigt», weiss Brigitte Reemts vom Outplacement-Spezialisten Dr. Nadig und Partner. De facto seien aber fast öfter persönliche Unverträglichkeit («Chemie») oder Differenzen auf der Werteebene («andere Denkweise») verantwortlich. «Nur wird das selten so deutlich gesagt.»

Erika Fehr (62) arbeitete als Finanzbuchhalterin 40 Jahre lang für dieselbe Firma, in der bereits ihr Vater tätig gewesen war.

Quelle: Christian Schnur

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Ein Lob? – Nein, der blaue Brief

So war es auch bei Romy Peter. Ihr wurde ein 32-jähriger Kollege zum Verhängnis, mit dem sie die letzten sieben Jahre bestens zusammen–gearbeitet hatte. Als ihr langjähriger Chef die Firma verliess, stieg der junge Mitarbeiter die Karriereleiter hoch und wurde ihr Vorgesetzter. Plötzlich wurde alles anders.

An ihrem 60. Geburtstag war Romy Peter noch gefeiert worden. Es hiess, es sei toll, sie als ältere Kollegin mit im Team zu haben. Das war am 1. Juni 2013. Am 13. August erfolgte die Kündigung: «Ich wurde ins Büro gerufen und dachte noch: ‹Jetzt gibts endlich einmal ein kleines Lob›», erzählt sie. Doch statt netter Worte erhielt sie den blauen Brief.

«Ein Grund wurde nicht wirklich genannt. Aber ich war viel zu perplex, um mich zu wehren», sagt sie heute. Dabei hätte Romy Peter gute Chancen gehabt, gegen diese vermutlich missbräuchliche Kündigung vorzugehen (siehe Infobox: «Kündigung: Wann ist sie missbräuchlich?»).

Romy Peter (61) war sieben Jahre als Sachbearbeiterin bei einer Firma für Ultraschall-Geräte beschäftigt. Dann war plötzlich Schluss.

Quelle: Christian Schnur
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Gegen die Ungerechtigkeit

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Ständig Leute einarbeiten kostet Geld

Ältere Mitarbeiter gelten wegen der höheren Sozialabgaben und Löhne als teuer. Doch der Schein trügt, sagt Management- und Karriereberater Laurenz Andrzejewski: «Viele Unternehmen übersehen die verdeckten Kosten von Kündigungem: Fluktuationskosten, Entscheidverzögerungen, Sitzungszeiten, Imageverlust bei Kunden, Verschlechterung des Betriebsklimas, Loyalitäts- und Vertrauensverluste sowie Kosten zum Neuerwerb von Know-how.» Für Andrzejewski ein unverständlicher Fehler: «Sonst werden doch Controlling und Budgetierung überall grossgeschrieben?!»

Qualifizierte Arbeitskräfte fehlen der Schweiz schon heute, und durch die demografische Entwicklung wird sich die Lage verschärfen. Doch statt den erfahrenen Älteren mehr Wertschätzung entgegenzubringen, drängen Arbeitgeber sie in die Frühpensionierung oder geben das «Problem» an die Allgemeinheit weiter – an die Sozialwerke.

Dass ältere Mitarbeiter öfter krank sind als junge, ist ein Vorurteil, zeigt eine Studie der Arbeitspsychologen Thomas Ng und Daniel Feldmann von 2012. Die Untersuchung zeigt auch, dass reifere Arbeitnehmer keineswegs weniger motiviert sind. Und dass sie schlechter lernen, ist gemäss einer deutschen Studie von 2005 ebenfalls falsch: Die Unterschiede innerhalb einer Altersgruppe sind deutlich grösser als diejenigen zwischen Alten und Jungen.

Richtig ist nur, dass Ältere sich weniger gern und weniger oft weiterbilden. Allerdings ist das nicht immer die Schuld des Arbeitnehmers. In vielen Betrieben arbeiten Spezialisten, die für ihre Spezialisierung geschätzt und oft nicht zur Weiterbildung angehalten werden – sie erfüllen ja ihren Zweck aufs Beste. Erst wenn die Kündigung im Raum steht, wird aus dem Spezialisten plötzlich ein «Fachidiot». Was der Firma jahrzehntelang genützt hat, rächt sich bei der Stellensuche.

Quelle: Christian Schnur
«Niemand braucht, was ich kann»

Das passierte Paul Brack. Der bald 61-Jährige verlor Ende 2014 seine Stelle bei einem in der Schweiz konkurrenzlosen Technologiebetrieb im aargauischen Lupfig. «Andere berufliche Kompetenzen habe ich logischerweise nicht. Da die Firma die einzige ist, die ein solches Produkt herstellt, gibt es in der ganzen Schweiz niemanden, der braucht, was ich kann.»

Umso empörter und enttäuschter ist er vom früheren Arbeitgeber: «Die haben alle noch in die Windeln gemacht, als wir die Firma vor 37 Jahren als Spin-off gründeten», sagt Paul Brack. «Ich habe drei Übernahmen durch französische Firmen und drei durch amerikanische mitgemacht. Und dann schmeisst man mich kurz vor der Pensionierung raus.»   

Kündigungen belasten auch die verbleibende Belegschaft. «Die Älteren haben schlichtweg Angst um ihren Job, weil nicht einmal ich als Mitgründer der Firma vor der Kündigung sicher war», bringt es Paul Brack auf den Punkt.

Die Arbeitspsychologie spricht von «Survivor-Sickness», dem Trauma der Zurückgebliebenen. Betroffene werden von Zukunftsängsten und Wut geplagt, leiden unter Mehrarbeit und dem Verlust liebgewordener Kollegen. Und manchmal plagen sie Schuldgefühle, weil sie noch Arbeit haben, die Entlassenen dagegen nicht mehr.

Paul Brack (60) arbeitete 37 Jahre lang in einer Technologiefirma, die er mitgegründet hatte. Zuletzt war er Abteilungsleiter.

Quelle: Christian Schnur
Alle suchen Leute bis 45

Paul Brack hat eine berufliche Perspektive, allerdings weit von seinem angestammten Beruf entfernt. Erika Fehr und Romy Peter sind auf Arbeitssuche. Nicht einfach: Das Stellenportal Jobs.ch untersuchte im Auftrag des «Tages-Anzeigers» 24'897 Stellenanzeigen. Bei rund 43 Prozent gaben die Firmen ein Idealalter an. Kandidatinnen oder Kandidaten ab 45 wurden bloss in 20 Inseraten gesucht, das entspricht 0,08 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass ältere Arbeitnehmer laut Andreas Rudolph vom Personalvermittler Lee Hecht Harrison im Selbstmarketing weitaus bescheidener sind als junge. «Sie verkaufen sich entsprechend schlechter.»

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Kündigung: Wann ist sie missbräuchlich?

Arbeitnehmer, die kurz vor der Pensionierung stehen und lange für eine Firma tätig gewesen sind, gelten als besonders schützenswert. Der Arbeitgeber hat eine erhöhte Fürsorgepflicht ihnen gegenüber und muss vor einer Kündigung mildere Massnahmen prüfen, etwa eine für beide Seiten zumutbare Weiterbeschäftigung oder eine Frühpensionierung. Zudem muss der Arbeitnehmer frühzeitig über eine allfällige Kündigung informiert und angehört werden. Lässt sich die Kündigung nicht vermeiden, muss der Arbeitgeber das Kündigungsrecht besonders schonend ausüben.

Tut er das nicht, kann die Kündigung missbräuchlich sein: Das Bundesgericht entschied 2014 zugunsten eines 59-Jährigen, der 35 Jahre für eine Firma tätig gewesen war. Zwar hatte der Arbeitgeber seine mangelnde Leistung gerügt, aber nie klar signalisiert, dass sie zu einer Kündigung führen könnte. Der Mann hätte eine Zielvereinbarung und eine Frist erhalten sollen, bis wann sich seine Leistung bessern muss.

Nicht missbräuchlich ist eine Kündigung natürlich, wenn sie wegen einer groben Verfehlung ausgesprochen wird, etwa wegen Alkoholproblemen oder chronischer Unzuverlässigkeit.

Im Hinblick auf die Arbeitslosenversicherung ist zu beachten: Wer als Frau mit 60 respektive als Mann mit 61 arbeitslos wird, erhält 120 Stempeltage mehr, und die Rahmenfrist wird bis zur Pensionierung erweitert. Es kann sich also lohnen, einen Aufschub der Kündigung auszuhandeln.